II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 208

4.9. An
lus
.
box 8/6
Pressrelationsbureau
Wien « Paris
Genf Brüssel
London
New-York
„Hansa"
Inh.: Ingenieur M. Krause
Berlin N. 23, Holsteiner Ufer
liefert Nachrichten über jedes Gebiet aus der gesamten Presse
schnell, complett, preiswert.
Hannoversches Tageblatt
Zeitung:
Datum:
18. Sep. 1911
„Anatol" im Deutschen Theater.
Wenn die Sache nicht mit so viel Esprit zurecht¬
gemacht wäre, könnte man diesen Einakter=Cyklus
„Anatol“ von Arthur Schnitzler abscheulich
finden. Denn vom ersten bis zum letzten Worte
dreht sich alles um die bekannten „süßen Mädel“. Es
ist buchstäblich von nichts anderem die Rede.
Held sämtlicher fünf Stückchen ist Anatol, ein junger
Wiener, der anscheinend in der Welt nichts weiter
zu tun hat, als zu liebeln und sich betrügen zu
lassen. Das geht von der Cora zur Annie und von
der zur Bianka und zu fast unzähligen anderen, die
in dem vierten der Stucke, „Episode", summarisch
vorgeführt werden, bis endlich an „Anatols Hoch¬
zeitsmorgen" Ilona den Reigen schließt — wenigstens
für die Zeit des sogenannten Junggesellenstandes.
Denn sicher wird dieser Anatol auch nach der Hoch¬
zeit noch nicht verzichten auf die verlockenden Mädel
von Hernals, Döbling, Florisdorf und wie alle die
Vororte heißen, in denen der junge talentvolle
Wiener seinen Amouren nachgeht. Es ist eine Finesse
des Verfassers, daß er seinen Anatol mit einer ziem¬
lichen Portion von — sagen wir: Harmlosigkeit aus¬
gestattet hat. Er ist keiner von den Gerissenen. W
er auch anbändelt, immer ist der Hineinfall siche
Das hat etwas Versöhnliches. Nur in dem zweiten
Bildchen, „Weihnachtseinkäufe", hebt er sich im
pikanten Geplauder mit einer wirklichen Dame über
sein sonstiges geistiges Niveau hinaus, und es kann
bei dieser Gelegenheit gleich erwähnt werden, daß
„Weihnachtseinkaufe der geistreichste und auch
psychologisch wertvollste unter den Einaktern ist, wäh¬
rend als dessen Antipode die „Episode den schwachsten
darstellt. Den Anatol spielte Julius Arnfeld
sehr gewandt und liebenswürdig. Wo sich ihm eine
Gelegenheit zur Vertiefung des im ganzen sehr ober¬
flächlichen Charakters darbot, da nahm er diese ge¬
schickt wahr, so in den schon erwähnten „Weihnachts¬
einkaufen. Im übrigen bekundete seine Darstellung
guten Humor, der auch sehr wirksam war als
Galgenhumor in der verzwickten Lage des Schlu߬
Stückes, als eine zärtliche Freundin ihn fast am Er¬
scheinen bei seiner eigenen Hochzeit hindert. Ge¬
schickt wußte er über das Heikle der Zustande hinweg¬
zueilen durch die Bonhomie, die er in der Darstellung
entwickelte. Wie ein großer dummer Junge stand er
den Ereignissen gegenüber und entwaffnete damit
die moralische Kritik. Die zweite durch fast alle
Stückchen hindurchlaufende Figur ist Max, der
Freund und Vertraute, der anhören muß, was man
in einem modernen Stücke nicht als Monolog vor¬
bringen kann und will. Richard Eivenack nahm
sich dieser Rolle mit Eifer und Geschmack an. Er
war ein interessierter Zuhörer und gelegentlich auch
sieptischer Widerpart. Sein Lachen klang herzlich
und wirkte ansteckend. Alice Altman=Hall
spielte in „Weihnachtseinkäufe die Dame sehr fein.
Pikanterie und Gefühl vereinigten sich in ihrer Dar¬
stellung zu einem natürlich anmutenden und sehr
gefälligen Ganzen. Die übrigen Mitwirkenden waren
mit Ausnahme von zwei Dienern sämtlich Repräsen¬
tanten der „füßen Madel“, ein Quartett von Typen
dieser Spezies. Da war Cora, die zarte und an¬
schmiegsame, die aber doch ihrem Liebhaber gegen¬
über kein ganz reines Gewissen hat, ferner Annie,
der das Verhältnis zu Anatol hauptsächlich als eine
Garantie für gut Essen und Trinken erscheint, dann
Bianka, die Moment=Liebhaberin, die in der Fülle der
Gesichte ihres Minnelebens sich des einzelnen nicht
mel: entsinnen kann, endlich Ilona, die Päbe, die sich
nicht leicht abschütteln läßt und sogar vor einem
Skandal nicht zurückschreckt, um ihre Position zu be¬
haupten. Mia Hellmuth hatte die Annie im
„Abschiedssouper" schon im vorigen Jahre hier ge¬
spielt, und der damalige Erfolg blieb ihr auch jetzt
treu. Sie war ein fescher Racker, naiv in ihrer
Lebensanschauung, resolut in ihren Aeußerungen.
Edith Palfi spielte die zarte Cora in „Die Frage
an das Schicksal sehr zierlich und gut durchdacht.
Bianka in Episode“ wurde von Leonie Duval
richtig charakterisiert, und im „Hochzeitsmorgen
fand Marga Malten für die Ilona den rechten
Ton, der das Gefährliche dieser Person plausibel
genug machte. — Der Cyklus ist für vorurteilslose
Zuschauer sehr amüsant. Schnitzler versteht sich auf
die leichte, geistvolle, prickelnde Konversation und hat
es auch an interessanten Situationen in seinem
„Anatol“ nicht fehlen lassen. Daher fanden die fünf
Einakter eine sehr gute Aufnahme.
Für die
Regie zeichnete Direktor Dr. George Altman.
Fg.