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4.9. Anatol - Zyklus
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsauschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung:
Tageblatt
Ort:
Datum:
1922
Kammerspiele.
„Anatol“ von Arthur Schnitzler.
Diese fünfgliederige Kette ist der Erstling aus Schnitzler
Geschmeidewerkstatt. Fünf Spielchen, flirende Anekdotchen. Einst¬
mals galten sie für teck, für gewagt, geradezu für unerlaubt. Die
Welt hat sich gewöhnt, die Dinge anders zu sehen. Sie ist deutlich
massig und etwas pöbelhaft geworden. Sie will lachen, brüllen,
kreischen. Hat sie ganz verlernt, zu lächeln? Wie schön ist das
Lächeln, das feinschmeckerische, auskostende, ahnende und nach¬
blickende Lächeln! Bei Schnitzler kann sie es immer wieder lernen.
Sie kann sich die wohlgeformte, weiße, fast frauenhafte Hand vor¬
stellen, die den Text dieser Einakter niederschrieb, und darüber, im
Zigarettendampf, das Antlitz des Dichters, wie es selber lächelt
und manchmal in eine verschleierte Weite späht.
Das dann ist erst echter Schnitzler: so wie in dem Stückchen
„Weihnachtseinkäufe kundbar wird. Hier ist Anatol, dem
sonst allemal die Stichworte zugetragen werden, selbst nur Zubringer,
Er spricht, um Gabriele sprechen zu machen, die Dame der korrekten
Welt, die sich mit keuschem Seufzer in die inkorrekte sehnt. Skizze
nur, aber entzückende. Embryo von Dramen, die später entstiegen, ein
leises Anschlagen von Konflikten, ein feiner Klang von Schmerz, der
sich nicht zur Tat vorwagt. Und Lina Lossen, die vornehme
deuterin und Deuterin, spielte, wie schon vor zehn Jahren im
Lessing=Theater, die Frau.
Um die nachdenkliche Anmut reiht sich Betonteres: „Die
Frage an das Schicksal, das hundertmal gespielte Ab¬
schieds souper, dann „Episode, wo Schnitzlers Melancholie
sich ins Ironische dreht. Und schließlich „Anatols Hochzeits¬
morgen. Das ist schon etwas für Leute, die einen Puff wollen
und vertragen, und wenn vom Erfolg des Abends zu sprechen ist,
so knüpfte er besonders an diese stramme Szene an.
Bis hierher hatte sich auch der Regisseur, Iwan Schmith, auf
die Künste des Theaters besonnen. Vorher war er etwas zaghaft;
auch vort, wo er es nicht hätte sein sollen. Er durfte Margarete
Christians, die im übrigen sehr nett war, stärker entfesseln. Wir
haben so viele Annies gesehen, die Niese und die Sandrock, jawohl,
ihre Majestät die Sandrock, und sie waren ausgelassener. Sie tranken
nicht nur Sekt, sie zeigten auch, daß sie ihn getrunken hatten.
Man spielte zuerst auf Charakterdarstellung, nicht auf liebens¬
würdiges Spiel. Man zog vor Schnitzler den Hut, statt diesen Hut
sich ein wenig schief aufs Ohr zu setzen. Auch Anton Edthofer,
Anatol, schwebte nicht genug. Am Schluß freilich, am Hochzeits¬
au
Kammerspiele.
„Anatol“ von Schnitzler.
Ich bin der Typus: leichtsinniger Melancholiker," sagt
fol zu Gabriele in den „Weihnachtseinkäufen", dem
nächsten Bild dem Buch nach, dem stärksten Dialog auf
der Bühne dant Lina Gossen. Und der seine Analytiker in
ihm, der sich nur absichtlich täuschen läßt, um in seinen
Stimmungen träumen zu können, kennt sich genau. Ihm
wäre nie die Idee gekommen, die Frage an das Schicksal
zu stellen. Er braucht die Ungewißheit über die Treue der
ora, um melancholisch sein zu können. Das Geständnis
er Gabriele entflammt seinen Leichtsinn zu gauklerischen
Bildern und veranlaßt ihn zu dem hoffnungsvollen:
„Gnädige Frau Gnädige Frau.“ Das „Abschiedssouper
ist ein Durchbruch der beleidigten Eitelkeit, die das inner¬
lich schlumernde bißchen Gemeinheit auf die Oberfläche
bringt. Ihn schmerzt der zerbrochene Traum in der
„Episode". Und die Resignation des „Hochzeitsmorgens
krönt den Reigen der Stimmungen.
Edthofer glaubte nicht seinen eigenen Worten. Nur
Knick durch den zerbrochenen Traum in der „Episode
war „der Anatol“. Sonst sah man bei ihm weder Stim¬
nungen noch Melancholie als den Untergrund seiner
Liebeleien. Der Leichtsinn lag in dem Schnitzlerschen
Dialog. Nicht einmal das Nachrufen, der, alle Skala der
Empfindungen in wenigen Minuten durchlebenden Lossen¬
Gabriele, verriet, daß er sie verstanden hatte. Die ihm vom
Max aufgedrungene Frage an Coras Treue blieb durch¬
aus nicht deshalb unausgesprochen, weil sie der Anatol¬
Natur zuwider ist, sondern weil er gerade im Augenblick
sich anders entschloß. Im „Abschiedssouper war er ein
eifersüchtiger Haustyrann, der, als er seine Macht ver¬
fliegen sieht, gemein wird. Nur die „Episode" war Stim¬
mung. Für den „Hochzeitsmorgen mache ich den Regisseur
Iwan Schmith verantwortlich. Er hatte hier durch das
grotesk jagende Tempo alle Stimmung zerrissen.
Die etwas auf Oesta hinausspielende Stella
Arbening wäre viel besser, hätte man ihr nicht durch
Kürzungen statt des ironischen „Auf Wiedersehen das
drohende aufgezwungen. Hermann Thimigs Max wer
bei diesem Anatol eigentlich der einzige mögliche, obgleich
er nicht der Schnitzlersche war. Aber der ironische, trockene,
prosaische Max von Schnitzler, der sowohl die Melancholie
wie den schwärmerichen Leichtsinn seines Anatol liebt,
weil sie ihm so kontrar sind, hätte für Edthofer keine
Sympathie übrig. Er konnte nur den grenzenlos gut¬
mütigen, ein wenig witzenden, treuherzigen Burschen, wie
Thimig, neben sich haben. Von den Mitspielerinnen muß
noch ganz in der Zirkusreiterin Bianca aufgehende
Margarethe von Bukovics genannt werden. Margrethe
Christians wollte zu sehr das „naive“ Ballettmädchen
sein. John Heartfield schuf stimmungsvolle Dekora¬
tionen.
Die Kostüme der Damen Gossen, Arbenina, von Theil¬
mann und von Bukovics sind aus dem Modellhaus....
..... straße... Die Hüte der Damen sind von ......
damm .... (Die Frauen müssen ja auf ihre Rechnung
kommen.)
M. Charl.
4.9. Anatol - Zyklus
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsauschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung:
Tageblatt
Ort:
Datum:
1922
Kammerspiele.
„Anatol“ von Arthur Schnitzler.
Diese fünfgliederige Kette ist der Erstling aus Schnitzler
Geschmeidewerkstatt. Fünf Spielchen, flirende Anekdotchen. Einst¬
mals galten sie für teck, für gewagt, geradezu für unerlaubt. Die
Welt hat sich gewöhnt, die Dinge anders zu sehen. Sie ist deutlich
massig und etwas pöbelhaft geworden. Sie will lachen, brüllen,
kreischen. Hat sie ganz verlernt, zu lächeln? Wie schön ist das
Lächeln, das feinschmeckerische, auskostende, ahnende und nach¬
blickende Lächeln! Bei Schnitzler kann sie es immer wieder lernen.
Sie kann sich die wohlgeformte, weiße, fast frauenhafte Hand vor¬
stellen, die den Text dieser Einakter niederschrieb, und darüber, im
Zigarettendampf, das Antlitz des Dichters, wie es selber lächelt
und manchmal in eine verschleierte Weite späht.
Das dann ist erst echter Schnitzler: so wie in dem Stückchen
„Weihnachtseinkäufe kundbar wird. Hier ist Anatol, dem
sonst allemal die Stichworte zugetragen werden, selbst nur Zubringer,
Er spricht, um Gabriele sprechen zu machen, die Dame der korrekten
Welt, die sich mit keuschem Seufzer in die inkorrekte sehnt. Skizze
nur, aber entzückende. Embryo von Dramen, die später entstiegen, ein
leises Anschlagen von Konflikten, ein feiner Klang von Schmerz, der
sich nicht zur Tat vorwagt. Und Lina Lossen, die vornehme
deuterin und Deuterin, spielte, wie schon vor zehn Jahren im
Lessing=Theater, die Frau.
Um die nachdenkliche Anmut reiht sich Betonteres: „Die
Frage an das Schicksal, das hundertmal gespielte Ab¬
schieds souper, dann „Episode, wo Schnitzlers Melancholie
sich ins Ironische dreht. Und schließlich „Anatols Hochzeits¬
morgen. Das ist schon etwas für Leute, die einen Puff wollen
und vertragen, und wenn vom Erfolg des Abends zu sprechen ist,
so knüpfte er besonders an diese stramme Szene an.
Bis hierher hatte sich auch der Regisseur, Iwan Schmith, auf
die Künste des Theaters besonnen. Vorher war er etwas zaghaft;
auch vort, wo er es nicht hätte sein sollen. Er durfte Margarete
Christians, die im übrigen sehr nett war, stärker entfesseln. Wir
haben so viele Annies gesehen, die Niese und die Sandrock, jawohl,
ihre Majestät die Sandrock, und sie waren ausgelassener. Sie tranken
nicht nur Sekt, sie zeigten auch, daß sie ihn getrunken hatten.
Man spielte zuerst auf Charakterdarstellung, nicht auf liebens¬
würdiges Spiel. Man zog vor Schnitzler den Hut, statt diesen Hut
sich ein wenig schief aufs Ohr zu setzen. Auch Anton Edthofer,
Anatol, schwebte nicht genug. Am Schluß freilich, am Hochzeits¬
au
Kammerspiele.
„Anatol“ von Schnitzler.
Ich bin der Typus: leichtsinniger Melancholiker," sagt
fol zu Gabriele in den „Weihnachtseinkäufen", dem
nächsten Bild dem Buch nach, dem stärksten Dialog auf
der Bühne dant Lina Gossen. Und der seine Analytiker in
ihm, der sich nur absichtlich täuschen läßt, um in seinen
Stimmungen träumen zu können, kennt sich genau. Ihm
wäre nie die Idee gekommen, die Frage an das Schicksal
zu stellen. Er braucht die Ungewißheit über die Treue der
ora, um melancholisch sein zu können. Das Geständnis
er Gabriele entflammt seinen Leichtsinn zu gauklerischen
Bildern und veranlaßt ihn zu dem hoffnungsvollen:
„Gnädige Frau Gnädige Frau.“ Das „Abschiedssouper
ist ein Durchbruch der beleidigten Eitelkeit, die das inner¬
lich schlumernde bißchen Gemeinheit auf die Oberfläche
bringt. Ihn schmerzt der zerbrochene Traum in der
„Episode". Und die Resignation des „Hochzeitsmorgens
krönt den Reigen der Stimmungen.
Edthofer glaubte nicht seinen eigenen Worten. Nur
Knick durch den zerbrochenen Traum in der „Episode
war „der Anatol“. Sonst sah man bei ihm weder Stim¬
nungen noch Melancholie als den Untergrund seiner
Liebeleien. Der Leichtsinn lag in dem Schnitzlerschen
Dialog. Nicht einmal das Nachrufen, der, alle Skala der
Empfindungen in wenigen Minuten durchlebenden Lossen¬
Gabriele, verriet, daß er sie verstanden hatte. Die ihm vom
Max aufgedrungene Frage an Coras Treue blieb durch¬
aus nicht deshalb unausgesprochen, weil sie der Anatol¬
Natur zuwider ist, sondern weil er gerade im Augenblick
sich anders entschloß. Im „Abschiedssouper war er ein
eifersüchtiger Haustyrann, der, als er seine Macht ver¬
fliegen sieht, gemein wird. Nur die „Episode" war Stim¬
mung. Für den „Hochzeitsmorgen mache ich den Regisseur
Iwan Schmith verantwortlich. Er hatte hier durch das
grotesk jagende Tempo alle Stimmung zerrissen.
Die etwas auf Oesta hinausspielende Stella
Arbening wäre viel besser, hätte man ihr nicht durch
Kürzungen statt des ironischen „Auf Wiedersehen das
drohende aufgezwungen. Hermann Thimigs Max wer
bei diesem Anatol eigentlich der einzige mögliche, obgleich
er nicht der Schnitzlersche war. Aber der ironische, trockene,
prosaische Max von Schnitzler, der sowohl die Melancholie
wie den schwärmerichen Leichtsinn seines Anatol liebt,
weil sie ihm so kontrar sind, hätte für Edthofer keine
Sympathie übrig. Er konnte nur den grenzenlos gut¬
mütigen, ein wenig witzenden, treuherzigen Burschen, wie
Thimig, neben sich haben. Von den Mitspielerinnen muß
noch ganz in der Zirkusreiterin Bianca aufgehende
Margarethe von Bukovics genannt werden. Margrethe
Christians wollte zu sehr das „naive“ Ballettmädchen
sein. John Heartfield schuf stimmungsvolle Dekora¬
tionen.
Die Kostüme der Damen Gossen, Arbenina, von Theil¬
mann und von Bukovics sind aus dem Modellhaus....
..... straße... Die Hüte der Damen sind von ......
damm .... (Die Frauen müssen ja auf ihre Rechnung
kommen.)
M. Charl.