geenderlosen Streiche
von
Seite eines Publikums erringen zu wollen, das sich
nur selbst richtet, wenn es in dem Sumpf nicht
schamrot wird. Man wird sich nach der Lektüre bezw.
nach dem Anhören der sieben Einakter vergebens fra¬
gen, welch anderer Grund den Verfasser zu dieser
Pornographie veranlaßt haben mag als eben die Freu¬
de an ihr. Kein anderer leitender Gedanke verbindet
sie als die verschiedensten Abwandlungen von Treu¬
und Ehebruch, von Dirnentum und Stimmungsduse¬
lei. Die Stimmung ist bei Anatol überhaupt die
Hauptsache. Sie ersetzt ihm die Grundsätze, von denen
sich andere leiten zu lassen pflegen, und nach der
Fähigkeit, eine Stimmung mit empfinden zu kön¬
nen, beurteilt er die Menschen. In die weihevollste
Stimmung aber versetzt ihn und nach seiner Mei¬
nung auch andere eine matte Hängelampe, beson¬
ders wenn sie grün=rot schimmert. Ein sonderbarer
Herr ist dieser Anatol, nervös bis zur Gereiztheit,
hält sich für eine enorm ehrliche Natur“, da er sich
von einer lossagen will, die er nicht mehr liebt,
und nennt sich im übrigen einen leichtsinnigen Me¬
lancholiker. Die Aufführung des Werkes begegnet gro¬
ßen Schwierigkeiten. Erstens kann man kaum alle
sieben Akte auf einmal spielen und das bewirkt, daß
man noch weniger versteht, was Schnitzler eigent¬
lich sagen will. Ich konnte deshalb beim Verlassen
des Theaters mehrfach Aussprüche hören wie: „Das
war heute wieder einmal ein Blödsinn“. Dann er¬
fordern die einzelnen Akte eine Ausstattung, wie sie
unser Gerümpel nicht zu bieten vermag. Man hatte
in dieser Hinsicht zwar alles mögliche getan, aber
im zweiten Akt z. B. („Weihnachtseinkäufe") nicht
zu befriedigen vermocht. Das dritte ist der Um¬
stand, daß die sogenannte Pointe immer am Schlusse
erscheint, in wenigen Worten liegt und deshalb leicht
verloren gehen kann. Tatsächlich ist sie auch im ersten
und zweiten Akt („Frage an das Schicksal und
„Weihnachtseinkäufe") zum Großteil wegen der
Husterei im Zuschauerraum halb verloren gegangen.
Die vierte Schwierigkeit liegt im Treffen der Stim¬
mung. Hier hatte Herr Heppner als Anatol das
meiste zu leisten. Es stellt seiner Begabung das glän¬
zendste Zeugnis aus, daß er bis auf den zweiten Akt
immer den richtigen Ton traf. Hier hätte er nicht
so spielend, sondern mehr werbend auftreten und die
Scheu, von „der da draußen“ zu erzählen, mehr
betonen können, dünkt mich. Den Freund Max
Lebemänner brauchen Freunde, die ihnen aus der
Patsche helfen, dafür aber heimlich mit ihnen die
Geliebten teilen
gab Herr Karma recht gut. In
der Besetzung der Damenrollen war man glücklich
gewesen. Frau Seidel hatte natürlich die schwie¬
rigste übernommen, die Gabriele im zweiten Akt.
Wenn die Pointe nicht recht herauskam, so war das
nicht ihre Schuld. Ihr ruhiges, feines Spiel be¬
währte sich gerade auch hier. Vorzüglich in ihrer
Ausgelassenheit war Frl. Schrattenbach als Annie,
wild „wie eine von denen, welche beißen, wenn sie
lieben" war Frl. Kreß als Ilona, zärtlich und hin¬
gebend Frl. Gamina als Cora. Das Publikum
spendete erst nach dem dritten und vierten Stücke
(„Abschiedssouper" und „Anatols Hochzeitsmorgen
wärmeren Beifall. Die zwei Akte sind auch allein
bühnenwirksam.
4.9. Anatol - Zyklus
und ans.
le
on:
Wohl um dem neu engagierten Bonvivant Herrn
Heppner mehr Gelegenheit zu geben, sein Können
zu zeigen, wurden am Mittwoch aus Arthur Schnitz¬
lers Einakter=Zyklus „Anatol" vier Akte zur
Aufführung gebracht, von denen nur einer, nämlich
„Abschiedssouper, unseres Wissens bisher hier auf¬
geführt wurde. In dem Zyklus stellt der geistvolle
Plauderer Schnitzler weniger tiefsinnige als viel¬
mehr spöttische Betrachtungen über das Kapitel
Liebe und Treue an. Nach seiner Meinung ist die
Erotik das bestimmende Moment im Liebesleben.
Die inzelnen Kapitel geben interessante Aufschlüsse
über das Frauenherz, wenn es liebt. Herr Heppner,
der Zündstoff im Liebesleben der Frauen, zeigte
sich als flotter Lebemann, der es immer furchtbar
erst mit seiner momentanen Liebe nimmt. Im
Auftreten und in der Sprache zeigte er sich als ein
gewandter Schauspieler. Den Freund Max, der die
Aufgabe hat, die Widersprüche des menschlichen
Denkens mit dem Fühlen aufzuzeigen, gab Herr
Karma mit großem Verständnis. Die verschiedenen
weiblichen Typen wurden dargestellt durch die Da¬
men Gamina, Hanny Speidel, Schrattenbach und
Kreß. Sie hatten dankbare Aufgaben, denen sie sich
gewachsen fühlten. Die literarische Malerei Schnitz¬
lers mag sich vielleicht etwas zu greller Farben be¬
dient haben, aber zweifellos zeugt sie von einem
eingehenderen Studium der menschlichen Psyche, als
man es bei Autoren gemeiniglich gewohnt ist. Bei
dieser Gelegenheit zeigte sich wieder, wie gut es
wäre, wenn die Direktion die frühere Uebung beibe¬
halten hätte, im Theaterzettel kurze Erläuterungen
des aufzuführenden Stückes einzuschalten. Ein
Großteil des Publikums fand in den vier Einaktern
keinen Zusammenhang und beurteilte demgemäß
die Darbietung.
—n.
box 9/1
von
Seite eines Publikums erringen zu wollen, das sich
nur selbst richtet, wenn es in dem Sumpf nicht
schamrot wird. Man wird sich nach der Lektüre bezw.
nach dem Anhören der sieben Einakter vergebens fra¬
gen, welch anderer Grund den Verfasser zu dieser
Pornographie veranlaßt haben mag als eben die Freu¬
de an ihr. Kein anderer leitender Gedanke verbindet
sie als die verschiedensten Abwandlungen von Treu¬
und Ehebruch, von Dirnentum und Stimmungsduse¬
lei. Die Stimmung ist bei Anatol überhaupt die
Hauptsache. Sie ersetzt ihm die Grundsätze, von denen
sich andere leiten zu lassen pflegen, und nach der
Fähigkeit, eine Stimmung mit empfinden zu kön¬
nen, beurteilt er die Menschen. In die weihevollste
Stimmung aber versetzt ihn und nach seiner Mei¬
nung auch andere eine matte Hängelampe, beson¬
ders wenn sie grün=rot schimmert. Ein sonderbarer
Herr ist dieser Anatol, nervös bis zur Gereiztheit,
hält sich für eine enorm ehrliche Natur“, da er sich
von einer lossagen will, die er nicht mehr liebt,
und nennt sich im übrigen einen leichtsinnigen Me¬
lancholiker. Die Aufführung des Werkes begegnet gro¬
ßen Schwierigkeiten. Erstens kann man kaum alle
sieben Akte auf einmal spielen und das bewirkt, daß
man noch weniger versteht, was Schnitzler eigent¬
lich sagen will. Ich konnte deshalb beim Verlassen
des Theaters mehrfach Aussprüche hören wie: „Das
war heute wieder einmal ein Blödsinn“. Dann er¬
fordern die einzelnen Akte eine Ausstattung, wie sie
unser Gerümpel nicht zu bieten vermag. Man hatte
in dieser Hinsicht zwar alles mögliche getan, aber
im zweiten Akt z. B. („Weihnachtseinkäufe") nicht
zu befriedigen vermocht. Das dritte ist der Um¬
stand, daß die sogenannte Pointe immer am Schlusse
erscheint, in wenigen Worten liegt und deshalb leicht
verloren gehen kann. Tatsächlich ist sie auch im ersten
und zweiten Akt („Frage an das Schicksal und
„Weihnachtseinkäufe") zum Großteil wegen der
Husterei im Zuschauerraum halb verloren gegangen.
Die vierte Schwierigkeit liegt im Treffen der Stim¬
mung. Hier hatte Herr Heppner als Anatol das
meiste zu leisten. Es stellt seiner Begabung das glän¬
zendste Zeugnis aus, daß er bis auf den zweiten Akt
immer den richtigen Ton traf. Hier hätte er nicht
so spielend, sondern mehr werbend auftreten und die
Scheu, von „der da draußen“ zu erzählen, mehr
betonen können, dünkt mich. Den Freund Max
Lebemänner brauchen Freunde, die ihnen aus der
Patsche helfen, dafür aber heimlich mit ihnen die
Geliebten teilen
gab Herr Karma recht gut. In
der Besetzung der Damenrollen war man glücklich
gewesen. Frau Seidel hatte natürlich die schwie¬
rigste übernommen, die Gabriele im zweiten Akt.
Wenn die Pointe nicht recht herauskam, so war das
nicht ihre Schuld. Ihr ruhiges, feines Spiel be¬
währte sich gerade auch hier. Vorzüglich in ihrer
Ausgelassenheit war Frl. Schrattenbach als Annie,
wild „wie eine von denen, welche beißen, wenn sie
lieben" war Frl. Kreß als Ilona, zärtlich und hin¬
gebend Frl. Gamina als Cora. Das Publikum
spendete erst nach dem dritten und vierten Stücke
(„Abschiedssouper" und „Anatols Hochzeitsmorgen
wärmeren Beifall. Die zwei Akte sind auch allein
bühnenwirksam.
4.9. Anatol - Zyklus
und ans.
le
on:
Wohl um dem neu engagierten Bonvivant Herrn
Heppner mehr Gelegenheit zu geben, sein Können
zu zeigen, wurden am Mittwoch aus Arthur Schnitz¬
lers Einakter=Zyklus „Anatol" vier Akte zur
Aufführung gebracht, von denen nur einer, nämlich
„Abschiedssouper, unseres Wissens bisher hier auf¬
geführt wurde. In dem Zyklus stellt der geistvolle
Plauderer Schnitzler weniger tiefsinnige als viel¬
mehr spöttische Betrachtungen über das Kapitel
Liebe und Treue an. Nach seiner Meinung ist die
Erotik das bestimmende Moment im Liebesleben.
Die inzelnen Kapitel geben interessante Aufschlüsse
über das Frauenherz, wenn es liebt. Herr Heppner,
der Zündstoff im Liebesleben der Frauen, zeigte
sich als flotter Lebemann, der es immer furchtbar
erst mit seiner momentanen Liebe nimmt. Im
Auftreten und in der Sprache zeigte er sich als ein
gewandter Schauspieler. Den Freund Max, der die
Aufgabe hat, die Widersprüche des menschlichen
Denkens mit dem Fühlen aufzuzeigen, gab Herr
Karma mit großem Verständnis. Die verschiedenen
weiblichen Typen wurden dargestellt durch die Da¬
men Gamina, Hanny Speidel, Schrattenbach und
Kreß. Sie hatten dankbare Aufgaben, denen sie sich
gewachsen fühlten. Die literarische Malerei Schnitz¬
lers mag sich vielleicht etwas zu greller Farben be¬
dient haben, aber zweifellos zeugt sie von einem
eingehenderen Studium der menschlichen Psyche, als
man es bei Autoren gemeiniglich gewohnt ist. Bei
dieser Gelegenheit zeigte sich wieder, wie gut es
wäre, wenn die Direktion die frühere Uebung beibe¬
halten hätte, im Theaterzettel kurze Erläuterungen
des aufzuführenden Stückes einzuschalten. Ein
Großteil des Publikums fand in den vier Einaktern
keinen Zusammenhang und beurteilte demgemäß
die Darbietung.
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