II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 456

Zyklus
4.9. Anatol
Klose & Seiden
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Der An¬
Ort:
Datum:

Kammerspiele.
„Anatol“ von Arthur Schnitzler.
Die Einakter, die so heißen (nach ihrem Helden
heißen, y nun schon längst historisch. Einst, da
wir Zwanzig waren, spielten wir noch selbst darin
Oder ersuchtens wenigstens, der eine mit mehr,
der mit weniger Talent und Glück. Es
war eine schöne Zeit. Denn wir waren jung.
Und unerfahren. Und gerade weil wir jung und
unerfahren, taten wir so, als ob wir alt und sehr
erfahren wären.
Denn es ist ja nicht nur das Wien um die
Jahrhundertwende, das diese 1892 entstandenen
Szenen spiegeln, so wienerisch sie auch sind. Es
ist die ganze Zeit, es ist unsere Jugend, deren
Herz Loris Hofmannsthal und jenem Erwin ge¬
hörte, der in Andrians „Garten der Erkenntnis
lebte (und starb, ohne erkannt zu haben, wie es
da zum Schlusse heißt). Oder es ist, um Worte
eben jenes Loris zu zitieren, die noch jetzt dem
Buche „Anatol als Prolog vorausklingen, „die
Komödie unsrer Seele, unsres Fühlens Heu
und Gestern. Wien war damals eben groß,
und Berlin, zu mindest literarisch, nur ein Vor¬
ort von Wien.
Nun soll das alles neues Leben erhalten, einer
bösen Zeit, die Welten von der damals trennen,
einer Generation, die kämpfen soll und kämpft,
wie Krieg und Umsturz sie's gelehrt, noch einmal
unsere jugendlichen Erschütterungen vermitteln
Erinnerung meint traumversunken: Unmöglich
Dieser Anatol, der wir, wie gesagt, als Zwanzi¬
ger zu sein versuchten, andere, die zehn Jahre
älter waren, vielleicht wirklich waren ... dieser
Anatol ist tot. „Frühgereit und zart und trau¬
rig" ist er gestorben, und von ihm erzählen, will's
die Stunde so, nur vergilbte Briefe, Schleifen,
Locken, ein paar dünne Verse in der Schatulle
der Erinnerung. Denn das Leben kam, und
Anatol, der Jüngling, wurde Mann.
Aber die Bühne will es anders. Sie straft das
„Unmöglich!“ Lügen. Sie weckt die Vergangen¬
heit. Und was so lange, zärtlich gehegt, nur
Schattenspiel der Seele, wird wieder Wirklichkeit.
Als Gleiches vor Jahr und Tag das Theater in
der Königgrätzer Straße mit Eugen Burg als
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Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 1
Vorwärts
Zeitung:
Berlin
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Anatole in den Kammerspielen. Die zarte Halb welchronik, die
Arthur Schnitzler zur Unsterblichkeit des Wiener süßen
Mädels und des artigen Lebemannes Anatol geschrieben hat, wird
jetzt in den Kammerspielen aufgeführt. Es ist immer das gleiche,
mit feinster Hand gestreifte Problem von der Liebelei. Es ist auch
immer der gleiche melancholische Reigen der Liebeleien, weil es sich
stets um den gleichen Liebeschüler, den jungen Herrn Anatol
handelt. Er geht zwar am Schlusse des letzten losen Stückleins zur
richtigen Hochzeit, aber er tut es in äußerster Ungläubigkeit vor der
Bannkraft dieser Bindung. Man überschätze diese lieben Sächelchen
nicht, wenn man sich davon Rechenschaft ablegt, daß nur ein ganz
sublimer Künstler so leicht über diese heiklen Dinge hingleiten kann.
Aber man setze diese Kunst der wirklich holden Frivolität nicht durch
siges Moralisieren herab. Gewiß, die Moral ist die, das süße
Mädel mutet heute schon etwas großmütterlich an. Herr Anatol
gar verdient eigentlich, daß man ihn in einen Narrenkäfig einsperrt
und vier Wochen auf Wasser und Brot setzt; aber Schnitzler ist doch
der erste, der diese morbiden Geschöpflein erschuf. Die Nachahmer
haben verdorben und vergröbert, was er aufs fröhlichste und vor¬
nehmste ziselierte.
Herr Edhofer spielt mit einer etwas zu hoch schnarrenden
Ueberlegenheit und nicht sehr verträumt den Anatol. Ueberhaupt
huldigt de Regisseur zu Unrecht dem Schwanktempo. Es müßte
wiser hergehen, wiegender, walzermäßiger. Wienerisch in diesem Sinn
bleibt vollkommen nur Herr Thimig. Erika von Theil¬
mann,
Margarete
von
Bulovics,
Fräulein
Christians und Stella Arbenina beleuchten mit ihrem
Talent das unwandelbare, trotzdem ewig verwandelte Bildchen des
süßen Mädels. Und Lina Lossen steht einige Minuten auf der
Bühne als die bürgerlich feste Frau, die ihr eigenes gewichtiges Herz
gegen das flottere Herzchen all der flattrigen Nebenbuhlerinnen ver¬
teidigt.
M. H.

gar nahe. Echter ist der Max Hermann Thimigs
Anatol (ja, mit Burg als Anatol. ich flunkere
mit seinem trockenen, liebenswürdigen Humor,
nicht!) versuchte, schrieb ich, die Szenen müsten
wenn er auch, um gereifter zu erscheinen, einer
einmal, um ihren ganzen Duft ausströmen lassen
Brille bedarf, was ihm einen Anflug von Pedan¬
zu können, im Kostüm und in Interieurs der Zeit
terie gibt. Ganz echt aber ist, wie einst bei
gespielt werden... die beides, Kostüm wie In¬
Brahm, Lina Lossens als Gabriele in den „Weih¬
terieur, viel verschiedener von dem des Heute sind,
nachtseinkäufen, die Dame, die junge Frau, die
als man gemeinhin annimmt. Dann nämlich
sehnsüchtig in die Welt des süßen Mädels blickt,
wären sie in der Tat Stücke unseres Selbst, wären
aber vornehm die Haltung bewahrt.
auch auf der Bühne das, was sie literarisch sind:
Historie voll verklungener Reize, verwehter Süßig¬
Und die süßen Mädels? Die sind nacheinander
keit, Atem des Gestern.
aufgezählt, Erika von Thellmann, die nur ein
Das geben nun die Kammerspiele leider auch
nettes Dickerchen, Margarete Christians, ein blon¬
nicht, nicht Iwan Smith in der Regie, nicht die
der Wuschelkopf und Frechdachs, etwas nüchtern
Bilder John Heartfields. Im Gegenteil. Die leise
Margarete von Bukovics und, sehr schön und tem¬
verhaltene Melancholie, die den „Anatol-Szenen
peramentvoll und in einem wundervollen Abend¬
ihren pariesten Reiz leiht und die eben das Fin¬
kleid, als letzte vor Anatols Hochzeit Stella Arbe¬
de siecle-Klima ist, verwandelt Schmith in kecken
nina, die nur nicht die Orska so kopieren dürfte.
Lustspielton, in die Melodie des Heute, die ergötzt,
So zieht noch einmal in fünf Bildern Anatols
amüsiert, aber jede Illusion gefährdet. Und Ko¬
Leben uns vorüber... auch das ein Reigen, der
stüm und Milieu sind, dem Publikumsgeschmack
Symbol entglittener Tage ist, von der „Frage an
angepaßt, der modische Möbelprunk, bizarre Far¬
das Schicksal bis zum „Hochzeitsmorgen". Man
ben und neueste, allerneueste Toiletten goutiert,
lacht, weil das alles sehr lustig ist. Aber daß es
nicht weniger der Stil des Heute. Das rückt die
mehr ist, das gibt der Abend nicht, dem temperier¬
Dinge in ein falsches Licht, und was als Reminis¬
ter Beifall dankt.
Ludwig Sternaux,
zenz tiefstes Herzecho wecken könnte, beansprucht,
so aufgemacht, wieder Leben zu sein.
Schnitzlers Ruhr, daß es das zum Teil wird!
Diese Grazie, diese Anmut, dieser kokett be¬
schwingte Dialog sind zeitlos. Den Wissenden
zwar kann man nicht täuschen: so sprachen, so
fühlten, so spielten die jungen Leute nur da¬
mals. Aber wer weiß es denn? Die wenigsten.
Und wie man den „Reigen“ als Spiegelbild des
Heute mißdeutet hat, so gefällt auch vom
„Anatol“ vieles, als ob's auf unsere Zeit ge¬
münzt wäre. Gefällt und wird belächelt, belacht.
Es ist der Esprit, der bleibt und dieser bösen
Dinge hübschen Formel Licht und Glanz gibt.
Und, immerhin, auch die Darstellung. Der
Anatol, den wir geliebt und dessen Porträt wir in
der Erinnerung tragen, ist Anton Edthofer frei¬
lich nicht. Dazu ist er zu sehr Schauspieler. Ist
zu bewußt. Aber er hat etwas von dem imagi¬
nären Charme der Gestalt, hat in der Geste, in
der Stimme die frühreife Blague, mit der Ana¬
tol so hübsch kokettiert. Und so gerät ihm manche
Szene recht hübsch, und wo er leise Komik an¬
klingen lassen darf, kommt er dem Realbild so¬