II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 327

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14: Der Schleiender Beatrice
schnelle Entschlüsse, und so kommt im Augenblicke] Beatrice schmähen, findet er die Lösung ihres
die Entscheidung: in einer Stunde tritt Herzog
Cheater, und, Musik.“
Wesens:
Lionardo Bentivoglio mit Beatrice vor den Trau¬
Warst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Ph. St. Im Deutschen Theater hat am
altar.
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
gestrigen Sonnabend Arthur Schnitzlers
Als Beatrice dem Herzog begegnete, war sie
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel,
fünfaktiges Drama „Der Schleier der Bea¬
auf dem Wege zur Kirche, zur Trauung mit ihrem
Mit eines Jünglings Herzen, weil's dir just
strice“ einen nicht unbestrittenen Erfolg errungen.
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Verlobten, dem jungen Vittorino, der sich nun, da
Und lindern's nicht, und jeder von uns wollte
Vom zweiten Akte ab konnte der Dichter wiederholt
sie dem Herzog folgen will, in jäher. Verzweiflung
Nicht nur das winz'ge Spielzeng sein — nein mehr,
erscheinen, aber dem sehr starken Beifall stellte
den Dolch ins Herz stößt. Verloren freilich hat
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
sich gestern nach dem dritten Akte eine leb¬
er sie schon fruher — seit drei Tagen ist Beatrice
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind!
hafte Opposition entgegen, als hätte man
die Geliebte Filippos, des gefeierten Dichters, der
Und dieses Kind, das sich immer wieder lebens¬
vergessen, daß uns
Schnitzler in seinen
um ihretwillen seine Braut Teresina aufgegeben
glühend vor dem Tode gefürchtet hat und dadurch
hat.
Lebendigen Stunden“ die wertvollste und be¬
Jähe Leidenschaft hatte die
beiden,
in List und Trug von Schmach zu Schmach ge¬
deutenbste Dichtung der vorigen Saison beschert
Filippo und Beatrice, zusammengeführt wie ein
kommen ist, wird jetzt von ihrem verlorenen Leben
hat. „Der Schleier der Beatrice“ ist etwa um
zwingendes, unentrinnbar scheinendes Verhängnis.
erlöst durch den Dolch ihres Bruders. Die drei
ein Jahr älter als jener Einakterzyklus. Auch
Filippo will ihr alles opfern, schon sind alle Vor¬
Hauptgestalten sind vorzüglich charakterisiert und
dieses Drama ist das Werk eines Dichters
bereitungen zu emeinsamer Flucht getroffen —
aufs feinste psychologisch bloßgelegt aus der Stim¬
er will die Buntheit des Lebens auf die Bühne
da erzählt ihm Beatrice naiv und ihrer Empfin¬
mung der Zeit und der Allgewalt der Stunde;
bringen, all den Farbenglanz, den er sieht, und
dungen unbewugt, daß sie vom Herzog geträumt
mit sichtlicher Liebe hat Schnitzler Art und Wesen
all das Leid, das aus den Schicksalen der
hat: .. . . Grüne Kerzen brannten in eine Ampel
des Poeten Filippo behandelt — ihn hat er die
Seele fließt, das Leben in all seiner krausen Ge¬
ob dem Bett, ich sab des Herzogs Augen leuchten
feinsten und tiefsten Worte sprechen lassen. Diese
staltung. Vielleicht hätte er das reiche Arabesken¬
über mir und fühlie seine Lippen nahe den meinen,
Gestalt allein schon ist ein Stück Tragödie.
werk seiner Dichtung weniger üppig her##leuchten
noch spürt ich ihren Hauch — und so erwacht' ich.“
Für die Inszenierung des an poetischen Schön¬
lassen, die dichterische Schaffensfreudig#t mehr
Filippo ist entsetzt, daß sie so mit beschmutzter
heiten reichen Werkes war sehr viel geschehen. Es
der Notwendigkeit dramatischer Knappheit unter¬
Seele zu ihm komme, daß ihre Seele auf Aben¬
boten sich prächtige, reiche und stimmungsfeine
ordnen sollen. Er schöpft aus reichen Schätzen,
teuer ausfliegen konnte, daß in den frechen
Szenenbilder. Darstellerisch das Bedeutendere gab
er
gibt seinen Bildern glänzendes Kolorit,
Wünschen ihrer Träume sie an andere Männer
Irene Triesch. Ihre Beatrice war eine Schöpfung
seine Poesie dringt in die Tiefen der Herzen und
hat denken können. Und er stößt sie von sich.
voll elementarer Echtheit, in der sich Naivität und
der Geschehnisse, erfreut und ergreift durch eine
So, unwissentlich, was sie verschuldet, ist
eine Art unbewußter instinktiver Verschlagenheit
Fülle feinster Beobachtungen. Aber allzu jäh für
heimgekehrt und hat sich zur Ehe mit Vittorino
wunderbar mischten. Oft hatte sie ergreifende
die Bühnenwirkung wechseln die Stimmungen;
bereit erklärt, „ausruh'n möchte ich bei dir, weil
Momente von künstlerischer Vollendung. Inter¬
um den Kern der Handlung, um die allein
ich so müde bin.“ Und nun da sie dem Herzog
essant und bedeutend faßte Kayßler die Rolle des
interessierenden drei Hauptpersonen schlingt sich
begegnet, gewinnt der Traum wieder über sie Ge¬
Herzogs, jugendlich kraftvoll beherrscht, im Schlu߬
eine Ueberfülle von Gestalten und Geschehnissen, die
walt — von Filippo verstoßen um einen Traum,
akt voll wirklicher Größe. Rittner als Filippo
uns kühl lassen. In seinem „Grünen Kakadu“ war jede
glaubt sie sich frei und verspricht sich dem Herzog.
ward zu Beginn dem Verstone Schnitzlers nicht ge¬
Gestalt interessant, die jähe Handlung packte, und
Doch da die Trauung vollzogen, eilt sie vom
recht, er nahm ihm den lyrischen Klang. Echt dagegen
der historische Hi#tergrund war von Bedeutung.
lärmenden Hochzeitsfest durch den lichtdurch¬
und künstlerisch stark wurde er, sobald das elegische
Im „Schleier der Beatrice“ aber empfinden wir
flackerten Garten, dann durch die dunkelen, stillen
— da fand er er¬
Element in seine Rolle trat
alles, was neben jenen drei Gestalten steht, als
Gassen zu
Filippo.
Sie fühit, daß sie
greifende Töne. Aus der Fülle der übrigen Dar¬
ein Hemmnis, und je mehr Schnitzler sich darin
alle Größe hingibt und alles Glück der
steller seien vor allem Sauer und Bassermunn
vertieft, desto mehr wirkt es wie eine Poeten¬
Erde, Licht und Leben, um einmal noch
hervorgehoben.
Trotz seiner Mängel ist das
laune, wie
retardicrendes Element,
in Filippos Arm zu ruhen. Sie kommt, um mit
Drama das Werk eines echten Dichters und zu¬
das die Straffheit der Komposition hindert.
Filippo zu sterben. Filippo leert den Gisthecher,
gleich ein Schritt weiter auf dem Wege zur Witder¬
In Vologna ist's, zu Beginn des 10. Jahr¬
doch sie vermag es nicht — ihr graust vor dem
gewinnung des historischen Dramas im Sinnes#
hunderts. Cesar von Borgia bedrängt die Stabt
Tod. Verzweifelt wirft sie sich über den toten Ge¬
moderner Kunst.
mit großer Heeresmacht und auf den Straßen Bo¬
liebten, dann, gehetzt von Todesangst und Lebens¬
lognas spricht man, als wäre morgen der jüngste
verlangen, stürzt sie davon, zurück zu ihrem Hoch¬
Tag, als wäre morgen der Vorgia in der Stadt
zeitsfest, zu dem Herzog. Doch ohne den
und die Franzosen und die Spanier dazu. Und
Schleier, der des Herzogs Hochzeitsgabe ge¬
ein wunderlich Gerücht läuft durch die Gassen: der
wesen. Da sie sich weigert, zu gestehen, wo
junge Herzog sei gewillt, eine Schöne zu erwählen
sie gewesen wo sie den Schleier verloren,
für diese letzte Nacht vor dem Entscheibungskampf.
soll sie dem Urteilsspruch der Richter übergeben
Der Herzog lächelt darob, er will diese Nacht sich zu
werden, das auf Tod lauten wird. Wiederum
erleseneren Freuden aufbewahren; er kennt die Liebe,
ergreift sie nun die Angst vor dem Tode, und sie
ihre Lust und ihren Ueberdruß, doch : hat er das
ist bereit, den Herzog hinzuführen, wo der
Schleier liegt.
Wunder der Liebe empfunden. Da
auf
der Straße Beatrice, des alten, Aotollen
Nun spielt sich in Filippos Gemach wuchtig
Nardi schöne Tochter, und nun überko mt es ihn
und ergreifend der Schlußakt ab. In der Mitte
wie ein Wunder. In einer Szene voll Leiden¬
des Gemache“ liegt leuchtend der Schleier.
schaft und Poesie wirbt er um Beatrice; — das
Beatrice hebt ihn empor und bittet den Herzog,
Mädchen will ihm folgen, doch nicht so, daß man sie
mit ihr hineinzugehen in ihr Brautgemach. Der
schmähen darf als Dirne: nur als seine Gattin, als
Herzog aber will sie hier schon als sein Weib
umarmen, will sie in den Alkoven ziehen und
Herzogin. Ihrer Schönheit Zaubermacht, die Er¬
regung der Stunde, der Fiebertaumel, der angesichts
stößt dort auf des Dichters Leiche. Von
der drohenden Femndesgefahr ge Bologna er¬
seinem hereindringenden Gefolge erfährt er, daß
griffen — das Alles schafft un vöhnliche und] er in Filippos Hause weilt, und während alle!