II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 301

esmgeweun. Der üllicht
Premierenkampf entspann sich
zwar, aber
diejenigen, die ohne ihr Theaterskandälchen an einem
Premieren=Sonnabend die ganze verflossene Woche
für verpfuscht halten, kamen nicht auf die Rechnung.
Schnitzler konnte zum Schluß jedes Aktes vor den Vor¬
hang treten, und wenn's auch nur für wenige Sekunden
war. Er hat sich durch ein Zuviel an Details, durch
allzu große Gründlichkeit der Motivierungen, durch die
breite Schilderung des Zeitkolorits und durch eine
Ueberfülle verknüpfter Handlungen ein Werk
verdorben, das große dichterische Schönheiten enthält
und geistvolle Momente hat, das aber in der
eigenen Wirrnis ersticken
muß. Außerdem wurde
die Tragödie mit vielfach
unzulänglichen
schauspielerischen Mitteln gespielt, denn das
Deutsche Theater ist in seiner augenblicklichen Zu¬
sommensetzung für eine Kunst diszipliniert, die der
des Schnitzlerschen Werkes diametral entgegengesetzt
ist. Und so hat Schlenthers Brief, in welchem
er vor zwei Jahren dem Dichter abriet, sein Werk in
Berlin geben zu lassen, eigentlich eine praktische
Bestätigung gefunden. Trotzdem hat es gestern
einzelne ganz respektable Leistungen gegeben, aber ein
Werk wie dieses verlangt einen bestimmten Stil, der
nicht von gestern auf heute zu erlangen ist.
Schnitzler hat in seiner Beatrice
der
Typus eines Weibes vorgeschwebt von der Art
jener, die in aller Kindlichkeit sündhaft
sind, ohne schlecht zu sein. Uebles verschulden.
Von Mann zu Mann lockt sie eine innere Flatter¬
haftigkeit, wenn sie Leid anrichten, weinen sie,
aber im nächsten Augenblick lachen sie um so heller.
Sie hat das Unglück, von den Männern zu schwer
genommen zu werden. Und daran gehen diese
und schließlich auch sie zugrunde. Schnitzler
hätte dies Kätzchen in einer seiner Wiener
Komödien vorführen können, allein ihn lockten die
Farben der italienischen Renaissance, und er brauchte den
Vers, um tieferen Gedanken und Gefühlen ein prunkend
Staatsgewand zu geben. Die Wiener kokettierten schon in
den Tagen des krassesten Naturalismus mit der Zeit Cesare
Borgias und Tizians; Hugo von Hofmannsthal war“
unter ihnen der erste, der die genialen Gewalt¬
menschen und interessanten Machthaber, die sensiblen
Künstler und Kunstliebhaber aus Chroniken hervor=
holte und ihren Zweifelsinn, ihre Liebes¬
händel, ihre Gondelgeheimnisse, ihre Meuchel¬
morde und Kriege in farbigen Stimmungs¬
bildern nachzugestalten suchte. Die allgemeine Nietzsche¬
Trunkenheit erweckte ein Verwandtschaftsgefühl zu
den rücksichtslosen Herrenmenschen der goldenen Zeit
italienischer Städterepubliken und Tyrannenstaaten.
„Renaissance=Mensch“, das wurde ein Schlag¬
vort von ganz besonderem Klang. Arthur Schnitzler, dem
die Derbheit kräftiger Naturalismen schon immer fremd
war, konnte leicht von den Reizen der Renaissance¬
Schönheit gefangen werden. Die kleine Studie wäre
ihm wohl gelungen, eine große Tragödie, oder wie
er sich die Aufgabe stellte: die „schwere“ Tragödie
mußte, seiner ganzen Veranlagung nach, über seine
Kraft gehen. Sein „Schleier der Beatrice“ zeigt ihn
als seiner Aufgabe unterlegen. Denn wieviel
Studiue und Arbeit auch in dem Werke stecken mag,
es trägt dennoch in seiner übermäßigen Ausbreitung
den Stempel der Gewaltsamkeit, und wenn
es auch Stellen von außerordentlicher Schön¬
heit hat,
so ist es
im ganzen in seiner
Handlung zwiespältig, bei allen Kompositions¬
künsten dennoch zerfahren. Allzuviel Detail, das zur
Charakteristik der Zeit und deren Kultur auf¬
geboten wird, versperrt dem geraden Gang der Dinge
den Weg. Die ersten Akte, in denen der Rotstift
des Regisseurs viel zu schaffen hatte, sind ungemein
zähe, und schier mühselig schält sich aus dem Hin und
Her der Kern der Dinge heraus.
Wir sind in Bologna. Zeit: Anfang des 16. Jahr¬
hunderts. Also Cinquecento, wie die Italiener sagen.
Die Stadt ist belagert. und Cesare Borgia ist im
Anmarsch, um sie zu stürmen. Die Bewohner werden
die letzte Nacht, die sie von ihrem Untergange trennt,
verjubeln. Filippo Loschi. der Poct, um dessen Freund¬
schaft der Herzog vergebens wirbt, will mit seiner
Geliebten Beatrice Nardi, eines Wappenschneiders
Töchterlein, um derenwillen er ein Verlöbnis mit
einer Edeldame brach, die Stadt verlassen. Aber als
ihm Beatrice verzückt erzählt, daß sie in einem
wonniglichen Traum dem Herzog, in den alle Weiber
vernarrt sind, angehört habe, weist er sie in
Wer Kacem un S g suhrr
sie den Herzog in das Haus Filippos, wo dann die
Abrechnung erfolgt. Sie, die den Tod zweier Männer
verschuldete, erhält von ihrem Bruder den Gnadenstoß.
Nach den interessanten Ansätzen des ersten und
zweiten Aktes ertrinkt das Beste halb in bolog¬
nesischen Staatsaktionen, halb in einem Uebermaß von
Schilderungen einer Zeit, die nie so gewesen, wie sie
Schnitzler bildet. Unvermittelt geht es aus einer
Stimmung in die andere; aber es gelingt dem Dichter
zumcist, den großen Ton zu treffen, wenngleich er
mitunter gar zu sehr als unter dem direkten
Druck Shakespeares erscheint. Die Verse, unter denen
viel Schönes und Geistvolles aufklingt, haben oft die
Diktion der

Schlegelschen Shakespeare=Ueber¬
setzung. Einzelne Scenen sind von ungemein
dramatischer Kraft und einer vollendeten Schön¬
heit in der Linie. So die ganze Hälfte des
dritten Aktes, der zum Schönsten gehört, was in den
letzten Jahren die deutsche Dramatik geschaffen. Es
ist wahrhaftig zu bedauern, daß sich Schnitzler in
der Verteilung und Durcharbeitung seines Stoffes
nicht mehr Mäßigung auferlegt hat, er hätte ein präch¬
tiges Werk geschaffen haben können.
Die Darstellung mühte sich redlich mit Dingen,
die ihr nicht liegen. Rittner als Filippo hatte viel
Feuer und Kraft, allein ihm fehlt der Adel für
solche Gestalten. Kayßler als Herzog hatte
wohl den Schwung für einen solchen Mann,
jedoch für das Versesprechen fehlt ihm ein
Drill, der unerläßlich ist Denn Begabung hat
er dafür, wie keiner unter den jüngeren mehr:
Irene Triesch als Bealrice war wohl voll
Koketterien, und auch di Kindlichkeiten hatte sie
und auch den Schrei des Schreckens, jedoch
das verführerische Weib, das ganz
Bologna den Kopf verdreht, das mußte sie
schuldig bleiben. Die übrige Darstellung,
es ist
eine unüberschauliche Zahl von Nollen — hielt sich
im Mittelmaße herabgedrückter Ansprüche. Sauer,
Sommerstorff, die Dumont ausgenommen.
Norbert Falk.