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14. Der Schleier der Bestrice
Der Schleier der Beatrice.
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schnüffelt. Der junge Doktor schien in verba magistri Mephisto zu schwören,
der den Füchsen predigt, alles Weh und Ach der Weibheit sei aus einem
Punkt zu kuriren. Das schmeichelt; man pflückt erblühende Röslein, reißt
im Lenz schon Primeln und Himmelsschlüssel an sich und brüstet sich, män¬
nisch stolz, als Verfluchten Kerl. Die Weiber? Tota mulier in utero! Aber
man ist auch ein Bischen sentimental, ist ein Dichter, ein Dichter aus Wien,
weich und mit offenem Ohr für die Flüsterstimme des Mitleids. Und man
wird älter und merkt, daß die Sache nicht ganz so einfach ist, wie emsige
Jugend träumt. Mephistos Weisheit wuchs auf dem Blocksberg und seine
Rezepte wirken im Umgang mit Hexen. Menschenfrauen sind nicht nur Lust¬
thierchen, sind auch Mütter, Schwestern, Gefährtinnen, manchmal sogar
Menschen. Der Befruchter wird schnell mit ihnen fertig: Da hast Du Dein
Theil; sei nun der Gattung Gefäß! Wie aber steht Frau Maja vor unserem
Blick, wenn sie zu ihrer Hauptrolle der großen Gebärerin gar nicht erst
kommt? Wer so sie zu bilden vermöchte! Nicht aus dem Urschleim fordernder
und gesättiger Sinnlichkeit, sondern als intelligibles Wesen. Der kämehinter
das ewige Geheimniß. Der hielte den Schleier in seiner Hand und dürfte
dreist unter das nackte Gebild schreiben: Ecce femina.
Siehe: das Weib! Beatrice Nardi ist dem Sexualtrieb nicht blind unter¬
than; im Haus mütterlicher, schwesterlicher Schande kühlte vielleicht Ekel
das junge Blut. Sie läßt sich lieben. Nicht der Jünglingsleib Filippos lockt
sie: dem Zauber seiner adeligen Poetenseele ergiebt sie sich. Wäre sie sinn¬
lich, ihr Fleisch vergäße nicht schon am zweiten Tage, ahnte sich nicht in den Arm
eines Anderen. Siehat im Erwachsen vor sich hin geträumt; fortaus Engeund
Niedrigkeit. Ohne den bewußten Drang, die Räthsel des Daseins zu lösen,
die wache Augen schrecken, ohne andächtiges Staunen vor dem Unerforschten,
Unnennbaren, das der Mühen armen Verstandes spottet. Kindersinn denkt
nur in Märchenbildern. Als im Hirn des Vaters noch ein Lichtstümpfchen
glomm, erzählte er von Einem, der den Kopf ins Wasser tauchte und in einer
Minute so viele Abenteuer träumte, daß sie kaum in zwanzig Jahren zu er¬
leben gewesen wären. Seitdem träumt Beatrice von Abenteuern und wun¬
dert sich nicht, da sie kommen, in wirrer Buntheit sich häufen. Warum sollte
sie sich nicht geben, wiesie ist, warum einen Traum verschweigen? Der Freund
deutet ihn wohl; er steht so hoch und es ist so schön, von seinem Geist aus
dumpfem Thal sich auf Gipfel leiten zu lassen. Manche Frau empfand solche
Sehnsucht, solches Glück; fast jede möchte höher hinauf, das Geistesleben
des geliebten Mannes mitleben, aus einem Bergquell mit ihm trinken. Wenn
14. Der Schleier der Bestrice
Der Schleier der Beatrice.
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schnüffelt. Der junge Doktor schien in verba magistri Mephisto zu schwören,
der den Füchsen predigt, alles Weh und Ach der Weibheit sei aus einem
Punkt zu kuriren. Das schmeichelt; man pflückt erblühende Röslein, reißt
im Lenz schon Primeln und Himmelsschlüssel an sich und brüstet sich, män¬
nisch stolz, als Verfluchten Kerl. Die Weiber? Tota mulier in utero! Aber
man ist auch ein Bischen sentimental, ist ein Dichter, ein Dichter aus Wien,
weich und mit offenem Ohr für die Flüsterstimme des Mitleids. Und man
wird älter und merkt, daß die Sache nicht ganz so einfach ist, wie emsige
Jugend träumt. Mephistos Weisheit wuchs auf dem Blocksberg und seine
Rezepte wirken im Umgang mit Hexen. Menschenfrauen sind nicht nur Lust¬
thierchen, sind auch Mütter, Schwestern, Gefährtinnen, manchmal sogar
Menschen. Der Befruchter wird schnell mit ihnen fertig: Da hast Du Dein
Theil; sei nun der Gattung Gefäß! Wie aber steht Frau Maja vor unserem
Blick, wenn sie zu ihrer Hauptrolle der großen Gebärerin gar nicht erst
kommt? Wer so sie zu bilden vermöchte! Nicht aus dem Urschleim fordernder
und gesättiger Sinnlichkeit, sondern als intelligibles Wesen. Der kämehinter
das ewige Geheimniß. Der hielte den Schleier in seiner Hand und dürfte
dreist unter das nackte Gebild schreiben: Ecce femina.
Siehe: das Weib! Beatrice Nardi ist dem Sexualtrieb nicht blind unter¬
than; im Haus mütterlicher, schwesterlicher Schande kühlte vielleicht Ekel
das junge Blut. Sie läßt sich lieben. Nicht der Jünglingsleib Filippos lockt
sie: dem Zauber seiner adeligen Poetenseele ergiebt sie sich. Wäre sie sinn¬
lich, ihr Fleisch vergäße nicht schon am zweiten Tage, ahnte sich nicht in den Arm
eines Anderen. Siehat im Erwachsen vor sich hin geträumt; fortaus Engeund
Niedrigkeit. Ohne den bewußten Drang, die Räthsel des Daseins zu lösen,
die wache Augen schrecken, ohne andächtiges Staunen vor dem Unerforschten,
Unnennbaren, das der Mühen armen Verstandes spottet. Kindersinn denkt
nur in Märchenbildern. Als im Hirn des Vaters noch ein Lichtstümpfchen
glomm, erzählte er von Einem, der den Kopf ins Wasser tauchte und in einer
Minute so viele Abenteuer träumte, daß sie kaum in zwanzig Jahren zu er¬
leben gewesen wären. Seitdem träumt Beatrice von Abenteuern und wun¬
dert sich nicht, da sie kommen, in wirrer Buntheit sich häufen. Warum sollte
sie sich nicht geben, wiesie ist, warum einen Traum verschweigen? Der Freund
deutet ihn wohl; er steht so hoch und es ist so schön, von seinem Geist aus
dumpfem Thal sich auf Gipfel leiten zu lassen. Manche Frau empfand solche
Sehnsucht, solches Glück; fast jede möchte höher hinauf, das Geistesleben
des geliebten Mannes mitleben, aus einem Bergquell mit ihm trinken. Wenn