II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 198

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14. Der Schleiender Restrice
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Aus dem Breslauer Kunstleben.
feineren Instinkten durch Schnitzler's Dichtergnaden? In der That, der rechte Durch¬
schnitt, das ist Schnitzler's Welt. Seine Helden, in denen doch nur das bischen Jugend¬
blut rumort, sind niemals aus den Grenzen des Philisteriums ausgebrochen. Niemals
repräsentieren sie ein klein wenig die Träger einer feinen Kulturhöhe; die gährenden
Probleme ihrer Zeit haben sie niemals mächtig gerüttelt. In dieser vielbejubelten Tragi¬
komödie „Der grüne Kakadu“ sehe ich nur die ungeheuer bezeichnende Art, die Welt¬
geschichte wienerisch in's Kleine zu zerren. Hermann Bahr dichtet einen Napoleon in
Unterhosen, und Schnitzler rahmt die größte That der modernen Historie in eine Welt
von Komödianten und Huren!
Nun endlich wollte er, den die Kritiklosigkeit der Reporter für das eigene Ver¬
mögen blind gemacht hat, uns das übermächtige Kulturbild der Renaissance entrollen.
Es ist von vornherein bezeichnend, daß ein Weib diese Welt um sich konzentrieren soll.
Was ihn überhaupt zu diesem Drama und diesem Stil gereizt haben mag, ist wohl
jener Rätseltypus: halb Kind, halb Hure. Hier voll quellend kindlicher Naivetät, dort
voll starrer Verlogenheit! Verderbt im tiefsten Kerne und doch mit dem zaubervoll süßen
Lächeln lockend, lockend. Etwa jener Weibtypus, den in einfach synthetischer Genialität
Frank Wedekind im „Erdgeist“ verkörpert hat, womit ich aber diesen cynischen Welt¬
betrachter beileibe kein Genie, sondern höchstens einen Spezialisten von unfehlbarer Sicher¬
heit heißen will. Dieser Weibcharakter könnte nun wirklich seine besonderen Reize haben.
Noch jeder Mann hat voll dunkler Angstigung vor diesen absurden Seelentiefen, vor
diesen schaurigen Abgründen gestanden. Hieße der Dichter dieses Frauenbildes zufällig
Strindberg, dann wären in mächtigen Linien die Horizonte in's Unabsehbare gestreckt.
Das Urweib stünde vor uns, voll ihrer Rätsel, Laster, Süßigkeiten. Schauder vor
der tiefsten Weibnatur wehten uns an. Das Menschliche in den Urlauten der Menschlich¬
keit, der großen, furchtbaren Weibmenschlichkeit spräche auf uns in flammenden, großen,
unvergeßlichen Worten ein. Wir wären in unserer tiefsten Mannesnatur aufgerüttelt ...
So würde es Strindberg, der Große und Reiche, gedichtet haben. Das Werk Schnitzler's
ist verworren, kläglich und durch und durch armselig. Eine arme Seele hat hier ihre
kleinen Schmerzen stammeln wollen. Seine Welt bewegt sich um ein kleines, hohles
Mädel, das er übrigens schattenhaft, unlebendig und urgewöhnlich zeichnet. Das Ur¬
gewöhnliche und Alltägliche, das ist Schnitzlers Signatur. Seine Männer sind von der
sträflichsten Banalität. Und am Ende entpuppt sich die sentimentale Ursache des
Werkes, wenn man als letzte Tragik hört, daß diese Dirne sogar einen „Dichter“ ver¬
dorben hat. Diese Sentimentalität, echt wienerischer Observanz, fällt arg unangenehm
auf die Nerven.
Dieses Theaterstück hat kein Dichter, auch nicht der allerkleinste, simpelste Poet
geschrieben. Armselig und leer und duftlos, hat Schnitzler sich an das Gemälde der
großen Renaissancekultur gewagt. Die Frauen jener Zeit mögen ausgesehen haben ähnlich
wie Jacobsens „Frau Marie Grubbe“, groß und mächtig, sicher nicht wie diese Beatrice,
deren Seelchen dürr und zusammengeflickt in den buntschillernden Bildchen herumwankt ...
Unsere „Freie Litterarische Vereinigung“, die seit Jahren dem Publikum
die persönliche Bekanntschaft mit den besten Schriftstellern vermittelt, pflegt nun auch
das Theater. Sie will Dramen aufführen, denen die öffentliche Bühne selten offen steht.
Wir sahen früher Hofmannsthals „Abenteurer und die Sängerin“ und jetzt Jacobsens
„Sturm". Eine Verwechslung mit seinem berühmteren und begabteren dänischen Namens¬
vetter wird Jacobsen nicht befürchten müssen. Sein Drama, für das ich nicht die leiseste
seelische Ursache gefunden habe, hat wenig mit der Kunst zu thun. Denn noch ist ein