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14. Der Schleier der Beatrice
innersten Herzen von der Erzählung abgestoßen enttäuscht
von sich. Sie geht nach Hause und läßt sich von
ihrem jugendlich=stürmischen Bruder Francesco über¬
reden, in den nächsten Stunden den Gehilfen
Vittorino zu heiraten, um ein rechtschaffenes Weib
zu werden. Auf dem Weg zur Kirche begegnet ihnen
der Herzog, der. berückt von Beatricens Schönheit,
die er schon einmal gesehen, stehen bleibt. Er ladet
sie ein, zu ihm aufs Schloß zu kommen, stolz
aber lehnt sie ab. Nur als seine Frau
wird sie das Schloß betretenz An diesem Abend,
dem letzten Bolognas, ist das Tollste gerade das
Beste, und in verliebter Laune macht sie der Herzog
zu seiner Frau und damit zur Herzogin. In einer
Stunde werden sie getraut, und der Gehilfe
Vittorino stößt sich aus Gram einen Dolch
ins Herz. Vom Festgelage im Schlosse aber
stiehlt sich Beatrice heimlich weg zu Filippo, nach
dem sie heftioe Sehnsucht. ergriffen hat. Filippo,
daran ihre Liebe erkennend, bittet sie, mit ihm ver¬
eint zu sterben, aber wie sie feige vor dem Tode
zurückschreckt, muß der verliebte Tor zum zweitenmal
erkennen, an welch hohles Wesen er sein Herz vergab¬
Er tötet sich. Beatrice, grauengeschüttelt, stürzt davon.
In der Erregung läßt sie den Schleier, den ihr der
Herzog schenkte, zurück. Im Schlosse, wo alles in
„Der Schleier der Beatrice.“
einem wilden Bacchanal sich wälzt, wird sie schon lange
vermißt. Plötzlich erscheint sie in bleicher Verstörtheit, auf
Schauspiel in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
die Fragen nach ihrem Verbleib redet sie sich ver¬
Erstaufführung gestern im Deutschen Theater.
logen aus, den Schleier, nach dem der Herzog fragt,
Jeder einzelne der fünf Akte fand seine scharfe.
will sie auf der Straße verloren haben. Schließlich
kampfsüchtige Opposition, die den starken Beifall der
aber, nachdem ihr Straflosigkeit zugesagt ist, führt
Mehrheit niederzwingen wollte. Der übliche
sie den Herzog in das Haus Filippos, wo dann die
Premierenkampf entspann
zwar, aber
sich
Abrechnung erfolgt. Sie, die den Tod zweier Männer
diejenigen, die ohne ihr Theaterskandälchen an einem
verschuldete, erhält von ihrem Bruder den Gnadenstoß.
Premieren=Sonnabend die ganze verflossene Woche
Nach den interessanten Ansätzen des ersten und
für verpfuscht halten, kamen nicht auf die Rechnung.
zweiten Aktes ertrinkt das Beste halb in bolog¬
Schnitzler konnte zum Schluß jedes Aktes vor den Vor¬
nesischen Staatsaktionen, halb in einem Uebermaß von
hang treten, und wenn's auch nur für wenige Sekunden
Schilderungen einer Zeit, die nie so gewesen, wie sie
war. Er hat sich durch ein Zuviel an Details, durch
Schnitzler bildet. Unvermittelt geht. es aus einer
allzu große Gründlichkeit der Motivierungen, durch die
Stimmung in die andere; aber es gelingt dem Dichter
breite Schilderung des Zeitkolorits und durch eine
zumeist, den großen Ton zu treffen, wenngleich er
Ueberfülle verknüpfter Handlungen ein Werk
mitunter gar zu sehr als unter dem direkten
verdorben, das große dichterische Schönheiten enthält
und geistvolle Momente hat, das aber in der
viel Schönes und Geistvolles aufklingt, haben oft die
eigenen Wirrnis ersticken muß. Außerdem wurde
Diktion
der Schlegelschen Shakespeare=Ueber¬
die Tragödie mit vielfach unzulänglichen
setzung. Einzelne Scenen sind von ungemein
schauspielerischen Mitteln gespielt, denn das
dramatischer Kraft und einer vollendeten Schön¬
Deutsche Theater ist in seiner augenblicklichen Zu¬
heit in der Linie. So die ganze Hälfte des
sammensetzung für eine Kunst diszipliniert, die der
dritten Aktes, der zum Schönsten gehört, was in den
des Schnitzlerichen Werkes diametral entgegengesetzt
letzten Jahren die deutsche Dramatik geschaffen. Es
ist.
Und so hat Schlenthers Brief, in welchem
ist wahrhaftig zu bedauern, daß sich Schnitzler in
er vor zwei Jahren dem Dichter abriet, sein Werk in
der Verteilung und Durcharbeitung seines Stoffes
Berlin geben zu lassen, eigentlich eine praktische
nicht mehr Mäßigung auferlegt hat, er hätte ein präch¬
Bestätigung gefunden. Trotzdem hat es gestern
tiges Werk geschaffen haben können.
einzelne ganz respektable Leistungen gegeben, aber ein
Die Darstellung mühte sich redlich mit Dingen,
Werk wie dieses verlangt einen bestimmten Stil, der
die ihr nicht liegen. Rittner als Filippo hatte viel
nicht von gestern auf heute zu erlangen ist.
Feuer und Kraft, allein ihm fehlt der Adel für
Schnitzler hat in seiner Beatrice der
solche Gestalten. Kayßler als Herzog hatte
Typus eines Weibes vorgeschwebt von der Art
wohl den Schwung für einen solchen Mann,
jener, die in aller Kindlichkeit sündhaft
jedoch für das Versesprechen fehlt ihm ein
sind, ohne schlecht zu sein. Uebles verschulden.
Drill, der unerläßlich ist. Denn Begabung hat
Von Mann zu Mann lockt sie eine innere Flatter¬
er dafür, wie keiner unter den jüngeren mehr:
haftigkeit, wenn sie Leid anrichten, weinen sie,
Irene Triesch als Beatrice war wohl voll
aber im nächsten Augenblick lachen sie um so heller.
Zoketterien, und auch di Kindlichkeiten hatte sie
Sie hat das Unglück, von den Männern zu schwer
und auch den Schrei des Schreckens, jedoch
genommen zu werden. Und daran gehen diese
verführerische Weib, das
ganz
und schließlich auch
sie zugrunde. Schnitzler
ologna den Kopf verdreht, das mußte sie
hätte dies Kätzchen in einer seiner Wiener
es ist
huldig bleiben. Die übrige Darstellung,
Komödien vorführen können, allein ihn lockten die
eine unüberschauliche Zahl von Rollen — hielt sich
Farben der italienischen Renaissance, und er brauchte den
im Mittelmaße herabgedrückter Ansprüche. Sauer,
Vers, um tieferen Gedanken und Gefühlen ein prunkend
Sommerstorff, die Dumont ausgenommen.
Staatsgewand zu geben. Die Wiener kokettierten schon in
Norbert Falk.
den Tagen des krassesten Naturalismus mit der Zeit Cesare
Borgias und Tizians; Hugo von Hofmannsthal war
unter ihnen der erste, der die genialen Gewalt¬
menschen und interessanten Machthaber, die sensiblen
Künstler und Kunstliebhaber aus Chroniken hervor=
holte und ihren Zweifelsinn, ihre Liebes¬
händel, ihre Gondelgeheimnisse, ihre Meuchel¬
morde und Kriege in farbigen Stimmungs¬
bildern nachzugestalten suchte. Die allgemeine Nietzsche¬
Trunkenheit erweckte ein Verwandtschaftsgefühl zu
den rücksichtslosen Herrenmenschen der goldenen Zeit
italienischer Städterepubliken und Tyrannenstaaten.
", Renaissance=Mensch“, das wurde ein Schlag¬
14. Der Schleier der Beatrice
innersten Herzen von der Erzählung abgestoßen enttäuscht
von sich. Sie geht nach Hause und läßt sich von
ihrem jugendlich=stürmischen Bruder Francesco über¬
reden, in den nächsten Stunden den Gehilfen
Vittorino zu heiraten, um ein rechtschaffenes Weib
zu werden. Auf dem Weg zur Kirche begegnet ihnen
der Herzog, der. berückt von Beatricens Schönheit,
die er schon einmal gesehen, stehen bleibt. Er ladet
sie ein, zu ihm aufs Schloß zu kommen, stolz
aber lehnt sie ab. Nur als seine Frau
wird sie das Schloß betretenz An diesem Abend,
dem letzten Bolognas, ist das Tollste gerade das
Beste, und in verliebter Laune macht sie der Herzog
zu seiner Frau und damit zur Herzogin. In einer
Stunde werden sie getraut, und der Gehilfe
Vittorino stößt sich aus Gram einen Dolch
ins Herz. Vom Festgelage im Schlosse aber
stiehlt sich Beatrice heimlich weg zu Filippo, nach
dem sie heftioe Sehnsucht. ergriffen hat. Filippo,
daran ihre Liebe erkennend, bittet sie, mit ihm ver¬
eint zu sterben, aber wie sie feige vor dem Tode
zurückschreckt, muß der verliebte Tor zum zweitenmal
erkennen, an welch hohles Wesen er sein Herz vergab¬
Er tötet sich. Beatrice, grauengeschüttelt, stürzt davon.
In der Erregung läßt sie den Schleier, den ihr der
Herzog schenkte, zurück. Im Schlosse, wo alles in
„Der Schleier der Beatrice.“
einem wilden Bacchanal sich wälzt, wird sie schon lange
vermißt. Plötzlich erscheint sie in bleicher Verstörtheit, auf
Schauspiel in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
die Fragen nach ihrem Verbleib redet sie sich ver¬
Erstaufführung gestern im Deutschen Theater.
logen aus, den Schleier, nach dem der Herzog fragt,
Jeder einzelne der fünf Akte fand seine scharfe.
will sie auf der Straße verloren haben. Schließlich
kampfsüchtige Opposition, die den starken Beifall der
aber, nachdem ihr Straflosigkeit zugesagt ist, führt
Mehrheit niederzwingen wollte. Der übliche
sie den Herzog in das Haus Filippos, wo dann die
Premierenkampf entspann
zwar, aber
sich
Abrechnung erfolgt. Sie, die den Tod zweier Männer
diejenigen, die ohne ihr Theaterskandälchen an einem
verschuldete, erhält von ihrem Bruder den Gnadenstoß.
Premieren=Sonnabend die ganze verflossene Woche
Nach den interessanten Ansätzen des ersten und
für verpfuscht halten, kamen nicht auf die Rechnung.
zweiten Aktes ertrinkt das Beste halb in bolog¬
Schnitzler konnte zum Schluß jedes Aktes vor den Vor¬
nesischen Staatsaktionen, halb in einem Uebermaß von
hang treten, und wenn's auch nur für wenige Sekunden
Schilderungen einer Zeit, die nie so gewesen, wie sie
war. Er hat sich durch ein Zuviel an Details, durch
Schnitzler bildet. Unvermittelt geht. es aus einer
allzu große Gründlichkeit der Motivierungen, durch die
Stimmung in die andere; aber es gelingt dem Dichter
breite Schilderung des Zeitkolorits und durch eine
zumeist, den großen Ton zu treffen, wenngleich er
Ueberfülle verknüpfter Handlungen ein Werk
mitunter gar zu sehr als unter dem direkten
verdorben, das große dichterische Schönheiten enthält
und geistvolle Momente hat, das aber in der
viel Schönes und Geistvolles aufklingt, haben oft die
eigenen Wirrnis ersticken muß. Außerdem wurde
Diktion
der Schlegelschen Shakespeare=Ueber¬
die Tragödie mit vielfach unzulänglichen
setzung. Einzelne Scenen sind von ungemein
schauspielerischen Mitteln gespielt, denn das
dramatischer Kraft und einer vollendeten Schön¬
Deutsche Theater ist in seiner augenblicklichen Zu¬
heit in der Linie. So die ganze Hälfte des
sammensetzung für eine Kunst diszipliniert, die der
dritten Aktes, der zum Schönsten gehört, was in den
des Schnitzlerichen Werkes diametral entgegengesetzt
letzten Jahren die deutsche Dramatik geschaffen. Es
ist.
Und so hat Schlenthers Brief, in welchem
ist wahrhaftig zu bedauern, daß sich Schnitzler in
er vor zwei Jahren dem Dichter abriet, sein Werk in
der Verteilung und Durcharbeitung seines Stoffes
Berlin geben zu lassen, eigentlich eine praktische
nicht mehr Mäßigung auferlegt hat, er hätte ein präch¬
Bestätigung gefunden. Trotzdem hat es gestern
tiges Werk geschaffen haben können.
einzelne ganz respektable Leistungen gegeben, aber ein
Die Darstellung mühte sich redlich mit Dingen,
Werk wie dieses verlangt einen bestimmten Stil, der
die ihr nicht liegen. Rittner als Filippo hatte viel
nicht von gestern auf heute zu erlangen ist.
Feuer und Kraft, allein ihm fehlt der Adel für
Schnitzler hat in seiner Beatrice der
solche Gestalten. Kayßler als Herzog hatte
Typus eines Weibes vorgeschwebt von der Art
wohl den Schwung für einen solchen Mann,
jener, die in aller Kindlichkeit sündhaft
jedoch für das Versesprechen fehlt ihm ein
sind, ohne schlecht zu sein. Uebles verschulden.
Drill, der unerläßlich ist. Denn Begabung hat
Von Mann zu Mann lockt sie eine innere Flatter¬
er dafür, wie keiner unter den jüngeren mehr:
haftigkeit, wenn sie Leid anrichten, weinen sie,
Irene Triesch als Beatrice war wohl voll
aber im nächsten Augenblick lachen sie um so heller.
Zoketterien, und auch di Kindlichkeiten hatte sie
Sie hat das Unglück, von den Männern zu schwer
und auch den Schrei des Schreckens, jedoch
genommen zu werden. Und daran gehen diese
verführerische Weib, das
ganz
und schließlich auch
sie zugrunde. Schnitzler
ologna den Kopf verdreht, das mußte sie
hätte dies Kätzchen in einer seiner Wiener
es ist
huldig bleiben. Die übrige Darstellung,
Komödien vorführen können, allein ihn lockten die
eine unüberschauliche Zahl von Rollen — hielt sich
Farben der italienischen Renaissance, und er brauchte den
im Mittelmaße herabgedrückter Ansprüche. Sauer,
Vers, um tieferen Gedanken und Gefühlen ein prunkend
Sommerstorff, die Dumont ausgenommen.
Staatsgewand zu geben. Die Wiener kokettierten schon in
Norbert Falk.
den Tagen des krassesten Naturalismus mit der Zeit Cesare
Borgias und Tizians; Hugo von Hofmannsthal war
unter ihnen der erste, der die genialen Gewalt¬
menschen und interessanten Machthaber, die sensiblen
Künstler und Kunstliebhaber aus Chroniken hervor=
holte und ihren Zweifelsinn, ihre Liebes¬
händel, ihre Gondelgeheimnisse, ihre Meuchel¬
morde und Kriege in farbigen Stimmungs¬
bildern nachzugestalten suchte. Die allgemeine Nietzsche¬
Trunkenheit erweckte ein Verwandtschaftsgefühl zu
den rücksichtslosen Herrenmenschen der goldenen Zeit
italienischer Städterepubliken und Tyrannenstaaten.
", Renaissance=Mensch“, das wurde ein Schlag¬