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14. Der Schleier der Beatrice
politischen Hintergrund des Seelendramas, gegen allerhand episo¬
dische Einfügungen, ein gewaltiger dünkt, möchte ich wegen der
argen Mängel der Aufführung kein hier doch nicht näher zu be¬
gründendes Urtheil fällen. In seinem vollen Wuchs wird sich diis
Schnitzler'sche Werk erst anderwärts zeigen können.
Ich füge also nur noch eine kurze Skizze der Vorgänge an,
betone aber, daß die sensationelle Note, die man aus der knappen
Erzählung heraushören könnte, in Wahrheit vor den reichen Har¬
Telefon 12801.
monien der dichterischen Behandlung verschwindet.
Beatrice Nardi, die schöne Tochter eines bologneser Bürgers
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
(daß dieser wahnsinnig ist, interessirt nur als Vererbungsmoment)
Ausschnltt
ist die Geliebte des Dichters Filippo Loschi. Sie erzählt ihm eines
„OBSERVER“
Nr.
schönen Abends, daß Herzog Bentivoglio ihr im Traume recht
gefährlich gewesen ist. Für Loschi beweist der Traum mehr, als
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
die Wirklichkeit, und er stößt die Gedunkensünderin von sich. Sie
tröstet sich mit dem von ihrem Bruder Francesco protegirten An¬
Wien, IX, Türkenstrasse 17.
beter Pittorino, den sie sofort, da die Zeit drängt, zu ehelichen
— Filiale in Budapest: „Figyeló“
beschließt, denn, wohlgemerkt, alle Ereignisse des fünfactigen Stückes
folgen sich in der Hast einer Nacht, der letzten vor dem Ver¬
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockbolm.
zweiflungskampfe Bolognas gegen den beutegierigen Cesare Borgia.
Zwischen Brauthaus und Kirche trifft Beatrice den Helden ihrer
Ausschnitt aus: Der Hanierist, Wien
schuldigen Träume, den Herzog von Bologna und unter seinen be¬
wundernden Blicken steht sie starr. Aber als er sie auf's Schloß
fordert zur Liebesnacht, wird sie wieder munter und flüstert hold:
vom2,0//7 1400
Ich möchte schon, aber als Dirne nicht, nur als Herzogin. Herr
Bentivoglio schließt auf der Stelke die Mesalliance, während sich
der arme Pittorino hinter der Scene ersticht. Gleich nach der
Trauung eilt die kleine Herzogin zu Loschi. Der aber stößt die ge¬
Ifürstete Geliebte zum zweitenmale von sich und nimmt Gift.
Beatrice flieht schreiend und läßt den Schleier, des Herzogs Braut¬
geschenk, bei der Leiche zurück. Vom Gatten hochnothpeinlich nach
Breslauer Bühnenbrief.“)
dem Verbleib des kostbaren Gewebes befragt, führt sie den Herzog
Das Ereignis der verflossenen Dekade war die Erstaufführung
in düsterer Nacht zu Loschi, rafft den Schleier und will fort. Der
von Arthur Schnitzler's Tragödie „Der Schleier der Beatrice“. Die
Herzog schöpft Verdacht, wartet den Morgen ab und sieht nun den
Conflicte, die diese Schöpfung schon vor ihrer Bühnengeburt zwischen
in den Falten des Vorhangs versteckten Leichnam. Holde Worte
dem Dichter und dem Burgtheater=Director Dr. Schlenther herauf¬
spricht der fürstliche Mäcen dem todten Dichter. Derweil erdolcht!
beschwor, sind in zu frischer Erinnerung, insbesondere der Wiener,
Bruder Francesco die hübsche Sünderin. Das ist der „Schleier der
Beatrice“.
als daß ich die Angelegenheit nochmals hier zu erörtern brauchte.
Genug, das Burgtheater wollte vom „Schleier der Beatrice“ nichts
Vom äußeren Erfolge sei berichtet, daß die ersten drei Acte
wissen und sehr merkwürdigerweise fand sich keine andere große
stärksten Beifall fanden. Dann aber fühlte sich das Publicum mehr
Bühne, die dem Autor der „Liebelei“ und des „Grünen Kakadu“.
und mehr von den Schwächen der Darstellung verletzt und zischte,
F
sverrangelweit die Thüren öffnete. Es gibt dafür eine Entschuldigung:
trotzdem der Dichter auf der Scene erschien.
7 die starken Ansprüche des in gewaltigen Maßen aufgebauten Dramas
Es bleibt mir leider kein Raum, ausführlich einer prachtvollen
g an Zahl und Können der betheiligten Künstler, an scenische Pracht
„Lohengrin“=Aufführung im Stadttheater zu gedenken, die von
gund vor Allem an die individuell ganz besondere Veranlagung der
unserem tapferen Kapellmeister Hertz von vielen Strichen (Ensemble
Vertreterin der weiblichen Hauptrolle. Director Dr. Löwe, der
des zweiten Actes!) gesäubert und wirklich neu einstudirt, wie eine
Abs Herr über die vereinigten Theater Breslaus, setzte sich über alle
Novität wirkte. Verblüffend gut waren die Chöre, früher der wundeste
Abo
diese Bedenken hinweg und bot sein Lobetheater für die Erst¬
Punkt unserer „Lohengrin“=Abende. Unter den Solisten standen in
aufführung an. Ich ehre diesen Wagemuth, aber — sein Gegentheil
erster Reihe Slezak (Lohengrin), Pewny (Elsa), Weiner (die
lnk wäre für alle Theile besser gewesen. Herr Dr. Schnitzler mußte
zum 75. Mate ohne Ablösung hier die Ortrud sang) und Wald¬
birsein Angstkind in arger Entstellung in die Welt des schönen Scheines
mann (König Heinrich), Herr Marsano war ein leidenschaft¬
Swol eintreten sehen und Herr Dr. Löwe hörte bei dieser Gelegenheit
licher Telramund, Herr Geißler ein tüchtiger Heerrufer.
des
per ganz besonders schwere Einwände gegen die Qualität seines Per¬
Dr. Erich Freund.
sonals. Und in der That, wenn eine Bühne nicht geeignet war
das wuchtige Renaissance=Drama Schnitzler's aus der Taufe zuk
heben, so war es unser Lobetheater mit seiner kleinen Scene, seinen
wenig zahlreichen ersten und noch weniger zahlreichen „zweiten"!
guten Kräften. Den Mangel einer für die Beatrice geeignetent
Schauspielerin rechne ich ihm nicht so sehr zur Schuld, obgleich das
Fehlen einer leistungsfähigen Sentimentalen in dem für dreis
Theater berechneten Personale nicht zu Gunsten der Engagements¬
Dispositionen spricht. Frl. Illing, die bei uns Alles machen muß
ist nicht genügend „sechzehnjährig“ für die Beatrice, und sobald
diese Künstlerin durch solch' äußere Rücksichten ausgeschlossen ist, steht
von dem für pikante, harte Charaktere veranlagten Frl. Gabris
abgesehen — keine einzige Kraft für eine mehr als die landläufige¬
Technik erfordernde Aufgabe bereit. In dieser Noth riskirten Director
und Dichter das Erperiment, eine bisher wenig erprobte Anfängerin,
Frl. Konrad, mit der Beatrice zu belasten. Das Experiment mi߬
glückte. Frl. Konrad ist eine sympathische Persönlichkeit, aber
keine Schönheit und Beatrice, die dem größten Dichter und dem
14. Der Schleier der Beatrice
politischen Hintergrund des Seelendramas, gegen allerhand episo¬
dische Einfügungen, ein gewaltiger dünkt, möchte ich wegen der
argen Mängel der Aufführung kein hier doch nicht näher zu be¬
gründendes Urtheil fällen. In seinem vollen Wuchs wird sich diis
Schnitzler'sche Werk erst anderwärts zeigen können.
Ich füge also nur noch eine kurze Skizze der Vorgänge an,
betone aber, daß die sensationelle Note, die man aus der knappen
Erzählung heraushören könnte, in Wahrheit vor den reichen Har¬
Telefon 12801.
monien der dichterischen Behandlung verschwindet.
Beatrice Nardi, die schöne Tochter eines bologneser Bürgers
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
(daß dieser wahnsinnig ist, interessirt nur als Vererbungsmoment)
Ausschnltt
ist die Geliebte des Dichters Filippo Loschi. Sie erzählt ihm eines
„OBSERVER“
Nr.
schönen Abends, daß Herzog Bentivoglio ihr im Traume recht
gefährlich gewesen ist. Für Loschi beweist der Traum mehr, als
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
die Wirklichkeit, und er stößt die Gedunkensünderin von sich. Sie
tröstet sich mit dem von ihrem Bruder Francesco protegirten An¬
Wien, IX, Türkenstrasse 17.
beter Pittorino, den sie sofort, da die Zeit drängt, zu ehelichen
— Filiale in Budapest: „Figyeló“
beschließt, denn, wohlgemerkt, alle Ereignisse des fünfactigen Stückes
folgen sich in der Hast einer Nacht, der letzten vor dem Ver¬
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockbolm.
zweiflungskampfe Bolognas gegen den beutegierigen Cesare Borgia.
Zwischen Brauthaus und Kirche trifft Beatrice den Helden ihrer
Ausschnitt aus: Der Hanierist, Wien
schuldigen Träume, den Herzog von Bologna und unter seinen be¬
wundernden Blicken steht sie starr. Aber als er sie auf's Schloß
fordert zur Liebesnacht, wird sie wieder munter und flüstert hold:
vom2,0//7 1400
Ich möchte schon, aber als Dirne nicht, nur als Herzogin. Herr
Bentivoglio schließt auf der Stelke die Mesalliance, während sich
der arme Pittorino hinter der Scene ersticht. Gleich nach der
Trauung eilt die kleine Herzogin zu Loschi. Der aber stößt die ge¬
Ifürstete Geliebte zum zweitenmale von sich und nimmt Gift.
Beatrice flieht schreiend und läßt den Schleier, des Herzogs Braut¬
geschenk, bei der Leiche zurück. Vom Gatten hochnothpeinlich nach
Breslauer Bühnenbrief.“)
dem Verbleib des kostbaren Gewebes befragt, führt sie den Herzog
Das Ereignis der verflossenen Dekade war die Erstaufführung
in düsterer Nacht zu Loschi, rafft den Schleier und will fort. Der
von Arthur Schnitzler's Tragödie „Der Schleier der Beatrice“. Die
Herzog schöpft Verdacht, wartet den Morgen ab und sieht nun den
Conflicte, die diese Schöpfung schon vor ihrer Bühnengeburt zwischen
in den Falten des Vorhangs versteckten Leichnam. Holde Worte
dem Dichter und dem Burgtheater=Director Dr. Schlenther herauf¬
spricht der fürstliche Mäcen dem todten Dichter. Derweil erdolcht!
beschwor, sind in zu frischer Erinnerung, insbesondere der Wiener,
Bruder Francesco die hübsche Sünderin. Das ist der „Schleier der
Beatrice“.
als daß ich die Angelegenheit nochmals hier zu erörtern brauchte.
Genug, das Burgtheater wollte vom „Schleier der Beatrice“ nichts
Vom äußeren Erfolge sei berichtet, daß die ersten drei Acte
wissen und sehr merkwürdigerweise fand sich keine andere große
stärksten Beifall fanden. Dann aber fühlte sich das Publicum mehr
Bühne, die dem Autor der „Liebelei“ und des „Grünen Kakadu“.
und mehr von den Schwächen der Darstellung verletzt und zischte,
F
sverrangelweit die Thüren öffnete. Es gibt dafür eine Entschuldigung:
trotzdem der Dichter auf der Scene erschien.
7 die starken Ansprüche des in gewaltigen Maßen aufgebauten Dramas
Es bleibt mir leider kein Raum, ausführlich einer prachtvollen
g an Zahl und Können der betheiligten Künstler, an scenische Pracht
„Lohengrin“=Aufführung im Stadttheater zu gedenken, die von
gund vor Allem an die individuell ganz besondere Veranlagung der
unserem tapferen Kapellmeister Hertz von vielen Strichen (Ensemble
Vertreterin der weiblichen Hauptrolle. Director Dr. Löwe, der
des zweiten Actes!) gesäubert und wirklich neu einstudirt, wie eine
Abs Herr über die vereinigten Theater Breslaus, setzte sich über alle
Novität wirkte. Verblüffend gut waren die Chöre, früher der wundeste
Abo
diese Bedenken hinweg und bot sein Lobetheater für die Erst¬
Punkt unserer „Lohengrin“=Abende. Unter den Solisten standen in
aufführung an. Ich ehre diesen Wagemuth, aber — sein Gegentheil
erster Reihe Slezak (Lohengrin), Pewny (Elsa), Weiner (die
lnk wäre für alle Theile besser gewesen. Herr Dr. Schnitzler mußte
zum 75. Mate ohne Ablösung hier die Ortrud sang) und Wald¬
birsein Angstkind in arger Entstellung in die Welt des schönen Scheines
mann (König Heinrich), Herr Marsano war ein leidenschaft¬
Swol eintreten sehen und Herr Dr. Löwe hörte bei dieser Gelegenheit
licher Telramund, Herr Geißler ein tüchtiger Heerrufer.
des
per ganz besonders schwere Einwände gegen die Qualität seines Per¬
Dr. Erich Freund.
sonals. Und in der That, wenn eine Bühne nicht geeignet war
das wuchtige Renaissance=Drama Schnitzler's aus der Taufe zuk
heben, so war es unser Lobetheater mit seiner kleinen Scene, seinen
wenig zahlreichen ersten und noch weniger zahlreichen „zweiten"!
guten Kräften. Den Mangel einer für die Beatrice geeignetent
Schauspielerin rechne ich ihm nicht so sehr zur Schuld, obgleich das
Fehlen einer leistungsfähigen Sentimentalen in dem für dreis
Theater berechneten Personale nicht zu Gunsten der Engagements¬
Dispositionen spricht. Frl. Illing, die bei uns Alles machen muß
ist nicht genügend „sechzehnjährig“ für die Beatrice, und sobald
diese Künstlerin durch solch' äußere Rücksichten ausgeschlossen ist, steht
von dem für pikante, harte Charaktere veranlagten Frl. Gabris
abgesehen — keine einzige Kraft für eine mehr als die landläufige¬
Technik erfordernde Aufgabe bereit. In dieser Noth riskirten Director
und Dichter das Erperiment, eine bisher wenig erprobte Anfängerin,
Frl. Konrad, mit der Beatrice zu belasten. Das Experiment mi߬
glückte. Frl. Konrad ist eine sympathische Persönlichkeit, aber
keine Schönheit und Beatrice, die dem größten Dichter und dem