II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 53

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17.3. Zun grossen stel
Figuren und Begebenheiten einen grotesk=feierlichen
Rahmen abgegeben.
Das zweite Stück des Abends, „Mamzell Courasche“.
von Erich Korn, krankte gleichfalls an einem inneren
Widerspruch gegen das Empfinden unserer Zeit.
Das ein renommistischer Offizier sich durch eine Wette
damn austhehzen läht, seine Frau in der Brantnct
vor seinen Freunden zu verprügeln, ist ein Motiv,
das uns nichts bietet. Wir vermögen uns weder in
diesen Offizier noch in seine Freunde innerlich hinein¬
zuversetzen, sondern sind heilsfroh, mit derlei Lands¬
knechtsitten des Dreißigjährigen Krieges nichts mehr
zu schaffen zu haben. Bei Grimmelshausen lesen wir
wohl, wenn es zwischen mancherlei anderem Unfug
hurtig an uns vorüberwirbelt, mit einem gewissen
antiquarischen Behagen auch von diesem Abenteuer
der „Landstörtzerin Courasche". Das ist dann eben
eine derbe Schnurre, fern von störender Tragik und
Sentimentalität. Auf der modernen Bühne aber ist
weder die eine noch die andere zu vermeiden, und
dazu kommt noch, als dritte schlimme Schwester, die
Peinlichkeit. Wir sind eben über diese Dinge hinaus,
und es tut uns fast leid um das farbenfrohe Talent,
das ein zu mancherlei Hoffnungen berechtigender
Autor an diese üble Farce ernsthaft verschwendet hat.
Übrigens ließ sich das Publikum von diesen Vor¬
gängen gefangennehmen und klatschte tüchtig Beifall.
Als ortsgemäße Apotheose folgte zu guter Letzt
Schnitzlers Burleske „Zum großen Würstl“. Da
wurde der Würstelprater im Würstelprater dichterisch
vernikt, und darüber hinaus eröffnete sich etwas wie
der Aspekt großer und ewiger Symbole. Ein kühnes
Ragout entlegenster Mixturen! Ein artistischer Salto
mortale, ausgeführt mit höchster Bravour! Der Tieck
des „Prinzen Zerbino“ müßte wie beiessen dazu in
die Hände klatschen. Denn woran er sich fünfaktig
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abquätte, mit schweißvollstem Bemühen, die Bühne
selbst auf der Bühne sinnvoll zu verspotten, das hat
hier ein Wiener, lässig und elegant, mit der zarten
Wehmut seines Witzes, leichthin vollbracht, hat uns
gepackt und gerührt, erheitert und emporgeschnellt.
I Ich halte diese kleine, freche Arbeit für eine der
echtesten Schnitzlersachen. Und vor allem ist sie, fast
bis zum Zerplatzen, angefüllt mit dem Esprit unserer
Zeit. Vielleicht kann man sagen: „Zu modern, um
nicht zu modern!“ Doch das mögen unsere Enkel ent¬
scheiden, die sich jedoch vielleicht — Von never can tell,
man soll's nie verschwören — über die Schnurr¬
seligkeit ihrer naiven alten Großeltein weidlich
amüsieren werden.
III.
„Der verlorene Vater“ Komödie in vier Akten
von Vernard Shaw (Hofburgtheatey.
„Von never can tell“ lautet eigentlich der Titel
dieser Komödie. Das so effektvoll klingende „Der
verlorene Vater“ ist bloß ein Einfall des Herrn
Siegfried Trebitsch, des rührigen deutschen Shaw¬
Apostels. Es wäre besser, dieser Einfall wäre still
begraben worden, denn er lenkt unsere Aufmerksamkeit
von der Hauptsache hinweg und übertreibt die Be¬
deutung eines Nebenzuges. Zwar ist es einiger¬
maßen schwer, in diesem Stück zwischen Hauptzügen
und Nebenzügen zu scheiden. Aber um so mehr —
hat Shaw mit seinem Titel rechti
Man kann's nicht sagen, man kann's nicht wissen,
was in der Welt alles passieren kann und was im
Theater ein spleeniger Autor mit uns vorhat. Dieses
erfährt auch Mrs. Claudon, die eine Frau von
programmatischen Überzeugungen und eine philan¬
thropische englische Schriftstellerin aus dem Heerbann
Stuart Mills ist. Sie war verheiratet und hat sich,
stärker als Frau Alving und mütterlicher als Nora##