II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 214

den der Han
einer Art kritischer Melancholie versetzt. Längst
Gesagtes noch einmal sagen! In eine Zeitung
zu setzen, was schon lange in der Literaturge¬
schichte steht. Und so sehr neuartig auch heut
noch diese fünf Akte anmuten, so überholt
müßte ein Referat klingen, das sich darin ge¬
fiele, „Anatol heute als eine „Novität" auszu
fassen. Hier fünf literarische Immortellen,
und da eine Zeitung von — gestern Nein!
Es war mir peinlich genug, als ich hier vor
drei Jahren über Ibsens „Rosmersholm
22 Jahre nach der Ur=Aufführung! -
schreiben mußte. Es ist ja klar, warum sich
diese fünf Akte so spät in das Repertoire eines
Provinztheaters eingliedern: sie erheischen eine
ausgesuchte Darstellergruppe von einer ganz
spezifischen Art, wie sie das Theater nicht alle
Jahre findet. Der Durchschnitts=Komödiant
macht eine verzerrte Posse daraus. Aber diese
fünf Sachen müssen so gespielt werden, als
würden sie ger nicht von ungeschlachten Men¬
schen dargestellt, sondern nur von kleinen, zier¬
lichen Porzellan=Figurchen auf einer kostbaren,
mit Perlmutter eingelegten Spieluhr, die dazu
leise, mehr in Moll als in Dur, einen Lan¬
ner'schen Walzer ausspielte, während dem ver¬
träumten Zuschauer von irgendwoher ein feiner
Thymian=Duft entgegenströmte.
Und mit diesem Bilde sende ich der Tar¬
stellung des gestrigen Abends das höchste Lob.
Sie gab sich so. Ja, ich mache mich ganz be¬
stimmt keiner Übertreibung schuldig, wenn ich
erkläre, daß ich — so weit es sich um die bo¬
denständigen Ensembles hande — seit Jah¬
ren in Olmütz keinen so vollends abgerunde
ten, harmonisch zusammengestimmten Theater¬
abend miterlebt habe, wie den gestrigen. Das
wurde allerdings vor allem durch den Umstand
ermöglicht, daß die Besetzungsgeometrie für
diesen Abend nur mit einigen wenigen Grö¬
ßen zu operieren braucht, die aber freilich durch¬
wegs vollgültige Einheiten sein müssen. Eine
einzige Null hebt die ganze Summe auf. Viel¬
leicht gewann man im letzten Alte manchmal
den Eindruck, daß sich die allgemeine Stim¬
mung der Gesamtdarstellung — vielleicht unter
den stimulierenden Wirkungen des Applauses
jener verhängnisvollen Grenzlinie nähere,
an der die gedankenvolle Berechnung jeder,
auch der kleinsten, Nuance aufhört, um dem
mehr possenhaften Outrieren Platz zu machen;
aber nein, diese Grenzlinie wurde glück¬
licherweise nicht überschritten. Immer hielt vor
ihr vor allem die feinsinnige Darstellung des
Herrn Hans Götz zurück, eines ausgezeichne¬
ten Konversationsdarstellers, der — wie gestern
ein guter Beobachter ganz richtig bemerkte
an den Korff der jüngeren Jahre fast mit
sinnfälliger De Achkeit erinnert. Die legere,
durchaus natürliche Art, sich zu geben, der
scheinbar nonchalante, aber gewiß nur gut be¬
gungen Anlig sowohl der Erfassung
hysterischer Affektationen. Die Regie des Herrn
Paulmann sorgte für Eleganz und mög¬
lichst gute Ausstattung der Szenenbilder,
von gewissen Wiener Geschäfts=Auslagen na¬
türlich vollständig abgesehen. Alles in allem:
ein tadelloser Abend, auf den wir das Publi¬
kum aufmerksam machen. Publikum? Das
Haus war ja nicht gerade schlecht besucht. Aber
dieser Abend hätte eben einen noch besseren
Besuch verdient. Jetzt hat das Publikum au¬
genscheinlich ein gutes Schauspiel. Warum
kommt es also nicht in hellen Scharen? Wo
steckt es denn? Hinter dem Ofen? — Der
Teufel soll es holen!
ch.