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14. Der Schleier der Beatrice
528
Die Zukunft.
vermag“. Ein Held aber, den Gewissen nie hemmte, war er nicht. Ein Poet,
daneben ein sentimentaler Genußsüchtling: aus anderem Stoff schuf Natur
die Schützer schwacher Weibheit. Arme Beatrice! In beiden Männern, die nach
ihrer täubchenhaft flatternden Seele haschten, war des Mannes zu wenig,
in Beiden vereint nicht so viel wie in dem Herakliden, der in Hebbels Fabel¬
lydien den Herrscherreif trug. Der bekannte freien Muthes vermessene Thor¬
heit vor der Frau: „Dein Schleier ist ein Theil von Deinem Selbst und
dennoch zerr' und zupf' ich stets an ihm und hätt' ihn gestern gern Dir ab¬
gerissen.“ Der richtet, da er sich schuldig findet, sich selbst in ruhiger Würde. Fi¬
lippo und Lionardo können den Schleier nicht missen, den ihre eitle Phantasie um
das Mädchen wob: für sie verliert Beatrice jeden Reiz, da sie schleierlos vor ihnen
steht. Der Herzog, vonkühlerer Art und deshalb der bessere Seelenerkenner, merkt
spät noch den Fehler: „Jeder von uns wollte nicht nur das einzige Spielzeug
sein, — nein, mehr: die ganze Welt!“ Und erhat schnell tröstende Erklärung:
Sie war ein Kind. Nicht ein Weib, das immer der Natur näher ist als der
Mann, näher bleiben mußte, weil es den Wust der Sittengesetze, des Glaubens.
und Wissens nicht durch die Jahrtausende zu schleppen hatte, t#eles, statt
über Büchern und Papierzusitzen, gebar und säugte und in natürlicher Funk¬
tion die Leben sichernden Organe nicht verzwergen und siech werden ließ? Ecce
femina. Aber die stolzen Herren der Schöpfung wollten nicht sehen. Auf
Abenteuer gingen sie aus, mochten nicht lange beim Bestellen des Feldes weilen
und wurden sehr ungnädig, da sie fanden, sie seien, all in ihrer Herrlichkeit,
einem Mädchenkopf nicht die ganze Welt. Siehe: der Mann! Sich selbst weiß
Loschi ewigen Gesetzen unterthan, wie das Blatt, den Acker, ringsum alles
Gesträuch, und lacht alter Spüke von Sündenschuld; gleich aber verurtheilt
er, ohne Erbarmen, die Frau, die sich von anderer Vorstellung determinirt
zeigt. Nur ein Weib! Den Adam schuf der Herr der Himmelsveste „zu
Gottes Bild“, die Eva aber baute er aus der Rippe des Menschen. Der My¬
thos wirkt fort, hemmt die Erkenntniß, daß jeder Mensch eine Welt für
sich ist, und führt, heute noch, zu der Forderung, die Frau müsse des Man¬
nes Ebenbild sein. Herr Oger starb nicht; und unzählige Weiber stöhnen
die Klage nach, die Shakespeares Fähnrichsfrau gegen die Männer seufzt:
Sie Alle sind nur Magen, wir nur Kost;
Sie schlingen uns hinab, und sind sie satt,
Spein sie uns aus.
.Wer weiß? Vielleicht würde Herr Schnitzler seines Dramas Sinn
ganz anders deuten. Ich zeigte es, wie ichs sah, wie es, an manchen Stellen
Der Schleier der B
nur aus einer blassen Skizze, mir lebendig
Erinnerungen an die Ibsen=Antinomie vof
trieb, an Gyges, die Jüdin von Toledo,
mannsthal, leise Töne sogar aus Musset#
klingen, dieses ungleich, wie von noch taste
hat viele Mängel. Das Volksgewimmel,
hätte klug kombinirende Geschicklichkeit es n
geschnitten. Der große Rausch und die gro
stimmung, die ich in armen Worten zu ma
dicht nur behauptet, nicht von plastischer Kun
ben aufgezwungen. Die wirre Fülle der Mot
deshalb — da das grelle Bühnenlicht nur un
lich scheint, entstellt die Architektur des Werke
würdiger Aufführung, wie das DeutscheThea
heit immer wieder in Irrniß verleiten. Loschi##
Und ein Merker hätte wohl noch allerlei Fel
das Drama nicht nur das beste, das diesem
fast Alles hin, was seit langen Jahren in
Zwar funkelt hier nicht das freche Genie d
oft überraschende Hellsicht des Herrn Haup
winkel; dafür entschädigt der sicherere Kunf
daß uns der Aerger an allzu sichtbarem Wide
erspart bleibt. Ein kultivirter Geist lädt uns
rer Schale, die feinste Frucht seines Wesens
Dem Dichter nachrechnen, wie die Frucht „e
diesem Stamm, unter diesem Phaeakenhimt
sie wuchs; und der Künstler, der sich selbst
lachen. Die schönste Freude war mir, daß
fumirten Liebeleien nicht loszukommen schie
Gegenstand gewagt und ihn im Bilden nich
Gedicht, in dem flüchtiger Blick nicht vil
chenkonflikt, ist wirklich Renaissance, nicht n
nicht die Staatsaktionen, die Kondottieretha
heute erbärmlich klein dünken, sondern führ
erwachender Seelen. Nichts nach außen gro
Sekunde lang quält uns die Frage, ob Cesa
logna beherrschen wird; aber wir fühlen de
14. Der Schleier der Beatrice
528
Die Zukunft.
vermag“. Ein Held aber, den Gewissen nie hemmte, war er nicht. Ein Poet,
daneben ein sentimentaler Genußsüchtling: aus anderem Stoff schuf Natur
die Schützer schwacher Weibheit. Arme Beatrice! In beiden Männern, die nach
ihrer täubchenhaft flatternden Seele haschten, war des Mannes zu wenig,
in Beiden vereint nicht so viel wie in dem Herakliden, der in Hebbels Fabel¬
lydien den Herrscherreif trug. Der bekannte freien Muthes vermessene Thor¬
heit vor der Frau: „Dein Schleier ist ein Theil von Deinem Selbst und
dennoch zerr' und zupf' ich stets an ihm und hätt' ihn gestern gern Dir ab¬
gerissen.“ Der richtet, da er sich schuldig findet, sich selbst in ruhiger Würde. Fi¬
lippo und Lionardo können den Schleier nicht missen, den ihre eitle Phantasie um
das Mädchen wob: für sie verliert Beatrice jeden Reiz, da sie schleierlos vor ihnen
steht. Der Herzog, vonkühlerer Art und deshalb der bessere Seelenerkenner, merkt
spät noch den Fehler: „Jeder von uns wollte nicht nur das einzige Spielzeug
sein, — nein, mehr: die ganze Welt!“ Und erhat schnell tröstende Erklärung:
Sie war ein Kind. Nicht ein Weib, das immer der Natur näher ist als der
Mann, näher bleiben mußte, weil es den Wust der Sittengesetze, des Glaubens.
und Wissens nicht durch die Jahrtausende zu schleppen hatte, t#eles, statt
über Büchern und Papierzusitzen, gebar und säugte und in natürlicher Funk¬
tion die Leben sichernden Organe nicht verzwergen und siech werden ließ? Ecce
femina. Aber die stolzen Herren der Schöpfung wollten nicht sehen. Auf
Abenteuer gingen sie aus, mochten nicht lange beim Bestellen des Feldes weilen
und wurden sehr ungnädig, da sie fanden, sie seien, all in ihrer Herrlichkeit,
einem Mädchenkopf nicht die ganze Welt. Siehe: der Mann! Sich selbst weiß
Loschi ewigen Gesetzen unterthan, wie das Blatt, den Acker, ringsum alles
Gesträuch, und lacht alter Spüke von Sündenschuld; gleich aber verurtheilt
er, ohne Erbarmen, die Frau, die sich von anderer Vorstellung determinirt
zeigt. Nur ein Weib! Den Adam schuf der Herr der Himmelsveste „zu
Gottes Bild“, die Eva aber baute er aus der Rippe des Menschen. Der My¬
thos wirkt fort, hemmt die Erkenntniß, daß jeder Mensch eine Welt für
sich ist, und führt, heute noch, zu der Forderung, die Frau müsse des Man¬
nes Ebenbild sein. Herr Oger starb nicht; und unzählige Weiber stöhnen
die Klage nach, die Shakespeares Fähnrichsfrau gegen die Männer seufzt:
Sie Alle sind nur Magen, wir nur Kost;
Sie schlingen uns hinab, und sind sie satt,
Spein sie uns aus.
.Wer weiß? Vielleicht würde Herr Schnitzler seines Dramas Sinn
ganz anders deuten. Ich zeigte es, wie ichs sah, wie es, an manchen Stellen
Der Schleier der B
nur aus einer blassen Skizze, mir lebendig
Erinnerungen an die Ibsen=Antinomie vof
trieb, an Gyges, die Jüdin von Toledo,
mannsthal, leise Töne sogar aus Musset#
klingen, dieses ungleich, wie von noch taste
hat viele Mängel. Das Volksgewimmel,
hätte klug kombinirende Geschicklichkeit es n
geschnitten. Der große Rausch und die gro
stimmung, die ich in armen Worten zu ma
dicht nur behauptet, nicht von plastischer Kun
ben aufgezwungen. Die wirre Fülle der Mot
deshalb — da das grelle Bühnenlicht nur un
lich scheint, entstellt die Architektur des Werke
würdiger Aufführung, wie das DeutscheThea
heit immer wieder in Irrniß verleiten. Loschi##
Und ein Merker hätte wohl noch allerlei Fel
das Drama nicht nur das beste, das diesem
fast Alles hin, was seit langen Jahren in
Zwar funkelt hier nicht das freche Genie d
oft überraschende Hellsicht des Herrn Haup
winkel; dafür entschädigt der sicherere Kunf
daß uns der Aerger an allzu sichtbarem Wide
erspart bleibt. Ein kultivirter Geist lädt uns
rer Schale, die feinste Frucht seines Wesens
Dem Dichter nachrechnen, wie die Frucht „e
diesem Stamm, unter diesem Phaeakenhimt
sie wuchs; und der Künstler, der sich selbst
lachen. Die schönste Freude war mir, daß
fumirten Liebeleien nicht loszukommen schie
Gegenstand gewagt und ihn im Bilden nich
Gedicht, in dem flüchtiger Blick nicht vil
chenkonflikt, ist wirklich Renaissance, nicht n
nicht die Staatsaktionen, die Kondottieretha
heute erbärmlich klein dünken, sondern führ
erwachender Seelen. Nichts nach außen gro
Sekunde lang quält uns die Frage, ob Cesa
logna beherrschen wird; aber wir fühlen de