II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 409

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14. Der Schleier der Beatrice
Die Zukunft.
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Mann vor dem großen Räthsel; immer von Neuem staunend. Da ist Eine,
die ich in der Klinik sah; siech, von den Launen ihrer Sinne verwüstet, ein
Schreckbild entzügelter Gier: und eines tüchtigen, geistig starken Mannes
Auge hängt an ihrem Wink wie fromme Sehnsucht am Munde des Priesters.
Da führt George Sand den leuchtenden Zug der Sünderinnen, die reulos
eines Künstlers Herzbrachen, und den Nachtrab, die dichte Schaar der Frauen,
die nie Ehrfurcht vor der Bedeutung des Mannes ihrer Wahl lernten, in
Demuth nie sich beschieden, an den Nerven des wichtigeren Menschen nicht
zu zerren, zu zupfen: und sie werden geduldet, geliebt gar und selten nur
entläuft ein verzweifelnder Sklave der Kette. Da ist Eine, die ein Jahr lang
mein war, in Taumeln mein, nicht fortathmen wollte, wenn dieses Band
risse, je diese Wonne endete, deren Male dem Fleisch, der Seele eingebrannt
sind: und nun stellt sie mich, sehr korrekt, dem Ehemann vor und plaudert,
ohne die Spur scheuer Befangenheit, von unserer „guten Kameradschaft“.
und neckt mich mit mondäner Schlüpfrede, als hätte ich damals in anderen
Fesseln geschmachtet. Das Alles vermag eine Frau. Das Alles, sagte Nietzsche,
wenn er hörte, wieder sei in der Welt hoher Intellektualität am Altar des
Eros ein Opfer gefallen, das Alles um ein kleines Mädchen. Geschlechts¬
genie? Angeborene Verbrechergewandtheit, ohne die das schwache Wesen
sich im Lebenskampf nicht erhalten hätte, das Alfred de Vigny, ein feiner
Graf, l’enfant malade et douze fois impure nannte? „Wie den Löwen
mit Klauen und Gebiß, den Elephanten mit Stoßzähnen, den Eber mit
Hauern, den Stier mit Hörnern und die Sepia mit Wasser trübender
Tinte, so hat die Natur das Weib mit Verstellungskraft ausgerüstet, zu seinem
Schutz und Wehr, und hat alle Kraft, die sie dem Mann als körperliche Stärke
und Vernunft verlieh, dem Weib in Gestalt jener Gabe zugewendet. Die
Verstellung istihm daher angeboren, deshalb auch fast so sehr dem dummen wie
dem klugen Weib eigen. Von ihr bei jeder Gelegenheit Gebrauch zu machen,
ist ihm so natürlich wie jenen Thieren, beim Angriff sogleich ihre Waffen an¬
zuwenden, und es empfindet sich dabei gewissermaßen als seine Rechte ge¬
brauchend.“ So urtheilt Schopenhauer; ein freilich verdächtiger Zeuge.
Was aber ists? Ein Mann würde als Genie bewundert, wenn er im Staats¬
dienst oder auf Verbrecherwegen an Täuscherkunst so viel leistete wie täglich
ein Dutzendmädchen. Staunend blickte Herr Doktor Schnitzler, der Arzt, der
Dichter, der Mann, auf die alte, die neue Frau Maja. Jus Pessimistische
neigte er stets, hat nie vorwärts gezeigt und oft — doch immer von der San¬
saraseite her — das Problema der Welt als Wille und Vorstellung be¬