14. Der Schleier der Beatrice
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im „Deutschen Theater“ aufgeführt stalten Hebbels an die Mariamne¬
wurde.
tragödie z. B. erinnert. Die Ver¬
In die Welt der Renaissance ist
wandtschaft ist da, nur ist sie nicht
wohl die Handlung verlegt; es bleibt
innig. Hebbels morgenländischer Fürst
aber nur beim Renaissance=Kostüm.
in der Mariamne leidet, so will mir
Im übrigen fügt sich das Drama dem
scheinen, im letzten Grunde an schwerem
leisen, elegischen Grundcharakter der
Geblüt. Seine dunkle Tragik greift
gegenwärtigen Wiener Poesie ein. Mehr
ganz anders an das Gemüt, als die
nervöse Sensibilität als rechtschaffene
Unruhe des geistreichen Melancholikers,
Blutwärme; vielerlei Raffinement im
des unbefriedigten Jünglings aus Bo¬
Denken und Sinnen, aber man stößt
logna.
nicht entschlossen bis auf den Grund
einer tragischen Idee. So erhält die
jüngste Elegie von Schnitzler auch etwas
von der „Schönheit der Bleichsüchtigen“,
wiewohl Schnitzler in dem „Schleier
der Beatrice“ gewiß nicht mit ihr ko¬
kettieren will.
Ihn hat der Gegensatz zwischen den
sorglos Lebenden und den Grüblern
mit ihren scheuen, ewig fragenden Augen
gereizt. Beatrice, das blühende Erden¬
lind, kann zu manchem Augenblicke
sagen: Verweile doch, du bist so schön.
Ihrem Dichter, dem jungen Edelmann
aus Bologna, ist's verwehrt. Den
Ueberfeinerten stört ein Hauch. Er
zerpflückt seine und der anderen Ge¬
fühle, Illusion um Illusion verrinnt
und ihm, dem Peinlichen wird alle Lust
vergällt. Nach seinem selbstherrlichen
Mädchenideal mißt er, immer ängst¬
lich prüfend, seine Beatrice, und da
dies lebhafte, begehrliche Kind dem
ersehnten Idealbild nicht nahe kommen
kann, liegt für den Dichter die Welt
in Trümmern. Er war stets von dem
Gefühl besessen, den barmherzigen
Schleier, der die Erdendinge umgibt,
zu zerreißen; und dies Gefühl ver¬
nichtet ihn.
Gerade die irdisch=derbe, die naive
Gestalt der Beatrice huscht mehr sche¬
mengleich über die Bretter. Das er¬
höht den Eindruck nachdenklichen Raf¬
finements und schädigt, ja verwirrt
mitunter die sinnlich=künstlerische Be¬
deutung der Tragödie. Der schwer¬
mütige Renaissance=Dichter bei Schnitz¬
ler hat manchen an verwandte Ge¬
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im „Deutschen Theater“ aufgeführt stalten Hebbels an die Mariamne¬
wurde.
tragödie z. B. erinnert. Die Ver¬
In die Welt der Renaissance ist
wandtschaft ist da, nur ist sie nicht
wohl die Handlung verlegt; es bleibt
innig. Hebbels morgenländischer Fürst
aber nur beim Renaissance=Kostüm.
in der Mariamne leidet, so will mir
Im übrigen fügt sich das Drama dem
scheinen, im letzten Grunde an schwerem
leisen, elegischen Grundcharakter der
Geblüt. Seine dunkle Tragik greift
gegenwärtigen Wiener Poesie ein. Mehr
ganz anders an das Gemüt, als die
nervöse Sensibilität als rechtschaffene
Unruhe des geistreichen Melancholikers,
Blutwärme; vielerlei Raffinement im
des unbefriedigten Jünglings aus Bo¬
Denken und Sinnen, aber man stößt
logna.
nicht entschlossen bis auf den Grund
einer tragischen Idee. So erhält die
jüngste Elegie von Schnitzler auch etwas
von der „Schönheit der Bleichsüchtigen“,
wiewohl Schnitzler in dem „Schleier
der Beatrice“ gewiß nicht mit ihr ko¬
kettieren will.
Ihn hat der Gegensatz zwischen den
sorglos Lebenden und den Grüblern
mit ihren scheuen, ewig fragenden Augen
gereizt. Beatrice, das blühende Erden¬
lind, kann zu manchem Augenblicke
sagen: Verweile doch, du bist so schön.
Ihrem Dichter, dem jungen Edelmann
aus Bologna, ist's verwehrt. Den
Ueberfeinerten stört ein Hauch. Er
zerpflückt seine und der anderen Ge¬
fühle, Illusion um Illusion verrinnt
und ihm, dem Peinlichen wird alle Lust
vergällt. Nach seinem selbstherrlichen
Mädchenideal mißt er, immer ängst¬
lich prüfend, seine Beatrice, und da
dies lebhafte, begehrliche Kind dem
ersehnten Idealbild nicht nahe kommen
kann, liegt für den Dichter die Welt
in Trümmern. Er war stets von dem
Gefühl besessen, den barmherzigen
Schleier, der die Erdendinge umgibt,
zu zerreißen; und dies Gefühl ver¬
nichtet ihn.
Gerade die irdisch=derbe, die naive
Gestalt der Beatrice huscht mehr sche¬
mengleich über die Bretter. Das er¬
höht den Eindruck nachdenklichen Raf¬
finements und schädigt, ja verwirrt
mitunter die sinnlich=künstlerische Be¬
deutung der Tragödie. Der schwer¬
mütige Renaissance=Dichter bei Schnitz¬
ler hat manchen an verwandte Ge¬