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14: Der Schleier der Beatrice
Der Hauptmangel oder wenigstens der, den das wenn wir es nicht als ein Kind nehmen, das keine
lben Darsteller, nur daß sie bald Mitglieder dieser,
ald Mitglieder jener Bühne sind. Wer nicht von Theaterpublikum zuerst empfindet, ist das Fehlen Verantwortung kennt. Diese Beatrice sündigt fast
eines einheitlichen Mittel= und Kristallisations=jso arg wie Frank Wedekind's Heldin im „Erdgeist“,
er Megalomania berolinensls angesteckt ist,
punktes, um den sich der Stoff ordnete und auf dem aber ihr fehlt die naive Perversität dieser Frau. Sie
ünscht unserem Theaterleben dringend eine Auf¬
sich unsere Aufmerksamkeit sammilte. Das Drama ist kindlicher gedacht, und an ihrer Leiche spricht der
ischung durch die Provinz!
Irene Triesch also ward ihrer Aufgabe in vollen= hat drei Mittelpunkte. Das heißt: es hat keinen. Erst Herzog Bentivoglio kein Wort des Fluches. Im
eter Weise gerecht. Sie schafft von innen heraus, scheint der Dichter Filippo Loschi ausersehen, das Gegentheil: er preist sie, die einen Dichter wie
Filippo zur Liebe entflammt hat, und er spricht sie
d. h. ihre Phantasie ist so stark, sie mitten in's Stück zu tragen; dann sehen wir in Veatriee die
Herz der darzustellenden Gestalt zu versetzen. Sie Heldin, und schließlich spricht der erst in der zweiten nur wenige Augenblicke, ehe sie vom Dolche ihres
st, was sie darstellt, sie lebt ihre Gestalten, und Hälfte auftretende Herzog von Bologna, Benti= Bruders Francesco fällt, jeder Schuld ledig und gibt
die Formel ihres Wesens:
voglio, das letzte und entscheidende Wort, und er
aher sind diese stets Ganzheiten, Schöpfungen aus
Warst Du nicht, Beatrice, nur. ein Kind,
spricht es an der Bahre Filippo's und Beatrice's.
Einem Guß. an denen kein Ton einen falschen
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
Diei Typen will Schnitzler in diesen Renaissance¬
Klang hat.
Mit eines Dichters Seei', well sie voll Räthsel,
Der äußere Verlauf der Schnitzler=Première war Me#schen darstellen, die aber nicht Renaissance=, son¬
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
enau so unsinnig wie der aller Premièren des dem ganz moderne Tyven sind. In Filippo Loschi
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Deutschen Theaters, das ein Partei=Theater ist wie zeähnet er den Dichter, der sein Leben mit wachen
Und leiden's nicht, und Jeder von uns wollte
kein zweites in Berlin und wohl in ganz Deutsch= Augen träumt, unfähig, die Wirklichkeit zu sehen,
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
and. Gleich nach dem ersten Akte, ehe sich noch eine wie sie ist, und hiflos, wo es sich um Thaten und
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun,
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!
Hand zum Beifall gerührt hatte, begann das Zischen. Entschlüsse handelt. Mit Einem Worte: ein Stim¬
Unter diesem Gesichtspunkt verwandelt sich unsere
mungsmensch. Und solchen Menschen zwingt die
So etwas ist unbedingt widersinnig. Ein Urtheil,
vie es in diesem Zischen sich ausdrückte, kann man Nothwendigkeit klarer Entschlüsse in schwerer Zeit Entrüstung über dieses Mädchen in Mitleid und
oft Handlungen ab, die von dem Moralgesetz als wir verstehen ihre Klage:
ach dem ersten Akte eines fünfaktigen Dramas un¬
„Und warum war ich auserseh'n vor Allen,
nöglich haben. Es ist eben auch kein ästhetisches Schurkereien gelten, und die Erkenntniß ihres Han¬
So Vielen Leid zu bringen, und weiß doch:
Urtheil, sondern eine Parteimeinung. Und wenn delns verekelt ihnen das Leben. Sie sterben, oder
Ich wollte Keinem Böses!“
dann im weiteren Verlaufe des Abends nach jedem ihr Geist, nicht gefügt für die harten Stöße der
Wenn auch nicht so groß und erschütternd, wie es
Akte Beifall und Zischen heftig mit einander Wirklichkeit, geht aus den Fugen. Filippo Loschi,
kämpften, so war der Charakter dieses Kampfes von den die Leidenschaft zu der jungen Beatrice Nardi die Aufgabe verlangt, so ist die Gestalt der Beatrice
vornherein durch die Aufnahme des ersten Aktes ge= zum Treubruch an seiner Verlobten, der Gräfin doch von Allem dem Dichter am Besten gelungen.
geben. Das Zischen ist ebenso wenig wie der stür= Teresina Fantuzzi, gebeacht hat und der nach Aber — und Das gilt von dem ganzen Stück — wir
nische Beifall der zutreffende Ausdruck für die wenigen Tagen des Rausches erkennt, daß in der fühlen, es ist keine leidenschaftliche, in allen Kämpfen
EEmpfindung, die uns das Drama einflößt. Zweifel-schönen Beatrice keine Seele schlummert — Filippo des Lebens verwundete Persönlichkeit, sondern ein
los fließt in dem Werke das Herzblut Schnitzler's, Loschi treibt diese Erkenntniß in den Tod. Beatriee etwas ermüdeter Grübler, eine weiche und träume¬
und einen Mann, der uns in sein Innerstes blicken ist das Weib als Triebwesen, jenseits von Gut und rische Natur. Dieß Alles, was er vorbringt, macht
kläßt, zischt man nicht aus. Man kann seine Miß=Böse stehend, ein Kind voll Egoismus, Grausamkeit, nicht den Eindruck, leibhaftig erschaut und durchlebt
billigung über Das, was man da erschaut, wohl auch Zärtlichkeit, Furcht und Lebensdrang, ein Wesen, zu zu sein. Am Meisten spürt man Das beim Herzog.
dessen Beurtheilung wir den Schlüssel nicht finden, Bentivoglio. Es ist die alte Liebe unserer Zeit zu
auf andere Weise ausdrücken.
14: Der Schleier der Beatrice
Der Hauptmangel oder wenigstens der, den das wenn wir es nicht als ein Kind nehmen, das keine
lben Darsteller, nur daß sie bald Mitglieder dieser,
ald Mitglieder jener Bühne sind. Wer nicht von Theaterpublikum zuerst empfindet, ist das Fehlen Verantwortung kennt. Diese Beatrice sündigt fast
eines einheitlichen Mittel= und Kristallisations=jso arg wie Frank Wedekind's Heldin im „Erdgeist“,
er Megalomania berolinensls angesteckt ist,
punktes, um den sich der Stoff ordnete und auf dem aber ihr fehlt die naive Perversität dieser Frau. Sie
ünscht unserem Theaterleben dringend eine Auf¬
sich unsere Aufmerksamkeit sammilte. Das Drama ist kindlicher gedacht, und an ihrer Leiche spricht der
ischung durch die Provinz!
Irene Triesch also ward ihrer Aufgabe in vollen= hat drei Mittelpunkte. Das heißt: es hat keinen. Erst Herzog Bentivoglio kein Wort des Fluches. Im
eter Weise gerecht. Sie schafft von innen heraus, scheint der Dichter Filippo Loschi ausersehen, das Gegentheil: er preist sie, die einen Dichter wie
Filippo zur Liebe entflammt hat, und er spricht sie
d. h. ihre Phantasie ist so stark, sie mitten in's Stück zu tragen; dann sehen wir in Veatriee die
Herz der darzustellenden Gestalt zu versetzen. Sie Heldin, und schließlich spricht der erst in der zweiten nur wenige Augenblicke, ehe sie vom Dolche ihres
st, was sie darstellt, sie lebt ihre Gestalten, und Hälfte auftretende Herzog von Bologna, Benti= Bruders Francesco fällt, jeder Schuld ledig und gibt
die Formel ihres Wesens:
voglio, das letzte und entscheidende Wort, und er
aher sind diese stets Ganzheiten, Schöpfungen aus
Warst Du nicht, Beatrice, nur. ein Kind,
spricht es an der Bahre Filippo's und Beatrice's.
Einem Guß. an denen kein Ton einen falschen
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
Diei Typen will Schnitzler in diesen Renaissance¬
Klang hat.
Mit eines Dichters Seei', well sie voll Räthsel,
Der äußere Verlauf der Schnitzler=Première war Me#schen darstellen, die aber nicht Renaissance=, son¬
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
enau so unsinnig wie der aller Premièren des dem ganz moderne Tyven sind. In Filippo Loschi
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Deutschen Theaters, das ein Partei=Theater ist wie zeähnet er den Dichter, der sein Leben mit wachen
Und leiden's nicht, und Jeder von uns wollte
kein zweites in Berlin und wohl in ganz Deutsch= Augen träumt, unfähig, die Wirklichkeit zu sehen,
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
and. Gleich nach dem ersten Akte, ehe sich noch eine wie sie ist, und hiflos, wo es sich um Thaten und
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun,
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!
Hand zum Beifall gerührt hatte, begann das Zischen. Entschlüsse handelt. Mit Einem Worte: ein Stim¬
Unter diesem Gesichtspunkt verwandelt sich unsere
mungsmensch. Und solchen Menschen zwingt die
So etwas ist unbedingt widersinnig. Ein Urtheil,
vie es in diesem Zischen sich ausdrückte, kann man Nothwendigkeit klarer Entschlüsse in schwerer Zeit Entrüstung über dieses Mädchen in Mitleid und
oft Handlungen ab, die von dem Moralgesetz als wir verstehen ihre Klage:
ach dem ersten Akte eines fünfaktigen Dramas un¬
„Und warum war ich auserseh'n vor Allen,
nöglich haben. Es ist eben auch kein ästhetisches Schurkereien gelten, und die Erkenntniß ihres Han¬
So Vielen Leid zu bringen, und weiß doch:
Urtheil, sondern eine Parteimeinung. Und wenn delns verekelt ihnen das Leben. Sie sterben, oder
Ich wollte Keinem Böses!“
dann im weiteren Verlaufe des Abends nach jedem ihr Geist, nicht gefügt für die harten Stöße der
Wenn auch nicht so groß und erschütternd, wie es
Akte Beifall und Zischen heftig mit einander Wirklichkeit, geht aus den Fugen. Filippo Loschi,
kämpften, so war der Charakter dieses Kampfes von den die Leidenschaft zu der jungen Beatrice Nardi die Aufgabe verlangt, so ist die Gestalt der Beatrice
vornherein durch die Aufnahme des ersten Aktes ge= zum Treubruch an seiner Verlobten, der Gräfin doch von Allem dem Dichter am Besten gelungen.
geben. Das Zischen ist ebenso wenig wie der stür= Teresina Fantuzzi, gebeacht hat und der nach Aber — und Das gilt von dem ganzen Stück — wir
nische Beifall der zutreffende Ausdruck für die wenigen Tagen des Rausches erkennt, daß in der fühlen, es ist keine leidenschaftliche, in allen Kämpfen
EEmpfindung, die uns das Drama einflößt. Zweifel-schönen Beatrice keine Seele schlummert — Filippo des Lebens verwundete Persönlichkeit, sondern ein
los fließt in dem Werke das Herzblut Schnitzler's, Loschi treibt diese Erkenntniß in den Tod. Beatriee etwas ermüdeter Grübler, eine weiche und träume¬
und einen Mann, der uns in sein Innerstes blicken ist das Weib als Triebwesen, jenseits von Gut und rische Natur. Dieß Alles, was er vorbringt, macht
kläßt, zischt man nicht aus. Man kann seine Miß=Böse stehend, ein Kind voll Egoismus, Grausamkeit, nicht den Eindruck, leibhaftig erschaut und durchlebt
billigung über Das, was man da erschaut, wohl auch Zärtlichkeit, Furcht und Lebensdrang, ein Wesen, zu zu sein. Am Meisten spürt man Das beim Herzog.
dessen Beurtheilung wir den Schlüssel nicht finden, Bentivoglio. Es ist die alte Liebe unserer Zeit zu
auf andere Weise ausdrücken.