II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 414

box 20/4
14. Der Schleier der Beatrice
Der Schleier der Beatrice.
529
Die Zukunft.
nur aus einer blassen Skizze, mir lebendig wurde. Dieses Drama, in das
ber, den Gewissen nie hemmte, war er nicht. Ein Poet,
Erinnerungen an die Ibsen=Antinomie von Willenskraft und Erkenntni߬
ktaler Genußsüchtling: aus anderem Stoff schuf Natur
trieb, an Gyges, die Jüdin von Toledo, die Sobelde des Herrn von Hof¬
Weibheit. Arme Beatrice! In beiden Männern, die nach
mannsthal, leise Töne sogar aus Mussets jung gestorbener Welt hinein¬
tternden Seele haschten, war des Mannes zu wenig,
klingen, dieses ungleich, wie von noch tastenden Händen gefügte Schauspiel
t so viel wie in dem Herakliden, der in Hebbels Fabel¬
hat viele Mängel. Das Volksgewimmel, alles Politische bleibt leblos, als
eif trug. Der bekannte freien Muthes vermessene Thor¬
hätte klug kombinirende Geschicklichkeit es mit bewährter Technik aus Pappe
Dein Schleier ist ein Theil von Deinem Selbst und
geschnitten. Der große Rausch und die große Furcht, die Weltuntergangs¬
pf' ich stets an ihm und hätt' ihn gestern gern Dir ab¬
stimmung, die ich in armen Worten zu malen versuchte, wird auch im Ge¬
daer sich schuldig findet, sich selbst in ruhiger Würde. Fi¬
dicht nur behauptet, nicht von plastischer Kunst in starken Gestalten dem Glau¬
inen den Schleier nicht missen, den ihre eitle Phantasie um
ben aufgezwungen. Die wirre Fülle der Motive, deren manches unnöthig und
sie verliert Beatrice jeden Reiz, da sie schleierlos vor ihnen
deshalb — da das grelle Bühnenlicht nur unbedingt Nöthigesduldet — schäd¬
kühlerer Art und deshalb der bessere Seelenerkenner, merkt
lich scheint, entstellt die Architektur des Werkes und müßte, auch beinicht so un¬
„Jeder von uns wollte nicht nur das einzige Spielzeug
würdiger Aufführung, wie das DeutscheTheater sie bot, den Hörer aus der Klar¬
die ganze Welt!“ Und er hat schnell tröstende Erklärung:
heit immer wieder in Irrniß verleiten. Loschis letzter Entschlußwirkt wie Laune.
Nicht ein Weib, das immer der Natur näher ist als der
Und ein Merker hätte wohl noch allerlei Fehler auf seiner Liste. Dennoch ist
mußte, weil es den Wust der Sittengesetze, des Glaubens.
das Drama nicht nur das beste, das diesem Dichter gelang: es ragt auch über
urch die Jahrtausende zu schleppen hatte, weil es, statt
fast Alles hin, was seit langen Jahren im deutschen Sprachgebiet reifte.
pier zusitzen, gebar und säugte und in natürlicher Funk¬
Zwar funkelt hier nicht das freche Genie des Herrn Wedekind, enthüllt die
en Organe nicht verzwergen und siech werden ließ? Ecce
oft überraschende Hellsicht des Herrn Hauptmann nicht ungeahnte Seelen¬
kolzen Herren der Schöpfung wollten nicht sehen. Auf
winkel; dafür entschädigt der sicherere Kunstgeschmack und das Frohgefühl,
hus, mochten nicht lange beim Bestellen des Feldes weilen
daß uns der Aerger an allzu sichtbarem Widerstreitzwischen Kraft und Wollen
nädig, da sie fanden, sie seien, all in ihrer Herrlichkeit,
erspart bleibt. Ein kultivirter Geist lädt uns zu Gast und setzt uns, in saube¬
icht die ganze Welt. Siehe: der Mann! Sich selbst weiß
rer Schale, die feinste Frucht seines Wesens vor. Wer darf da langemäkeln?
en unterthan, wie das Blatt, den Acker, ringsum alles
Dem Dichter nachrechnen, wie die Frucht eigentlich“ wachsen mußte? Auf
alter Spüke von Sündenschuld; gleich aber verurtheilt
diesem Stamm, unter diesem Phaeakenhimmel konnte sie nur wachsen, wie
die Frau, die sich von anderer Vorstellung determinirt
sie wuchs; und der Künstler, der sich selbst getreu war, kann aller Tadler
b! Den Adam schuf der Herr der Himmelsveste „zu
lachen. Die schönste Freude war mir, daß Herr Schnitzler, der von par¬
a aber baute er aus der Rippe des Menschen. Der My¬
fumirten Liebeleien nicht loszukommen schien, sich überhaupt an den großen
hmt die Erkenntniß, daß jeder Mensch eine Welt für
Gegenstand gewagt und ihn im Bilden nicht verniedlicht hat. In seinem
eute noch, zu der Forderung, die Frau müsse des Man¬
Gedicht, in dem flüchtiger Blick nicht viel mehr sieht als einen Mäd¬
Herr Oger starb nicht; und unzählige Weiber stöhnen
chenkonflikt, ist wirklich Renaissance, nicht nur ihr Kleid. Der Wiener griff
Shakespeares Fähnrichsfrau gegen die Männer seufzt:
nicht die Staatsaktionen, die Kondottierethaten und Pfaffentücken, die uns
ie Alle sind nur Magen, wir nur Kost;
heute erbärmlich klein dünken, sondern führte uns in die Morgenstimmung
Hie schlingen uns hinab, und sind sie satt,
pein sie uns aus.
erwachender Seelen. Nichts nach außen groß Wirkendes geschieht und keine
Sekunde lang quält uns die Frage, ob Cesa#e, ob Lionardo siegen und Bo¬
* Vielleicht würde Herr Schnitzler seines Dramas Sinn
logna beherrschen wird; aber wir fühlen den Wandel der Weltanschauung
Ich zeigte es, wie ichs sah, wie es, an manchen Stellen