II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 350

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14. Der Schleier der Beatrice
Deutlichkeit der Dinge heraussuchen, dann ist eigentlich harmlosen Geschichte ergrimmt der Dichter Filippo aufs! kann sich der anspruchsvollste Mann und Dichter nicht!
der Reiz des Symbols schon vorbei. Es gibt in höchste, ihn ekelt vor der noch eben so heiß Geliebten,
mit einem jungen Weibe beruhigen, das aus der
einem anderen, berühmten, Drama, im „Othello“ von er sagt ihr die fürchterlichsten Worte und weist ihr die Herzogspracht davonläuft und zu dem Geliebten eilt,
Shakespeare, etwas scheinbar viel Prosaischeres als
Tür. In dieser Stimmung ist sie in das Elternhausl um mit ihm zu sterben? Und was für ein Dichter
einen Schleier, nämlich ein Taschentuch, allerdings
zurückgekehrt, hat die Bewerbung eines anderen Lieb¬
muß der Filippo gewesen sein, wenn er nicht den
auch das Brautgeschenk des liebenden Mannes an die
habers endlich erhört und sich entschlossen, ihm zum
Seelenzustand des armen Kindes begreift, das von
1 Geliebte; aber von welcher furchtbaren aus Symbol
Altar zu folgen. Da tritt, wie schon erzählt, der dem Geliebten listig übertölpelt und ohne vorherige
und Wirklichkeit gemischten Bedeutung wird Desdemonas
Herzog auf, ist geblendet von der seltenen Schönheit
Ankündigung der entscheidenden= Tat nun auf einmal
Taschentuch bei Shakespeare! In Arthur Schnitzlers
des Mädchens, begehrt sie für diese letzte Nacht zu
erfährt, es habe aus einem Weinbecher den Tod
Schauspiel dient der Schleier, abgesehen von seinem sehr
seiner Geliebten, macht sie aber zur Herzogin, als
getrunken?
" 8. März.
wirkungsvollen Anblick auf der Bühne, zu nichts Höherem,
Beatrice darauf besteht, am nächsten Morgen nicht als
Das Stück ließ kalt und mit Recht; aber zum
Schleier der
als zur Herbeiführung einer ganz gewöhnlichen Ent¬
seine Dirne angesehen zu werden. Vom herzoglichen
Zischen gab es wirklich keinen Anlaß. Es ist das
von Arthur
deckung des Aufenthaltes seiner Trägerin in einem
Hochzeitsmahle flieht sie zu ihrem einstigen Geliebten,
Werk eines Dichters, der sich im Stoff vergriff oder
anderen Hause als dem des Schenkers des Schleiers.
um mit ihm gemeinsam zu sterben. Durch ihren frei=der seine dichterischen Absichten nicht so klar aus¬
Glück gewesen Diese Entdeckung hätte auch auf jedem anderen Wege
willigen Opfertod will sie ihm beweisen, daß er sie
gesprochen, daß auch wir anderen sie verstehen konnten,
den spärlichen herbeigeführt werden können. Durch die Benennung
mit Unrecht als seiner unwürdig von sich gestoßen.
die wir doch in der Mehrzahl keine Dichter sind, auch
Ers nach dem des Stückes nach dem Schleier wird also die Auf¬
Filippo führt ein Possenspiel mit ihr auf, läßt
nicht zum Dichtersein verpflichtet sind. Stücke dieser
te, denn ohne
merksamkeit des Zuschauers auf einen Punkt gelenkt,
sie einen Becher Weines trinken und sagt ihr auf Art, wenn sie von einem so liebenswürdigen Dichter
kten wir heutej der von ganz nebensächlicher Bedeutung für Inhalt
einmal, sie habe den Tod daraus getrunken und be= wie Arthur Schnitzler herrühren, sollten mit achtungs¬
prechen. Das und Wert des Stückes ist, und dies ist unter allen
schimpft sie zum zweiten Mal, als sie unter den plötz= vollem Schweigen oder mit sanftem, achtungsvollem
Dem bekannten!
Umständen ein Stilfehler.
lichen Schauern des Todes die Fassung verliert. In
Beifall aufgenommen werden.
den verstärkten
Oder sollte ich mich geirrt haben, und sollte der ihrem Becher war gar kein Gift gewesen nur in seinem,
befriedigenden Dichter mit dem Schleier der Beatrice symbolisch den und nach einigen weiteren heftigen Worten, die den
Vielleicht wäre der Erfolg dennoch äußerlich
Künstlers mit holden Irrtum der Jugend und Arglosigkeit der
Zuhörer durch ihre Ungerechtigkeit und Roheit ver¬
stärker gewesen, hätten nicht einige der wichtigsten
chen, der sich Heldin angedeutet haben? Auch dann hätte er etwas
letzen, stürzt Filippo entseelt zu Boden. — Alles, was
Darsteller so gut wie ganz versagt. „Der Schleier der
Einspruch zu deutlicher werden sollen, denn diese feinen Beziehungen
Beatrice“ ist ein Stück, das nicht gesprochen, sondern
dieser merkwürdige Dichter im Namen und Auftrage
adezu alberne, fkamen den Zuhörern nicht zum Bewußtsein.
deklamiert werden will; deklamieren aber können
des Dichters Arthur Schnitzler an großwortigen
Veatrice ist die engelschöne Tochter armer Eltern
einige der besten Schauspieler des Deutschen Theaters
Redereien zum Besten gegeben hat, läßt uns kalt und
Enleitung, daß in Bologna irgend einmal im sechzehnten Jahrhundert
nicht mehr so z. B. Herr Rittner und Herr Basser¬
läßt uns gar sehr an der dichterischen Bedeutung des
de sein kann. unter irgend einem uns ganz unbekannten Herzog
mann. Gerade durch den Widerstreit zwischen der
Dichters Filippo zweifeln, wie es ja überhaupt ein sehr
t so oft über und zur Zeit einer der zahllosen italienischen Städte¬
getragenen Sprache der Dichtung und der Alltagsrede
mißliches Ding ist, uns auf der Bühne einen Dichter
en, wie etwa fehden. Bologna wird wieder einmal von einem der
einiger Schauspieler, zu denen leider auch Frau
als Dichter vorzuführen und uns an ihn glauben zu
r das gereicht gewaltigen Eroberer des sechzehnten Jahrhunderts
machen. Das ist nur ein einziges Mal in aller Welt¬
v. Pöllnitz gehörte, entstand eine Stilwidrigkeit, die
Ineswegs zum bedrängt, von einem Borgia, die Stadt ist in der literatur einem Dichter gelungen: dieser Dichter hieß
sehr peinlich wirkte.
ft dichterischer höchsten Not, denn schon morgen droht der Feind sie Goethe und der von ihm geschilderte Dichter ist Tasso.
Arthur Schnitzler wurde nach jedem Akt dem
Er zwei Jahren
zu stürmen, und voll bangen Schreckens sehen die
Bei Arthur Schnitzler kommt nichts weiter heraus als!
Widerspruche der Zischer zum Trotz vor den Vorhang
ble Umstände
Bürger Bolognas den nächsten Stunden entgegen.
ein arg verdrehter Mann, an dem der kundige Arzt
gerufen; er ist aber ein viel zu kluger Mann, um nicht
Da verbreitet sich durch die Stadt das Gerücht, ihr
vielleicht alle Zeichen der Hysterie entdecken würde, der
selbst die Unechtheit dieser Theaterhuldigung empfunden
Herzog wolle die letzte Nacht seines Lebens oder doch
EUNN
dichtungskundige Zuhörer aber keinen Dichter ent¬
zu haben.
E. E.
decken kann.
Nacktheit. seiner Herrschaft mit der schönsten Tochter Bolognas
Schnitzler dies¬
zubringen. Der freundliche Bühnenzufall fügt es, daß
Wie dann der zurückgelassene Schleier im letzten
00—
aus dichterisch
der Herzog bei seinem nächtlichen Gange durch die
Akt zur Entdeckung des Liebesverhältnisses zwischen¬
t kommt nicht
Stadt gerade vor das Haus der Beatrice
so schnell zur Herzogin erhobenen Beatrice und dem
Schnitzler seine
kommt und des schönen Mädchens ansichtig wird,
jetzt tot daliegenden Dichter führt, das hat für den
verstehen wir
just in dem Augenblick, wo sie, von ihrem
Zuhörer gar keinen Spannungsreiz mehr, wie uns
ingen. „Der
Bruder geführt, an der Seite ihres Bräutigams
auch die Erdolchung der armen Beatrice durch ihren
auf der Hand
zu nächtlicher Stunde in die Kirche gehen will, um
Bruder Francesco, Soldat und brav genau wie
sich dort zu vermählen. Es ist keine Ehe aus Liebe,
i meisten Zu¬
Valentin im Faust, nicht im geringsten berührt. Der
schleierhaft. sondern eine aus Verzweiflung: Beatrice hat drei
ganze Reiz des Stückes, soweit es überhaupt einen
Schleie., also Abende hinter einander in den Armen des Dichters
besitzt, ist mit dem Verhältnis zwischen Filippo und
de ein anderes
Filippo gelegen und nur durch eine ihr unbegreifliche
Beatrice erschöpft.
Schenkers, des
Aufwallung des Zornes ihres Geliebten ist sie von
So oft Filippo in dem Schauspiel von
s dem großen
ihm verstoßen und geradezu aus seinem Hause gejagt
Schnitzler den Mund auftut zu einer seiner
ll der Schleier
worden. Das sechzehnjährige Kind hat in einer
wortreichen Klagen und Anklagen, haben wir
zärtlichen Stunde ihrem Geliebten in aller Unschuld
aben? Wenn
Nichtbeteiligten nur das Gefühl: Wozu der
erzählt, daß sie geträumt, der Herzog habe ihr liebend
hrter Dichter!
ganze Lärm? Ist es ein so großes Verbrechen,
beabsichtigtes zugelächelt und sie an seiner Hand durch einen langen daß ein sechzehnjähriges Ding einen noch dazu ganz
der gemeinen Gang geleitet, und dann sei sie aufgewacht. Ob dieser unschuldigen Traum von seinem Herzog träumt? Und