Premiere kein guter Stern. Woran das lag? Vielleicht
am Dichter, der einen Stoff behandelt, der dem großen
Publikum zu fern liegt, vielleicht an der Inscenirung, in¬
dem die Anforderungen dieses Schnitzler'schen Dramas die
Kräfte einer Bühne wie der des Lobetheaters überschreiten,
vielleicht an einzelnen Darstellern, besonders an den
Trägern der Hauptrollen. Kurz der Beifall, der dem an¬
50wesenden Dichter nach dem 3. und 4. Act wurde, war
Für
100 erstens kein allgemeiner und galt zum andern nur ihm, inclusive
200 nicht der Aufführung seines Stückes. Dessen Handlung, Porto.
500 das muß zum Verständniß des Ganzen vorausgeschickt Zahlbar
" 1000 werden, spielt im Jahre 1000 in Bologna, als diese Stadt in Voraus.
von dem gefürchteten Cesare Borgia umschlossen wird und
Im
vor dem Untergang steht. Es ist die letzte Nacht, die ihrente ist das
Abonneme
Herzog und seinen Bolognesern gegönnt ist. Das leidenscht es den
Abonnente
n.
schaftliche italienische Blut, zumal in jenen wilden Zeiten!
um die Wende des Jahrhunderts, wallt angesichts dieser
Dei Gefahr aus allen seinen Tiefen auf. Nur eine Nacht haltend die
Inhaltsal noch, sie muß genossen werden in wildem Sinnen=Morgen¬
blätte
rausch, denn morgen vielleicht sind wir todt. Nur wenn Zeitung“)
wodurche
wir diesen Grundgedanken festhalten, erscheint uns Viele: siche Leben
des In¬
in dem groß angelegten mit hunten wechselnden Bildern ttheilungen
werden in
ausgestatteten Drama verständlich. Sein Mittelpunkt, die
schöne junge Tochter eines Wappenschneiders, Beatrice
Nardi (Frl.Konrad) giebt sich trotz ihres Verlobten, dem ehr¬
lichen Gesellensin des Vaters Werkstatt Vittorino, des Dichter
Filippo Loschi hin, ihre Phantasie hängt aber noch an
Höherem, als der Herzog selbst ihr begegnet und sie für die
letzte Nacht für sich begehrt, wird sie sein, nur fordert sie das
Recht der angetrauten Gattin. Trotzdem verläßt sie das
Hochzeitsfest und eilt zu dem Dichter, von ihm die Seligkeit
einer Bravtnacht fordernd. Als der sich zum zweiten
Mal angewidert von diesem Weiberherzen und an
der Jämmerlichkeit des Menschenwesens verzweifelnd durch
Gist vor ihren Augen das Leben nimmt, gehl sie mit der Lüge,
sie sei in der Kirche beten gewesen, in die Hochzeitsgesellschaft
zurück. Ihr Schleier fehlt, sie hat ihn inder Wohnung Filippos.
zurückgelassen. In der Hoffnung, aus dem dunkeln
Zimmer, wo die Leiche liegt, ihn zu holen, kehrt sie in
Begleitung des Gatten dorthin zurück. Der aber entdeckt
den Leichnam und hat damit den Beweis der Untreue
Beatricens, die ihre Strafe durch den Dolch ihres eigenen
Bruders empfängt. „Was ist das für ein Wesen?“ so
fragen wir mit dem Herzog, „dieses Weib?“ Sie ist nicht
anders, als die anderen Kinder ihrer Zeit und dieser
tollen Nacht. Auch der Dichter Filippo hat seine Braut,
die Schwester seines Freundes, des Grasen Andrea Fan¬
tuzzi, verlassen, um Beatricens Mädchenschönheit willen.
Als sie den hochfliegenden Dichtergeist nicht befriedigt,
stürzt er sich in den Sinnentaumel einer durchzechten
Nacht mit zwei Florentiner Dirnen. Nachdem er sie aus
Ekel wieder hinausgetrieben, erscheint Rache fordernd
für
die verlassene, der Schwermuth verfallenden
Schwester Graf Andrea (Herr Marr).
Des Dichters
Stimmung schlägt um, er will Versöhnung heischend mit
zu Teresina gehen, da ruft ihn Beatricens Stimme; er
drängt den Freund zur Thür hinaus und läßt die schor
einmal verstoßene Geliebte wieder ein, um nach wildem
Gedankenaustausch vor ihren Augen den Giftbecher zu
trinken. Das gleiche frivole Spiel mit dem Menschen¬
leben und Sittlichkeit treibt das ganze Volk in Bologna.
Die morgen ins Feld ziehenden Soldaten suchen sich für
die letzte Nacht, da der Feind noch nicht zum Angriff ge¬
schritten, ihre „Dirnen“ unter den dafür empfänglichen
Bürgertöchtern Bolognas Doch das Stück hat auch seine
Höhen. Die Höhen der Leidenschaft im Dichterherzen und
ein Lettinger, der den Filippo spielte, riß uns an mehreren
Stellen hin, daß man auf Augenblicke vergessen konnte,
wie wenig sonst der Abend uns befriedigte. Unzweifelhaft
ist das Schnitzler'sche Drama groß angelegt und unter
dem Bewußtsein, welche Zeiten und Menschen, Italiener
in den Kriegszeiten des 16. Jahrhunderts, vor uns
lebendig werden sollen, verständlich. Klar herausgezeichnet
aus allem Beiwerk der allzu zahlreichen Nebenpersonen
und der vom Dichter gewollten Darstellung des Straßen¬
trubels und der Kriegsunruhen sind aber auch die Haupt¬
figuren nicht. Mag sein, daß die mangelhafte Aufführung
dazu beitrug. Fräulein Conrad, die so schön in naive,
mädchenhafte Rollen hineinpaßt, versagte, wenn sie die
männerbestrickende Schönheit Bolognas darstellen sollte
Ihre Kräfte reichten zur Darstellung leidenschaftlieher
Größe nicht aus. Außer Herrn Leilinger und
Herrn Jessen, der den Herzog spielte, waren
vielleicht auch manche andere nicht am Platz. Uns
schien aber auch, als wenn das Stück selbst — der Dichter
war ja zu den Proben selbst da und konnte sich seine
Schauspieler formen — den Darstellern nicht die zur Hin¬
gabe erforderliche Lust erweckte. Die Herren Johow, Reitz,
Lehrmann, Stange u. a. sind doch sonst nicht so matt.
Auch die Regie versagte in so vielen Stücken. Herr
Runge leistet doch sonst so Treffliches. Kurz, „der Schleier
der Beatrice“ hat keinen durchschlagenden Erfolg auf der
Bühne des Lobet# aters gefunden. Wem die Hauptschuld
beizumessen, überlassen wir dem Urtheil des Publikums,
dem wir den Besuch dieser Novität, und wenn es nun
aus Neugierde wäre, empfehlen. Wir können aber
voraussagen, ungetheiltes Lob wird an den Aufführungen
dieses Stückes im Lobetheater nur Herr Lettinger ernten.]
Telefon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnltt
„OBSERVER“
Nr. 2
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/, Türkenstrasse 17.
— Filiale. in Budapest: „Figyelé“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockbolm.
Frendenblatt
Ausschnitt aus:
vom 6. 000
644
— Ueber den Inhalt von Arthur Schnitzler's jüngstem Stück „Der
Schleierder Beatrice“ (bekannt geworden durch die seitens Doktor
Schlenther's erfolgte Ablehnung), das am letzten Samstag im Bres¬
lauer Stadttheater zum erstenmale aufgeführt worden ist, schreibt der „Berl.
Börsen=Cour.“: „Filippo Loschi, der von den Frauen Bolognas gehätschelte
Dichter, ist der gräflichen Braut untreu geworden, um der süßen Minne mit
dem schönsten Bürgerkinde der Stadt, mit Beatrice Nardi, zu plegen. Aber
dieses seltsame Geschöpf, an Jahren ein Kind, im Wesen halb sinnliche Teuselin,
halb hysterische Somnambule, erzählt eines Abends in naiver Perversität dem
Dichter einen Traum, in dem des jungen Herzogs von Bologna Mund sie ge¬
küßt hat. Der sensible Poet stößt die Gedankensünderin von sich. Nun ist Bea¬
trice drauf und dran, die ihr vom wackeren Bruder empfohlene Versorgung,
einen braven Brackenburg, zu nehmen. Schon will sie mit ihm zur Kirche, als
der Herzog zufällig des Weges kommt. Unter seinem Blick steht Beatrice ge¬
bannt, wie Käthchen vor Wetter vom Strahl, und erst als der herzogliche Bon¬
4 vivant sie aufs Schloß ladet, wacht Beatrice wieder auf und sagt schlicht und
dreist: „Ich möchte schon, aber nicht als Dirne, sondern als Herzogin.“ Der
Herzog ist auch damit einverstanden, und statt mit ihrem Brackenburg, geht
Beatrice mit ihrem Souvevän zur Kirche, während sich der Verschmähte
hinter der Szene erdolcht. Kaum ist Beatrice kirchlich getraut, als sie den sonder¬
baren Einfall hat, zwischen Zeremonie und Hochzeitsmahl ihrem früheren An¬
( beter Loschi eine Visite abzustatten. Sie trifft den Geliebten nach einer Orgie
in mißmuthiger Stimmung. Nach einem kurzen, wilden Liebesduo mit Beatrice
vergiftet sich Loschi aus Ekel vor sich und der gefürsteten Ungetreuen. Schreiend
entläuft Beatrice und verliert ihren kostbaren Schleier, des Herzogs Hochzeits¬
gabe. Der Fürst und die Seinen feiern derweil die Hochzeit ohne die Braut.
Politische Aktionen: Vertheidigungsmaßregeln gegen die päpstlichen Truppen des
verruchten Borgia, Folterung eines Spions, dem ein Auge ausgestochen wird,
„würzen“ den Gästen das Fest, bis Beatrice zurückkehrt und vom Herzog ins
Gebet genommen wird. Erst durch Androhung der Todesstrafe läßt sie sich
bewegen, den Gemal dorthin zu führen, wo sie den Schleier verloren hat. In
düsterer Nacht erscheinen Beide an Loschi's von einem Vorhang verdeckter Leiche.
Beatrice nimmt den Schleier und will den Gatten rasch entfernen. Der aber
zwingt sie, mit ihm den Morgen abzuwarten und entdeckt dann den Leichnam
des von ihm hochverehrten Dichters. Dev Herzog vertieft sich in die Züge des
Todten. Unterdessen bringt der tugendheldische Brudes Beatrice's die Lösunge
indem e die Schwester, die dreifache Verrätherin, ersticht. — Diese blur
rünstigen Vorgänge hat Schnitzler in den Purpurmantel einer blühendschenen
Sprache (Vers und Prosa) gehüllt, mit glänzenden Episoden, wuchtigen
teren und starken theatralischen Effekten ausgestattet, die durchaus
Dolch= und Giftmomenten gipseln.“ Die Darstellung findet der Vorres##
mangelhaft, da die Breslauer Bühne Mangel an Sprechern hat.
Schnitzler's hätte deshalb nicht gerade in Breslau seine Premie#e erleben
Schnitzler wurde oft gerufen — nach den beiden letzten Akten allerduigs
nicht ohne Opposition.
Serncgu
125
am Dichter, der einen Stoff behandelt, der dem großen
Publikum zu fern liegt, vielleicht an der Inscenirung, in¬
dem die Anforderungen dieses Schnitzler'schen Dramas die
Kräfte einer Bühne wie der des Lobetheaters überschreiten,
vielleicht an einzelnen Darstellern, besonders an den
Trägern der Hauptrollen. Kurz der Beifall, der dem an¬
50wesenden Dichter nach dem 3. und 4. Act wurde, war
Für
100 erstens kein allgemeiner und galt zum andern nur ihm, inclusive
200 nicht der Aufführung seines Stückes. Dessen Handlung, Porto.
500 das muß zum Verständniß des Ganzen vorausgeschickt Zahlbar
" 1000 werden, spielt im Jahre 1000 in Bologna, als diese Stadt in Voraus.
von dem gefürchteten Cesare Borgia umschlossen wird und
Im
vor dem Untergang steht. Es ist die letzte Nacht, die ihrente ist das
Abonneme
Herzog und seinen Bolognesern gegönnt ist. Das leidenscht es den
Abonnente
n.
schaftliche italienische Blut, zumal in jenen wilden Zeiten!
um die Wende des Jahrhunderts, wallt angesichts dieser
Dei Gefahr aus allen seinen Tiefen auf. Nur eine Nacht haltend die
Inhaltsal noch, sie muß genossen werden in wildem Sinnen=Morgen¬
blätte
rausch, denn morgen vielleicht sind wir todt. Nur wenn Zeitung“)
wodurche
wir diesen Grundgedanken festhalten, erscheint uns Viele: siche Leben
des In¬
in dem groß angelegten mit hunten wechselnden Bildern ttheilungen
werden in
ausgestatteten Drama verständlich. Sein Mittelpunkt, die
schöne junge Tochter eines Wappenschneiders, Beatrice
Nardi (Frl.Konrad) giebt sich trotz ihres Verlobten, dem ehr¬
lichen Gesellensin des Vaters Werkstatt Vittorino, des Dichter
Filippo Loschi hin, ihre Phantasie hängt aber noch an
Höherem, als der Herzog selbst ihr begegnet und sie für die
letzte Nacht für sich begehrt, wird sie sein, nur fordert sie das
Recht der angetrauten Gattin. Trotzdem verläßt sie das
Hochzeitsfest und eilt zu dem Dichter, von ihm die Seligkeit
einer Bravtnacht fordernd. Als der sich zum zweiten
Mal angewidert von diesem Weiberherzen und an
der Jämmerlichkeit des Menschenwesens verzweifelnd durch
Gist vor ihren Augen das Leben nimmt, gehl sie mit der Lüge,
sie sei in der Kirche beten gewesen, in die Hochzeitsgesellschaft
zurück. Ihr Schleier fehlt, sie hat ihn inder Wohnung Filippos.
zurückgelassen. In der Hoffnung, aus dem dunkeln
Zimmer, wo die Leiche liegt, ihn zu holen, kehrt sie in
Begleitung des Gatten dorthin zurück. Der aber entdeckt
den Leichnam und hat damit den Beweis der Untreue
Beatricens, die ihre Strafe durch den Dolch ihres eigenen
Bruders empfängt. „Was ist das für ein Wesen?“ so
fragen wir mit dem Herzog, „dieses Weib?“ Sie ist nicht
anders, als die anderen Kinder ihrer Zeit und dieser
tollen Nacht. Auch der Dichter Filippo hat seine Braut,
die Schwester seines Freundes, des Grasen Andrea Fan¬
tuzzi, verlassen, um Beatricens Mädchenschönheit willen.
Als sie den hochfliegenden Dichtergeist nicht befriedigt,
stürzt er sich in den Sinnentaumel einer durchzechten
Nacht mit zwei Florentiner Dirnen. Nachdem er sie aus
Ekel wieder hinausgetrieben, erscheint Rache fordernd
für
die verlassene, der Schwermuth verfallenden
Schwester Graf Andrea (Herr Marr).
Des Dichters
Stimmung schlägt um, er will Versöhnung heischend mit
zu Teresina gehen, da ruft ihn Beatricens Stimme; er
drängt den Freund zur Thür hinaus und läßt die schor
einmal verstoßene Geliebte wieder ein, um nach wildem
Gedankenaustausch vor ihren Augen den Giftbecher zu
trinken. Das gleiche frivole Spiel mit dem Menschen¬
leben und Sittlichkeit treibt das ganze Volk in Bologna.
Die morgen ins Feld ziehenden Soldaten suchen sich für
die letzte Nacht, da der Feind noch nicht zum Angriff ge¬
schritten, ihre „Dirnen“ unter den dafür empfänglichen
Bürgertöchtern Bolognas Doch das Stück hat auch seine
Höhen. Die Höhen der Leidenschaft im Dichterherzen und
ein Lettinger, der den Filippo spielte, riß uns an mehreren
Stellen hin, daß man auf Augenblicke vergessen konnte,
wie wenig sonst der Abend uns befriedigte. Unzweifelhaft
ist das Schnitzler'sche Drama groß angelegt und unter
dem Bewußtsein, welche Zeiten und Menschen, Italiener
in den Kriegszeiten des 16. Jahrhunderts, vor uns
lebendig werden sollen, verständlich. Klar herausgezeichnet
aus allem Beiwerk der allzu zahlreichen Nebenpersonen
und der vom Dichter gewollten Darstellung des Straßen¬
trubels und der Kriegsunruhen sind aber auch die Haupt¬
figuren nicht. Mag sein, daß die mangelhafte Aufführung
dazu beitrug. Fräulein Conrad, die so schön in naive,
mädchenhafte Rollen hineinpaßt, versagte, wenn sie die
männerbestrickende Schönheit Bolognas darstellen sollte
Ihre Kräfte reichten zur Darstellung leidenschaftlieher
Größe nicht aus. Außer Herrn Leilinger und
Herrn Jessen, der den Herzog spielte, waren
vielleicht auch manche andere nicht am Platz. Uns
schien aber auch, als wenn das Stück selbst — der Dichter
war ja zu den Proben selbst da und konnte sich seine
Schauspieler formen — den Darstellern nicht die zur Hin¬
gabe erforderliche Lust erweckte. Die Herren Johow, Reitz,
Lehrmann, Stange u. a. sind doch sonst nicht so matt.
Auch die Regie versagte in so vielen Stücken. Herr
Runge leistet doch sonst so Treffliches. Kurz, „der Schleier
der Beatrice“ hat keinen durchschlagenden Erfolg auf der
Bühne des Lobet# aters gefunden. Wem die Hauptschuld
beizumessen, überlassen wir dem Urtheil des Publikums,
dem wir den Besuch dieser Novität, und wenn es nun
aus Neugierde wäre, empfehlen. Wir können aber
voraussagen, ungetheiltes Lob wird an den Aufführungen
dieses Stückes im Lobetheater nur Herr Lettinger ernten.]
Telefon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnltt
„OBSERVER“
Nr. 2
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/, Türkenstrasse 17.
— Filiale. in Budapest: „Figyelé“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockbolm.
Frendenblatt
Ausschnitt aus:
vom 6. 000
644
— Ueber den Inhalt von Arthur Schnitzler's jüngstem Stück „Der
Schleierder Beatrice“ (bekannt geworden durch die seitens Doktor
Schlenther's erfolgte Ablehnung), das am letzten Samstag im Bres¬
lauer Stadttheater zum erstenmale aufgeführt worden ist, schreibt der „Berl.
Börsen=Cour.“: „Filippo Loschi, der von den Frauen Bolognas gehätschelte
Dichter, ist der gräflichen Braut untreu geworden, um der süßen Minne mit
dem schönsten Bürgerkinde der Stadt, mit Beatrice Nardi, zu plegen. Aber
dieses seltsame Geschöpf, an Jahren ein Kind, im Wesen halb sinnliche Teuselin,
halb hysterische Somnambule, erzählt eines Abends in naiver Perversität dem
Dichter einen Traum, in dem des jungen Herzogs von Bologna Mund sie ge¬
küßt hat. Der sensible Poet stößt die Gedankensünderin von sich. Nun ist Bea¬
trice drauf und dran, die ihr vom wackeren Bruder empfohlene Versorgung,
einen braven Brackenburg, zu nehmen. Schon will sie mit ihm zur Kirche, als
der Herzog zufällig des Weges kommt. Unter seinem Blick steht Beatrice ge¬
bannt, wie Käthchen vor Wetter vom Strahl, und erst als der herzogliche Bon¬
4 vivant sie aufs Schloß ladet, wacht Beatrice wieder auf und sagt schlicht und
dreist: „Ich möchte schon, aber nicht als Dirne, sondern als Herzogin.“ Der
Herzog ist auch damit einverstanden, und statt mit ihrem Brackenburg, geht
Beatrice mit ihrem Souvevän zur Kirche, während sich der Verschmähte
hinter der Szene erdolcht. Kaum ist Beatrice kirchlich getraut, als sie den sonder¬
baren Einfall hat, zwischen Zeremonie und Hochzeitsmahl ihrem früheren An¬
( beter Loschi eine Visite abzustatten. Sie trifft den Geliebten nach einer Orgie
in mißmuthiger Stimmung. Nach einem kurzen, wilden Liebesduo mit Beatrice
vergiftet sich Loschi aus Ekel vor sich und der gefürsteten Ungetreuen. Schreiend
entläuft Beatrice und verliert ihren kostbaren Schleier, des Herzogs Hochzeits¬
gabe. Der Fürst und die Seinen feiern derweil die Hochzeit ohne die Braut.
Politische Aktionen: Vertheidigungsmaßregeln gegen die päpstlichen Truppen des
verruchten Borgia, Folterung eines Spions, dem ein Auge ausgestochen wird,
„würzen“ den Gästen das Fest, bis Beatrice zurückkehrt und vom Herzog ins
Gebet genommen wird. Erst durch Androhung der Todesstrafe läßt sie sich
bewegen, den Gemal dorthin zu führen, wo sie den Schleier verloren hat. In
düsterer Nacht erscheinen Beide an Loschi's von einem Vorhang verdeckter Leiche.
Beatrice nimmt den Schleier und will den Gatten rasch entfernen. Der aber
zwingt sie, mit ihm den Morgen abzuwarten und entdeckt dann den Leichnam
des von ihm hochverehrten Dichters. Dev Herzog vertieft sich in die Züge des
Todten. Unterdessen bringt der tugendheldische Brudes Beatrice's die Lösunge
indem e die Schwester, die dreifache Verrätherin, ersticht. — Diese blur
rünstigen Vorgänge hat Schnitzler in den Purpurmantel einer blühendschenen
Sprache (Vers und Prosa) gehüllt, mit glänzenden Episoden, wuchtigen
teren und starken theatralischen Effekten ausgestattet, die durchaus
Dolch= und Giftmomenten gipseln.“ Die Darstellung findet der Vorres##
mangelhaft, da die Breslauer Bühne Mangel an Sprechern hat.
Schnitzler's hätte deshalb nicht gerade in Breslau seine Premie#e erleben
Schnitzler wurde oft gerufen — nach den beiden letzten Akten allerduigs
nicht ohne Opposition.
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