werden wird. Aber auch gesetzt den Fall, daß man
Hebbels Tragödie, wie zu hoffen ist, nicht schlechter
behandlet als Schnitzlers Pornographie, muß auf die
Eigentümlichkeit des Verfahrens hingewiesen werden,
das da eingeschlagen wird. Es geht doch nicht an, daß
man einem heute schön tut, um ihm morgen eine
Ohrfeige geben zu können, oder daß man ihm nach
jeder Ohrfeige schön tut, damit er sich nicht beklage.
Auf unseren Fall übertragen heißt das: Das Schwei¬
gen über die Schmach einer „Anatol"-Aufführung läßt
sich durch keine noch so vorzügliche Aufführung von
Hebbels „Gyges" erkaufen.
Die Tragödie sollte eigentlich nicht „Gyges und
sein Ring" heißen, hieß auch ursprünglich nicht so,
sondern „Rhodope“. Denn nicht Gyges ist ihr Held,
er findet nicht einmal den Tod. Nur die Freude an
der wohlgelungenen Gestalt mag den Dichter bewogen
haben, sein Werk nach ihr zu benennen. Rhodope aber
ist die tragische Heldin, mit ihr hat Hebbel auch der
keuschen Frauenseele ein herrliches Denkmal gesetzt,
ein Denkmal deutscher Art. Während Herodot, der
Gewährsmann des Dichters, erzählt, Gyges habe nach
der Ermordung des Kandaules seine Frau mitsamt
dem Königreich in Besitz genommen, während fran¬
zösische Bearbeiter den Stoff ins Komische wendeten,
erblickte Hebbel nach echt deutscher Weise in der ver¬
letzten Scham des Weibes den Keim zu einer Tra¬
gödie und Rhodope gibt sich bei ihm selbst den Tod,
da sie, obwohl entfühnt, ihr gewaltsam beflecktes Da¬
sein nicht länger zu ertragen vermag. Die Geschichte
mit dem Ring fand Hebbel bei Platon und verwendete
sie äußerst geschickt für seine Tragödie, indem er die
zwei Lesarten über den Untergang des Kandaules in
geistvoller Weise miteinander verband.
Die samstägige Aufführung war vor allem getra¬
gen von dem erfolgreichen Bestreben, die „vorge¬
schichtliche und mythische Handlung glaubhaft zu ma¬
chen. Das ist zunächst Frau Speidel zu verdan¬
ken, die die geeigneten Töne fand, den Schmerz des
vorher sorglos zurückgezogenen Weibes nach dem re¬
hen Eingriff in sein heiligstes Gefühl zum erschüttern¬
den Ausdruck zu bringen. Nicht minder gut gelang
es Herrn Reymer im Laufe der Begebenheiten vom
Jüngling, der in seiner Unschuld errötend nach den
Sklavinnen der Königin schaut, zum wissenden Manne
heranzureifen, der sich der aufgeladenen Schuld be¬
wußt, bereit ist, sie mit dem Tode zu fühnen. Auch
Kandaules wird ein anderer. Neuerungssuchtig zuerst
und im Kriege mit Herkommen und Sitte, richtet er
zum Schlusse an Gyges die Mahnung: „Nur rühre
nimmer an dem Schlaf der Welt!" Mit Herrn Heß,
der diese Rolle gab, ging dieselbe Wandlung vor
sich. So frohsinnig er sich anfangs zeigte, so nach¬
denklich und ernst sahen ihn die letzten Akte. In
den kleinen Rollen der Sklavinnen betätigten sich die
Damen Schrattenbach und Kreß in lobenswer¬
ter Weise, den Thoas gab Herr Schikaneder
schauspielerisch nicht übel, aber nicht so oft stecken
bleiben sollte er. Die Hebbelfreunde im Publikum
scheinen nicht die zahlreichsten zu sein, denn der Besuch
war beschämend kläglich. Der warme Beifall, den die
Erschienenen spendeten, konnte kaum über die Leere
des Hauses hinwegtäuschen.
4.9. Anatol Zyklus
Ausschnitt ausolkszeitung, Innsbruck
Theater.
Aus der Theaterkanzlei wird uns geschrieben:
Heute gelangt der Schnitzlersche Einakter=Zyklus
„Anatol“ zum letztenmal zur Aufführung. Aus dem
Zyklus wird gegeben: „Frage an das Schicksal",
„Weihnachtseinkäufe", „Abschiedssouper", „Hoch¬
zeitsmorgen" mit den Damen: Speidel, Schratten¬
bach, Kreß, Damario, den Herren Heppner und
Karma in den Hauptrollen. (Gelb.)
Für Mittwoch bereitet die Direktion die Auffüh¬
rung der Eulenbergschen Dichtung „Belinde" vor.
Das Repertoire der Osterfeiertage lautet folgender¬
maßen:
Ostersonntag nachmittags zum letztenmale: „Ro¬
senmontag“, Schauspiel von Otto Erich Hartleben.
Abends geht neueinstudiert die lustige Nestroy¬
sche Posse „Robert und Bertram" in Szene.
Ostermontag nachmittag findet die letzte Kinder¬
vorstellung statt. Zur Aufführung gelangt: „Der
verwunschene Prinz“, ein lustiges Kinderstück von
Plötz in 5 Bildern.
Abends wird die beliebte Eyslersche Operette
„Die Schützenliesel" gegeben.
box 9/1