II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 409

box 9/1
4.9. Anatol Zyklus
burg, der
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Neue Tiroler Stimmen, Innsbruck
Ausschnitt aus:
26. 1915
vom
Stadttheater.
„Anatol", Einakterzyklus von Arthur Schnitzler
Es war zum mindesten unnotwendig, uns mit die¬
sem Anatol auch nur teilweise bekannt zu machen.
Denn abgesehen von der zweifelhaften Ehre einer
solchen Bekanntschaft fühlt jetzt wohl niemand, das
Bedürfnis in die Liebesangelegenheiten eines Lebe¬
mannes schlimmster Sorte und in das Fühlen und
Denken der Halbwelt eingeweiht zu werden. Es ge¬
hört die ganze Unverfrorenheit eines Arthur Schnitz¬
ler und der Dekadenz dazu, einer Kreatur, die ihre
Liebschaften nur unter den Verlorenen sucht und die¬
selbst an ihrem Hochzeitstage an der Seite einer Dirne
erwacht, statt der gebührenden Verachtung die be¬
lustigte Anerkennung ob der „losen Streiche" von
Seite eines Publikums erringen zu wollen, das sich
nur selbst richtet, wenn es in dem Sumpf nicht
schamrot wird. Man wird sich nach der Lektüre bezw.
nach dem Anhören der sieben Einakter vergebens fra¬
gen, welch anderer Grund den Verfasser zu dieser
Pornographie veranlaßt haben mag als eben die Freu¬
de an ihr. Kein anderer leitender Gedanke verbindet
sie als die verschiedensten Abwandlungen von Treu¬
und Ehebruch, von Dirnentum und Stimmungsduse¬
lei. Die Stimmung ist bei Anatol überhaupt die
Hauptsach Sie ersetzt ihm die Grundsätze, von denen
sich andere leiten zu lassen pflegen, und nach der
Fähigkeit, eine Stimmung mit empfinden zu kön¬
nen, beurteilt er die Menschen. In die weihevollste
Stimmung aber versetzt ihn und nach seiner Mei¬
nung auch andere eine matte Hängelampe, beson¬
ders wenn sie grün=rot schimmert. Ein sonderbarer
Herr ist dieser Anatol, nervös bis zur Gereiztheit,
hält sich für eine enorm ehrliche Natur“, da er sich
von einer lossagen will, die er nicht mehr liebt,
und nennt sich im übrigen einen leichtsinnigen Me¬
lancholiker. Die Aufführung des Werkes begegnet gro¬
ßen Schwierigkeiten. Erstens kann man kaum alle
sieben Akte auf einmal spielen und das bewirkt, daß
man noch weniger versteht, was Schnitzler eigent¬
lich sagen will. Ich konnte deshalb beim Verlassen
des Theaters mehrfach Aussprüche hören wie: „Das
war heute wieder einmal ein Blödsinn“. Dann er¬
fordern die einzelnen Akte eine Ausstattung, wie sie
unser Gerümpel nicht zu bieten vermag. Man hatte
in dieser Hinsicht zwar alles mögliche getan, aber
im zweiten Akt z. B. („Weihnachtseinkäufe nicht
zu befriedigen vermocht. Das dritte ist der Um¬
stand, daß die sogenannte Pointe immer am Schlusse
erscheint, in wenigen Worten liegt und deshalb leicht
verloren gehen kann. Tatsächlich ist sie auch im ersten
und zweiten Akt („Frage an das Schicksal und
„Weihnachtseinkäufe") zum Großteil wegen der
Husterei im Zuschauerraum halb verloren gegangen.
Die vierte Schwierigkeit liegt im Treffen der Stim¬
mung. Hier hatte Herr Heppner als Anatol das
meiste zu leisten. Es stellt seiner Begabung das glän¬
zendste Zeugnis aus, daß er bis auf den zweiten Akt
immer den richtigen Ton traf. Hier hätte er nicht
so spielend, sondern mehr werbend auftreten und die
Scheu, von „der da draußen“ zu erzählen, mehr
betonen können, dünkt mich. Den Freund Max
Lebemänner brauchen Freunde, die ihnen aus der
Patsche helfen, dafür aber heimlich mit ihnen die
Geliebten teilen — gab Herr Karma recht gut. In
der Besetzung der Damenrollen war man glücklich
gewesen. Frau Speidel hatte natürlich die schwie¬
rigste übernommen, die Gabriele im zweiten Akt.
and
a