II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 379

14.
Der Schlefer der Beatrice
Frl. mit ihren Gemahlinnen, Prinz Joachim Albrecht, der Herzog
Dar= von Ratibor mit zwei Brüdern, die Minister, die Inhaber der Hofämter.
welche Aber keineswegs nur an solche, welche zu aristokratischen Kreisen
und zur Hofgesellschaft gehören, waren die Karten gerichtet
nmög¬
gewesen. Gelehrte und Künstler mit ihren Frauen fehlten nicht
allein,
in der Schar der Gäste, und noch größer war die Zahl derjenigen,
Autor
die ohne weibliches Geleit gekommen waren. Die Damen
nd zu
— und solche von
erschienen in Balltoilette wie zu Hoffesten
keihülfe
großem Reichthum, von hoher Eleganz, von vollendetem Geschmack
ädchen
in der Stoff= und Farbenwahl wie der Decorirung gehörten nicht
der
zu den Seltenheiten — die Herren, die nicht militärische beziehungs¬
weise Marineuniform trugen, im Frack, die Inhaber höherer Orden
slauer
mit dem großen Bande unter der Weste. Die Mitte des großen Congre߬
es mir
saales nahm nicht wie an den parlamentarischen Abenden ein riesiges
g und
Buffet mit kalten Speisen ein, und keine gedeckten kleinen Tische waren
enschen
längs der Wände aufgestellt. Der weite Raum war völlig frei
hiedene
gehalten bis auf die an den Seitenwänden errichteten beiden
angen,
langen, reich mit Palmbäumen, Palmbüschen und mit farben¬
feise er¬
prächtigen, langstenglichen Blumen in hohen kostbaren Vasen
mischte
decorirten Buffets für Thee, Kaffee, Limonaden, Champagner,
n und
leichtes Backwerk, süße Erfrischungen und Sandwiches und bis
Mantel
auf den Platz vor den Fenstern in der Ostseite, die auf den
Werke
Vorhof und die Wilhelmstraße hinausgehen. Dieser Raum war
t; mit
den Musikern der ungarischen Capelle des Herrn Vöröz Miska
er fast
vorbehalten, die sich der besonderen Gunst und Protection der
mmen¬
Gemahlin unseres Reichskanzlers erfreut. Dort erklangen, durch
ärfsten
kurze Pausen unterbrochen, bis Mitternacht bald die schwer¬
großen
müthigen und sehnsuchtvollen, bald feurig bis zur Wildheit be¬
n, tief¬
schwingten Zigeunerweisen, ungarische Märsche und Tänze, abwechselnd
tungen,
mit den schönsten wiener Walzern, Opern= und Operettenmusik¬
Woche
stücken. Hier ließ sich die Gräfin, von einem Damenkreise umgeben,
stände.
angesichts dieser Capelle in einem der dort aufgestellten Rococo¬
in sehr
lehnsessel nieder und hielt da gleichsam Cercle. Der Reichskanzler
Das
wartete, in dem Ausgange der langen Vorhalle, in welche man von
durch
dem Stiegenhause im südlichen Flügel eintritt, stehend, bis der letzte
häufung
Gast erschienen war, um jeden und jede mit Handschlag zu be¬
ark und
grüßen und willkommen zu heißen. Wer inmitten dieser großen,
könnte.
glänzenden Gesellschaft nicht durch die Unterhaltung mit guten
Fahrt
Bekannten oder mit Damen und Herren, denen er hier erst vor¬
Bülow
gestellt worden war, oder durch die Freude an der Musik jener
bedruckt
Capelle in dem großen Saale festgehalten wurde, dem boten sich
März
andere Genüsse in sämmtlichen anderen den Gästen geöffneten
ochenen
Räumen. Vor allem in dem erst seit Graf Bülows Kanzlerschaft
gefolgt,
gänzlich umgeschaffenen, durch die Gräfin mit feinstem Geschmack
izollern
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künstlerisch ausgestatteten, möblirten und decorirten rothen
Renaissancesaal in dem an der Südseite des Gartens vor¬
springenden Flügel. Ueberall fand „man Gelegenheit vollauf, sich
aufs erbaulichste mit der eingehenden Betrachtung der diese Säle
und Gemächer in reicher Fülle schmückenden Meisterwerke alter
und neuerer Künstler zu unterhalten. Auch die Erdgescho߬
räume waren wieder für das Behagen der Gäste eingerichtet. Hier
stand das Buffet mit consistenteren Speisen, mit zahlreichen Gängen
eines kalten Soupers besetzt. Ein kühler Trunk vorzüglicher erster
Biere wurde den danach Begehrenden immer wieder frisch von der
Quelle credenzt, und jeder Raucher konnte das so schwer zu be¬
kämpfende Verlangen nach der geliebten Cigarre hier ungenirt
durch Rücksichten auf Damen und Nichtraucher befriedigen. Um
Mitternacht verstummte die Musik, und die Räume entleerten sich
rasch. Die letzten Gäste haben sie noch vor 1 Uhr verlassen.
Den Freunden der Schauspielkunst in Berlin ist seit dem
zweiten Tage dieses Monats eine Reihe von Festen im Berliner
Theater bereitet durch das Gastspiel der Frau Agnes Sorma.
Man sieht diesen Liebling des berliner Publikums immer mit der
gleichen Freude und innigen Sympathie wieder, und diese Freude
wird durch die Genugthuung vermehrt, welche wir der Erkenntniß
danken, daß die Meisterschaft dieser Künstlerin in
der
Menschendarstellung noch immer trotz der dazwischenliegenden
Jahre nichts von ihrer Größe verloren hat, wenn leider
auch ihre Erscheinung, zumal ihr etwas in die Breite
gegangenes Antlitz, manches von dem ehemaligen Liebreiz
einbüßen mußte. Als Nora in Ibsens populärstem Drama hat
sie wie nur je alle Seelen im Tiefsten ergriffen und erschüttert,
und wenn ich einen sehr einsichtigen, nicht leicht getäuschten und
geblendeten literarischen Kritiker von dieser Darstellung durch Agnes
Sorma sagen hörte: „Was sie da schafft und leistet, ist nicht minder
groß als — um das Größeste zu nennen — die Darstellung der
Cameliendame durch die Duse“, so muß ich ihm recht geben. Nicht
minder groß und echt und ergreifend fand ich Frau Sorma am
Dinstag in der Rolle des unglücklichen, von der tiefsten, innigsten,
hingebendsten Leidenschaft beseelten wiener Mädchens, der Tochter
des alten Musikanten in A. Schnitzlers dramatischem wiener Lebens¬
bilde „Liebelei“. Im ersten Act ist sie ganz und gar das stille,
ernste, scheue Mädchen, das in der Gesellschaft der lustigen, leicht¬
sebigen, lachenden Freundin zum ersten Male die Wohnung des
Geliebten betritt, aber bald, alles um sich herum vergessend, sich
einzig der heißen, starken Liebe zu ihm rückhaltlos hingiebt und
diese völlige Hingebung an ihn auf Tod und Leben in jedem Blick, re