14: Der Schleier der Beatrice box 20/4
Doch. sie ist nur vorausgegangen. Die anderen werden folgen.
Der Tag ist da und mit ihm werden Cesare Borgia und
der Tod über die Stadt kommen.
Dies ist das Drama-Der Schleier der Beatricee
von Arthur Schnitzler, die tiefste und reinste Dichtung, die
seit manchem Jahre der deutschen Bühne geschenkt ward. Vor
einigen Tagen ist sie in Berlin durchgefallen.
Darüber könnte man sich billig entrüsten. Wer aber die
Bühne von heute erkannt hat als ein durchaus untaugliches
Mittel, dichterische Gedanken auszudrücken, der muss daran
gleichgiltig vorüberzugehen wissen. Schliesslich, dies war der
Tiefen und Eigenen Schicksal allezeit. Manchmal hat ein Zufall
des spoetischen Stoffese oder eine nebensächliche -Actualitäte
auch ein bedeutendes Werk scheinbar populär gemacht; aber
da war nicht die innere Kraft die Ursache des Erfolges, sondern
eben irgend eine unkünstlerische Nebenwirkung. Das Theater
ist zu grob und zu seicht für feine und tiefe Dichter. Man
komme nicht mit einem grossen Namen, etwa mit Shakes peare.
Wäre=König Leare von einem modernen Autor, so würde
man sehen, wie das Publicum spricht, wenn die Suggestion
des grossen Namens fehlt.
Der Schleier der Beatrices wird bleiben, sicherer als
so manche unserer erfolgreichsten und oliterarischene Stücke.
Möglich, dass er trotz des heissen dramatischen Athems, der
aus ihm weht, nie zu einem rechten -Zugstückes werden wird.
Aber immer und immer wird sich das künstlerische Gewissen
der Besten an ihn erinnern; denn es ist Echtheit in Beatrice,
in diesem von der Stunde getragenen Geschöpfchen, dem Treue
und Verrath nur leere Worte sind. Es ist Tiefe in Filippo,
der sich aus einem unberührten Kinde ein Geschöpf machen
will, seine heisse, schaffensdurstige Künstlerseele dem harmlos
unverständigen Mädchen schenkt und, da er sich von ihr welten¬
fern und einsam sieht, den Tod, mit dem er spielte, herbei¬
winkt. Es ist Klugheit in diesem Herzoge, diesem Lebensmeister,
der alle Freuden, die sich ihm bieten, scinürft, und mit weiser Ruhe
sich in das unvermeidliche Ende findet. Er allein begreift,
dass Wahrheit, odie so ohnegleichen wahr klange, zur Lüge
werden kann, wie Filippo's Liebeslieder auf Theresina,
wie Beatricens wandelbares Leben. Und es ist Wahrheit,
schöne Dichterwahrheit, in diesem bebenden und gierigen Bo¬
logna, in dieser wilden, grausamen und prächtigen Zeit, die dem
Leben, das täglich gefährdet war, den höchsten Wert gab. Jene
trotzigen Männer, jene wunderbaren Frauen, jene ganze Welt,
die zu heidnisch kräftig war, um christlicher schwächlich-mit¬
leidiger Sittlichkeit zu bedürfen, ist aus dem Grabe der Ge¬
schichte auferstanden, beschworen von den Zauberworten eines
Dichters.
Dass dies ein Publicum nicht merkte, das mit allen Trieben
in einen engen und kleinen Zeit wurzelt, ist selbstverständlich.
Dass die von dem tüchtigen Herrn Brahm als Specialisten
für Hinterhauskomödien und Arme-Leut-Stücke gedrillte Truppe
des Berliner Deutschen Theaters mit diesen überlebens¬
Doch. sie ist nur vorausgegangen. Die anderen werden folgen.
Der Tag ist da und mit ihm werden Cesare Borgia und
der Tod über die Stadt kommen.
Dies ist das Drama-Der Schleier der Beatricee
von Arthur Schnitzler, die tiefste und reinste Dichtung, die
seit manchem Jahre der deutschen Bühne geschenkt ward. Vor
einigen Tagen ist sie in Berlin durchgefallen.
Darüber könnte man sich billig entrüsten. Wer aber die
Bühne von heute erkannt hat als ein durchaus untaugliches
Mittel, dichterische Gedanken auszudrücken, der muss daran
gleichgiltig vorüberzugehen wissen. Schliesslich, dies war der
Tiefen und Eigenen Schicksal allezeit. Manchmal hat ein Zufall
des spoetischen Stoffese oder eine nebensächliche -Actualitäte
auch ein bedeutendes Werk scheinbar populär gemacht; aber
da war nicht die innere Kraft die Ursache des Erfolges, sondern
eben irgend eine unkünstlerische Nebenwirkung. Das Theater
ist zu grob und zu seicht für feine und tiefe Dichter. Man
komme nicht mit einem grossen Namen, etwa mit Shakes peare.
Wäre=König Leare von einem modernen Autor, so würde
man sehen, wie das Publicum spricht, wenn die Suggestion
des grossen Namens fehlt.
Der Schleier der Beatrices wird bleiben, sicherer als
so manche unserer erfolgreichsten und oliterarischene Stücke.
Möglich, dass er trotz des heissen dramatischen Athems, der
aus ihm weht, nie zu einem rechten -Zugstückes werden wird.
Aber immer und immer wird sich das künstlerische Gewissen
der Besten an ihn erinnern; denn es ist Echtheit in Beatrice,
in diesem von der Stunde getragenen Geschöpfchen, dem Treue
und Verrath nur leere Worte sind. Es ist Tiefe in Filippo,
der sich aus einem unberührten Kinde ein Geschöpf machen
will, seine heisse, schaffensdurstige Künstlerseele dem harmlos
unverständigen Mädchen schenkt und, da er sich von ihr welten¬
fern und einsam sieht, den Tod, mit dem er spielte, herbei¬
winkt. Es ist Klugheit in diesem Herzoge, diesem Lebensmeister,
der alle Freuden, die sich ihm bieten, scinürft, und mit weiser Ruhe
sich in das unvermeidliche Ende findet. Er allein begreift,
dass Wahrheit, odie so ohnegleichen wahr klange, zur Lüge
werden kann, wie Filippo's Liebeslieder auf Theresina,
wie Beatricens wandelbares Leben. Und es ist Wahrheit,
schöne Dichterwahrheit, in diesem bebenden und gierigen Bo¬
logna, in dieser wilden, grausamen und prächtigen Zeit, die dem
Leben, das täglich gefährdet war, den höchsten Wert gab. Jene
trotzigen Männer, jene wunderbaren Frauen, jene ganze Welt,
die zu heidnisch kräftig war, um christlicher schwächlich-mit¬
leidiger Sittlichkeit zu bedürfen, ist aus dem Grabe der Ge¬
schichte auferstanden, beschworen von den Zauberworten eines
Dichters.
Dass dies ein Publicum nicht merkte, das mit allen Trieben
in einen engen und kleinen Zeit wurzelt, ist selbstverständlich.
Dass die von dem tüchtigen Herrn Brahm als Specialisten
für Hinterhauskomödien und Arme-Leut-Stücke gedrillte Truppe
des Berliner Deutschen Theaters mit diesen überlebens¬