und alle Menschen außer ihm selbst, sogar Direktor und
Dichter, sinken zusammen. Hierauf wendet er sich an uns,
ans Parkett, und rust hinunter:
„Mir graut vor meiner Macht!
Ist's Wahrheit, die ich bringe, oder Nacht?
Folg' ich der Himmlischen ... der Hölle Ruf?
IIst es Gesetz — ist's Willkür, die mich schuf?
(Bin ich ein Gotts ... ein Narr?.. Vin euresgleichen?
Bin ich ich selber — oder nur ein Zeichen?
Ja, wenn mein Schwert in loserm Arme hinge,
Weiß ich, wie's manchen, die in Leid und Lüsten
Höchst fragevoller Wirklichkeit sich brüsten,
Wie's zum Exempel euch da unten ginge?“
Mit einem stolzen Blick geht er ab. Er ist wohl Schnitz¬
ker, ist wohl der nachdenkliche Dichter selber. Der Dichter,
der verdammt und beseligt ist, alle die Drähte zu sehen,
an denen die viel zu vielen Menschen hängen; der Dichter,
der sehen muß, daß zahllose Menschen immer nur Rollen
spielen, die sie sich entweder autosuggerieren oder von andern
aufdisputieren lassen; der Dichter, der weiß, wie wenige
ein eigenes Leben leben, der Dichter: poeta vates
Die Darstellung der Burleske mit ihren 30 Personen
im Lustspieltheater (ganz besonders des begabten Episoden¬
spielers Straßni als „düsterer Kanzlist“) war einfach glän¬
zend. Aber der leise Humor Schnitzlers, der hier zug eich
feiner und vornehmer austritt als in der „Literatur“ war
zu verborgen und sinnvoll, als daß er das große Publikum
ganz gepackt hätte. Kurz, ein Pyrrhussieg.
Im Raimundtheater hat Mademoiselle Margnerite
Moreno von der Comédie Française an zwei Abenden
gastiert. Ihr Name hat in Paris einen guten Klang; zu
zns wird sie wohl kein zweites Mal kommen. Sie ist ein
schwacher Abklatsch des Typus Sarah Bernhardt: eine
ältere Dame, sehr schlank, fast mager, mit spitzer, großer
Nase und tadelloser, einem spröden Organ abgerungener
Sprache. Ihr Percinet (Hosenrolle) in Rostands „Les Ro¬
manesques“ — der Theaterzettel behauptete, sie hätte die
Rolle in der Comédie Française kreiert, mein Buch dagegen
nennt den auch in Wien bestens bekannten und beliebten
Heldendarsteller Le Bargy a's Schöpfer des Pireinet¬
erweckte ebensowenig, wie ihre Roxane in Rostands „Cy¬
rano“ einen Wunsch nach mehr. Sehr belustigte dafür
Mussets „II ne faut jurer de rien“, welches Lustspiel ohne
Mitwirkung von Fräulein Moreno zu den „Romantischen“
gegeben wurde, und wie kürzlich die Aufführung des „Ele¬
fanten“ im Intimen Theater wiederum bedauern ließ, daß
Musset auf unseren Bühnen so gar nicht gepflegt wird.
Im Josefstädter Theater kam nach Gaston dem Schüch¬
ternen Philipp der Gute („L’inconaue“, Schwank in drei
Akten von Paul Gavault und Georges Berr) zur
Regierung. Philipp hat mit Gaston die eine Ahnlichkeit,
daß er immer unverschuldet in Verdacht und Unglück gerät.
Sein allzu gütiges Herz treibt ihn dazu, eine fremde Dame,
die infolge eines Nervenchoks plötzlich ihr Gedächtnis ver¬
liert, in sein Haus aufzunehmen und ihr sein Zimmer und
sein Bett abzutreten. Was ist begreiflicher, als daß Philipps
Gattin, den Edelmütigen für einen schnöden Ehebrecher
hält? Zwei Einfälle, die übergüte und der Gedächtnisver¬
lust, reichen allerdings nicht für drei Akte. Zur Füllung
wird im dritten Aufzuge „das ironische Gesetz des unmorali¬
schen Gleichgewichtes“ erfunden, nach welchem stets der ver¬
dächtigt und vom Schicksal verfolgt wird, der unschuldig
ist. Wo trotzdem noch Lücken klafsten, da traten Maran
als Philipp und Pallenberg als betrogener Ehemann
mit ihrer grotesken Komik und Fräulein Mascha Mark¬
wordt, die Dame ohne Gedächtnis, mit ihrer mondainen
Eleganz in die Bresche,
In der Hofoper dürste der Mozartzyklus mit der „Hoch¬
geit des Figaro“ wohl seinen Abschluß gefunden haben.
„Figaro“ ist die Oper, mit der Mahler von jeher umbe¬
setzend und umstudierend am liebsten experimentiert hat. Es
kam auch diesmal eine ganz hervorragende Aufführung
feines Lieblingswerkes zustande, wozu Direktor, Orchester,
Chor und Solisten gleichviel beitrugen. Verstimmend und
einen reinen Genuß nicht aufkommen lassend, wirkte nur
Mahlers Bestreben, die ganze Vergangenheit, auch dort, wo!