II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 416

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Zyklus
4.9. Anatol
Ausschnitt aus: Salzburger Volksblatt
vor: MERZ 1915
es Jhnen nach lange gen.
2 Uhr Staatsbahnhof.
re
enter, Kunst und Musik.
„Anatol. Als Erinnerung an diesen Abend bleibt
enschieden ein leises Unbehagen. Man ist sich bald darüber
kan daß es weder Mache, noch Technik, noch lateinische Her¬
kunft und Geistigkeit dieser Szenen ist, woran man Anstoß
nimmt, noch die Art, wie sich die Welt hier spiegelt. Wir
Jüngeren hatten längst gefühlt, daß dieser Anatol unseren
Herzen ferner stand, als sich aus den wenigen Jahrfünften,
die verflossen waren, erklären ließ. Nun wird es, an der
ungeheuren Wirklichkeit dieser Tage gemessen, erschreckend
klar, daß diese Bilder einer verschollenen Epoche angehören.
Trotz alledem bleibt das Werk ein Dokument und eine Tat
und darf so leichtfertig, wie das gestern geschah, nicht entstellt
werden. Mühelos hätte der Regisseur vieles besser machen
können. Die „Frage an das Schicksal im hellsten elektrischen
Lichte durfte nicht stimmungslos verhallen, das „Abschieds¬
Souper nicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt, noch „Anatols
Hochzeitsmorgen", wie ein französischer Schwank-Akt, grob
auf äußere Wirkungen gestellt, ohne Abstufungen in einem
unnatürlich forcierten Tempo gespielt werden. Anatol ist
Günther. Aber er ist es in einer zu oberflächlichen, zu
routinierten, zu liebenswürdigen Art und Weise. Er ent¬
täuscht, weil man eine vollkommenere Leistung erwartete.
Wir wollen in friedlicheren Zeitläuften wieder ernsthaft solche
Dinge verhandeln. Gelingt es durch eine Mustervorstellung
(irgendwo) den Anatol auf der Bühne heimisch zu machen,
so müßte ihn dennoch Günther spielen, der für die Rolle so ziem¬
lich alles mitbringt. Freilich von einer anderen Seite her. Viel¬
fältiger, geistiger, verfeinerter, haltloser. In einem anderen Rah¬
men: denn es ist klar, daß diese Szenen nicht im Kostüm von
Neunzehnhundertfünfzehn gespielt werden dürfen. Ich weiß einen
jungen Künstler, der die Figurinen und Szenenbilder für eine
solche mattgetönte und dabei doch unendlich lebendige Auf¬
führung entwerfen müßte. — Wien 1890. — Den paar Lieb¬
habern, denen der Anatol gestern abends verleidet wurde,
rate ich, so schnell wie möglich nach dem Buch zu greifen und
— so ihnen diese Tage wirklich keine schwereren Sorgen auf¬
erlegen — den unvergleichlich anmutigen Prolog Hofmanns¬
w.
thals ja nicht zu vergessen!
Ausschnitt aus:
burger und

Salzburg
Theater und Konzerte.
Zum
„Anatol, Abschiedsgastspiel Karl Günther.
Glück ist die heurige Spielzeit zu Ende. Zum Glück
Ja! So gerne wir unseren Bühnenmitgliedern noch
wei Monate Spielzeit gegönnt hätten — aber dieses
reche Geschause eines sexuellen Hochstaplers paßt in
die ernste Kriegszeit wie das Grunzen eines Ebers in den
Konzertsal. Es ist unglaublich, daß in unserer doch im¬
mer noch deutschen Stadt ein so seichtes, so schamlos
schmutziges Dirnenstück wie besonders der vierte Ein¬
ter „Anatols Hochzeitsmorgen gespielt werden darf
es ist unverantwortlich, daß deutsche Mütter der Stadt
und Umgebung ihre Töchter zu solchen Verherrlichungen
der gemeinsten Sinnlichkeit führen; es ist geradezu ein
Skandal, daß sich in allen zuständigen Stellen auch nicht
in deutscher Mann findet, der solchen nicht einmal gra¬
ziösen, sondern orientalisch=gemeinen Unzuchtsszenen
in kräftiges Veto entgegensetzt. Von dem Intendanten
des Theaters solch eine deutsche Mannestat zu erwarten,
wird man ganz besonders nach den Erfahrungen der
heurigen Spielzeit wohl unterlassen, obwohl hier
sein Wort am Platz gewesen wäre: „Das Stück ist zu
roh und zu gemein und paßt in die Kriegszeit
nicht hinein.“ Die Spielzeit hat also einen Schluß er¬
halten, der Widerwillen und Ekel bei gesund fühlenden
und vernünftig denkenden Menschen erwecken muß.
Welche deutsche Mutter möchte wohl eine Schnitzlersche
Ilona zur Tochter oder den Lumpen Anatol zum Sohn
haben? Sie stehe auf! Aber ich wette: es meldet sich
eine. Gelacht haben manche über die Schnitzlerei, aber
in ihrer Familie möchten sie niemanden von dem Ge¬
sindel haben, das sich da zweieinhalb Stunden auf un¬
serer Bühne breitmachen durfte.
Herr Karl Günther stand in der Titelrolle der
vier Einakter nicht auf der Höhe seiner sonstigen Lei¬
ungen; er schwamm keck in dem Schnitzlerschen Schwatz
herum und blieb trotz dem sehr aufdringlichen Einblasen
gar oft stecken. Wir hätten gewünscht, daß er uns seine
Kunst an einem würdigeren Vertreter des homo sa¬
piens gezeigt hätte. Weit besser beherrschte Herr
Herbst die Rolle des Max. Von den weiblichen Mit¬
wirkenden hatte nur Frl. Lord in dem hier schon be¬
kannten „Abschiedssouper“ eine größere Rolle, die sie
überraschend gut durchführte: Frl. Sandorff wird
sich in der kleinen Dirnenrolle der Zirkusdame nicht
wohlgefühlt haben und von Frl. v. Hermann müssen
wir wohl auch annehmen, daß sie nur gezwungen die
beiden anderen Dirnenrollen übernommen hatte.
Das Haus war fast ausverkauft, aber bei weitem nicht
so beifallslustig wie sonst bei Günthers Gastspielen.
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