14: Der Schleier der Beatrice box 20/4
Dramatische Profile.
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„Warst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's dir just
Geschenkt ward? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jedes von uns wollte
Nicht nur das einfache Spielzeug sein — nein mehr,
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind.“
Für die Motive, die hier angeschlagen werden, ist diese Art der Behand¬
lung, einen Widerspruchsakt neben den anderen zu stellen und uns schließlich mit
einem Vers abzuspeisen, zu bequem und unzureichend.
Was Schnitzler wollte, ist dabei wohl nachzufühlen, und die Linien seines
Problementwurfs lassen sich unabhängig von Bologna und Renaissancekostüm
unschwer nachziehn.
Ihn, dem erotische Psychologie die höchste Psychologie ist, lockte das
Problem des Instinktgeschöpfes. Die Beatrice ist der „Jüdin von Toledo“
Grillparzers verwandt, ein Elementarwesen, das nicht denkt, nicht folgert, nie
über sich selbst gestannt, das dem Momente folgt, instinktiv, schlafwandelnd fast,
ohne „Erkenntnis des Guten und Bösen“. Weil sie nicht im Zusammenhang
sieht und immer jedem Momentanzug der Natur sich überläßt, handelt sie schlie߬
lich immer natürlich, auch wenn sie im nächsten Augenblick das Entgegengesetzte tut.
Sie lebt nur gegenwärtig; was vorbei ist, vergaß sie, darum erstarrt sie, daß alle
Geschehnisse, die sie nie aus einem Verantwortlichkeitsgefühl heraus zu überblicken
vermochte, mit unheimlicher Macht sie umstricken und Rechenschaft von ihr fordern.
Das wollte Schnitzler zeigen, ein Triebgeschöpf, das, ohne es zu wollen
und zu wissen, in Dumpfheit des Bewußtseins, mit einem Kinderlächeln um den
Mund, Verderben bringt, wohin es tritt, und das, gefragt und angeklagt, stumm
und hilflos mit verängstigten Augen dasteht, eine Strafe zu erwarten, deren
Grund es nicht versteht. Nur ahnen kann man das aber aus dieser Dichtung,
die aus Geschehnissen und Worten besteht, doch keine Seelenunmittelbarkeit schafft.
Wer die Schnitzlerwelt kennt, wird übrigens leicht die Zusammenhänge finden.
Der „Schleier der Beatrice“ ist eine ornamentale Stilisierung der Motive aus
dem „Anatol“, jenen mondänen Dialogen voll Skepsis und Zärtlichkeit, voll
Sentimentalität und philosophischer Bijouterie eines Müßiggängers, der Gefühle
züchtet, wie ein anderer die Blumen auf seinem Fensterbrett. Anatol ist, wie der
selbstquälerische, verschmachtende Filippo, ein „Hypochonder der Liebe“ voll „Wirr¬
warr des Einst und Jetzt und Später". Und Beatrice ist nur eine Renaissance¬
Kostümierung jener Flatterweibchen, von denen Anatol achselzuckend müde sagt:
„Sie ist wie jede, liebt das Leben und denkt nicht nach.“
Die Anatolwelt mit ihren Miniaturschicksalen füllte Schnitzler aus, als er
sie aber zum wirklichen, zermalmenden Schicksal erhöhen wollte und zur Tragik
auf weitem, bedeutendem Hintergrund lodernder Zeit — Lebensrausch im Schatten
des Todes —, da ward er unsicher.
Die „griffelhaltende Gebärde“ Konrad Ferdinand Meyers, sein herrisches
Schalten mit seltenem Gerät und seltenen Menschen, liegt der nervösen, zer¬
fasernden Art des Wieners weit fern.
Felix Poppenberg.
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Dramatische Profile.
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„Warst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's dir just
Geschenkt ward? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jedes von uns wollte
Nicht nur das einfache Spielzeug sein — nein mehr,
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind.“
Für die Motive, die hier angeschlagen werden, ist diese Art der Behand¬
lung, einen Widerspruchsakt neben den anderen zu stellen und uns schließlich mit
einem Vers abzuspeisen, zu bequem und unzureichend.
Was Schnitzler wollte, ist dabei wohl nachzufühlen, und die Linien seines
Problementwurfs lassen sich unabhängig von Bologna und Renaissancekostüm
unschwer nachziehn.
Ihn, dem erotische Psychologie die höchste Psychologie ist, lockte das
Problem des Instinktgeschöpfes. Die Beatrice ist der „Jüdin von Toledo“
Grillparzers verwandt, ein Elementarwesen, das nicht denkt, nicht folgert, nie
über sich selbst gestannt, das dem Momente folgt, instinktiv, schlafwandelnd fast,
ohne „Erkenntnis des Guten und Bösen“. Weil sie nicht im Zusammenhang
sieht und immer jedem Momentanzug der Natur sich überläßt, handelt sie schlie߬
lich immer natürlich, auch wenn sie im nächsten Augenblick das Entgegengesetzte tut.
Sie lebt nur gegenwärtig; was vorbei ist, vergaß sie, darum erstarrt sie, daß alle
Geschehnisse, die sie nie aus einem Verantwortlichkeitsgefühl heraus zu überblicken
vermochte, mit unheimlicher Macht sie umstricken und Rechenschaft von ihr fordern.
Das wollte Schnitzler zeigen, ein Triebgeschöpf, das, ohne es zu wollen
und zu wissen, in Dumpfheit des Bewußtseins, mit einem Kinderlächeln um den
Mund, Verderben bringt, wohin es tritt, und das, gefragt und angeklagt, stumm
und hilflos mit verängstigten Augen dasteht, eine Strafe zu erwarten, deren
Grund es nicht versteht. Nur ahnen kann man das aber aus dieser Dichtung,
die aus Geschehnissen und Worten besteht, doch keine Seelenunmittelbarkeit schafft.
Wer die Schnitzlerwelt kennt, wird übrigens leicht die Zusammenhänge finden.
Der „Schleier der Beatrice“ ist eine ornamentale Stilisierung der Motive aus
dem „Anatol“, jenen mondänen Dialogen voll Skepsis und Zärtlichkeit, voll
Sentimentalität und philosophischer Bijouterie eines Müßiggängers, der Gefühle
züchtet, wie ein anderer die Blumen auf seinem Fensterbrett. Anatol ist, wie der
selbstquälerische, verschmachtende Filippo, ein „Hypochonder der Liebe“ voll „Wirr¬
warr des Einst und Jetzt und Später". Und Beatrice ist nur eine Renaissance¬
Kostümierung jener Flatterweibchen, von denen Anatol achselzuckend müde sagt:
„Sie ist wie jede, liebt das Leben und denkt nicht nach.“
Die Anatolwelt mit ihren Miniaturschicksalen füllte Schnitzler aus, als er
sie aber zum wirklichen, zermalmenden Schicksal erhöhen wollte und zur Tragik
auf weitem, bedeutendem Hintergrund lodernder Zeit — Lebensrausch im Schatten
des Todes —, da ward er unsicher.
Die „griffelhaltende Gebärde“ Konrad Ferdinand Meyers, sein herrisches
Schalten mit seltenem Gerät und seltenen Menschen, liegt der nervösen, zer¬
fasernden Art des Wieners weit fern.
Felix Poppenberg.
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