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4.9. Anatol - Zyklus
„Anatol.
nakter=Zyklus von Arthur Schnitzler,
Kammerspiele.
Für Schnitzler ist gute Zeit
In den fünf Tagebuchblättern eines lebemännlichen Jung¬
gesellen, die mit der üblen Geschmacklosigkeit „Anatols Hochzeits¬
morgen" abschließen, habe ich ebenso wie im „Reigen“ den be¬
rühmten „melancholischen Zug nicht bemerken können. Dagegen
gibt es einige amüsante und einige magere Pointen, an denen
die Interessenten von Boudoirgeheimnissen Vergnügen haben
mögen. Das „Abschiedssouper ist recht sprühend gemacht. Die
übrigen Dinger haben mich gelangweilt, solange ich sie kenne
und auch gestern, wo sie in glitzerndem Spiel gezeigt wurden.
Edthofer, elegant, schlank und bleich ist der „empfin¬
dende Anatol, Thimig, gesund, rosig und wienerisch der
„genießende Max. Er war für die Aufführung wesentlicher als
sein Titel=Kollege. Die Damen, die durch die Schlafgemächer
wandern, werden von Erika v. Thellmann, Mady
Christions, Margarete v. Bukovies und Stella
Arbenina mit entsprechender Charakteristik gegeben. Lina
Lossen ist Frau Gabriele, die nicht den Liebes=Mut ihrer Mit¬
schwestern besitzt. Lina Lossen kann solche Rolle natürlich
spielen, und zwar mit Geschmack, wie man seit der Brahmschen
Première weiß, aber daß man sie ihr gegeben hat, ist eine
zynische Profanierung dieser fraulich=holdesten Darstellerin, die
wir überhaupt haben.
Wenn doch die Holländer=Bühnen ihren Spielplan auf Lina
Lossen einstellen wollten! Dann würde man dort nur edle
Kunstwerke sehen — und nicht Dinge von vorgestern.
K. 5.
Anatol von Arthur Schnitzler.
Arthur Schnitzler wird in diesem Mai 60 Jahre. Ist es nicht
türlich, daß besonders diejenigen, die mit dem liebenswürdigen
melancholischen Erotiker jung waren, ihm durch Aufführung
seiner Werke eine freundliche Ehrung erweisen wollen? Oder
spricht bei der Neueinstudierung des „Anatol in den Kammer¬
spielen weniger die Pietät gegen den Dichter mit als die
Ueberlegung, daß diese Wiener Welt von 1893, die Welt des
heiteren, keptischen Lebensgenusses und der lieben füßen
Mäderln“ dem Publikum von heute äußerlich fast ebenso freund¬
lich schimmert und entgegenkommt, wie die pikante Munterkeit
des französischen Komödienimportes? Die Regie hatte sich er¬
sichtlich auf den letzteren Standpunkt gestellt, und der Reigen
holder Weiblichkeit, der in den fünf graziösen Einaktern das
nuancenreiche Liebesleben des jungen Anatol verkörpert. —
Erika v. Theilmann, Margar. Christians, Margar.
v. Bukovics, vor allem Lina Lossen und die temperament¬
volle Stella Arbenina hatten sich bewußt und eindrucksvoll
auf moderne Lustspielflottheit eingestellt. Wenn trondem doch
auch immer wieder die melancholische Leichtsinns= und Jugend¬
poesie des Werkchens zum Durchbruch kam, so lag das weniger.
an dem Spiel des Herrn Edhofers als Anatol, sondern
daran, daß Arthur Schnitzler doch eben ein Dichter und kein
Pariser Komödienfabrikant ist. Auch dem im einzelnen vor¬
züglichen Spiel Hermann Thimigs als Freund Max fehlte
jene lässige Selbstverständlichkeit und wienerisch männlische
Morbidezza“ von ehemals, die freilich heute wohl gar nicht
mehr verstanden werden kann.
Als ich in der Vorortbahn später nach Hause fuhr, ging in dem
Abteil eine erregte Debatte über den letzten Box-Matsch Brei¬
tensträters mit irgendeinem andern „Herden“.
Armer kleiner Anatol, die fehlt für diese raube Zeit eben der
Biceps und seien wir offen — auch der geistige Biceps
C. ch
4.9. Anatol - Zyklus
„Anatol.
nakter=Zyklus von Arthur Schnitzler,
Kammerspiele.
Für Schnitzler ist gute Zeit
In den fünf Tagebuchblättern eines lebemännlichen Jung¬
gesellen, die mit der üblen Geschmacklosigkeit „Anatols Hochzeits¬
morgen" abschließen, habe ich ebenso wie im „Reigen“ den be¬
rühmten „melancholischen Zug nicht bemerken können. Dagegen
gibt es einige amüsante und einige magere Pointen, an denen
die Interessenten von Boudoirgeheimnissen Vergnügen haben
mögen. Das „Abschiedssouper ist recht sprühend gemacht. Die
übrigen Dinger haben mich gelangweilt, solange ich sie kenne
und auch gestern, wo sie in glitzerndem Spiel gezeigt wurden.
Edthofer, elegant, schlank und bleich ist der „empfin¬
dende Anatol, Thimig, gesund, rosig und wienerisch der
„genießende Max. Er war für die Aufführung wesentlicher als
sein Titel=Kollege. Die Damen, die durch die Schlafgemächer
wandern, werden von Erika v. Thellmann, Mady
Christions, Margarete v. Bukovies und Stella
Arbenina mit entsprechender Charakteristik gegeben. Lina
Lossen ist Frau Gabriele, die nicht den Liebes=Mut ihrer Mit¬
schwestern besitzt. Lina Lossen kann solche Rolle natürlich
spielen, und zwar mit Geschmack, wie man seit der Brahmschen
Première weiß, aber daß man sie ihr gegeben hat, ist eine
zynische Profanierung dieser fraulich=holdesten Darstellerin, die
wir überhaupt haben.
Wenn doch die Holländer=Bühnen ihren Spielplan auf Lina
Lossen einstellen wollten! Dann würde man dort nur edle
Kunstwerke sehen — und nicht Dinge von vorgestern.
K. 5.
Anatol von Arthur Schnitzler.
Arthur Schnitzler wird in diesem Mai 60 Jahre. Ist es nicht
türlich, daß besonders diejenigen, die mit dem liebenswürdigen
melancholischen Erotiker jung waren, ihm durch Aufführung
seiner Werke eine freundliche Ehrung erweisen wollen? Oder
spricht bei der Neueinstudierung des „Anatol in den Kammer¬
spielen weniger die Pietät gegen den Dichter mit als die
Ueberlegung, daß diese Wiener Welt von 1893, die Welt des
heiteren, keptischen Lebensgenusses und der lieben füßen
Mäderln“ dem Publikum von heute äußerlich fast ebenso freund¬
lich schimmert und entgegenkommt, wie die pikante Munterkeit
des französischen Komödienimportes? Die Regie hatte sich er¬
sichtlich auf den letzteren Standpunkt gestellt, und der Reigen
holder Weiblichkeit, der in den fünf graziösen Einaktern das
nuancenreiche Liebesleben des jungen Anatol verkörpert. —
Erika v. Theilmann, Margar. Christians, Margar.
v. Bukovics, vor allem Lina Lossen und die temperament¬
volle Stella Arbenina hatten sich bewußt und eindrucksvoll
auf moderne Lustspielflottheit eingestellt. Wenn trondem doch
auch immer wieder die melancholische Leichtsinns= und Jugend¬
poesie des Werkchens zum Durchbruch kam, so lag das weniger.
an dem Spiel des Herrn Edhofers als Anatol, sondern
daran, daß Arthur Schnitzler doch eben ein Dichter und kein
Pariser Komödienfabrikant ist. Auch dem im einzelnen vor¬
züglichen Spiel Hermann Thimigs als Freund Max fehlte
jene lässige Selbstverständlichkeit und wienerisch männlische
Morbidezza“ von ehemals, die freilich heute wohl gar nicht
mehr verstanden werden kann.
Als ich in der Vorortbahn später nach Hause fuhr, ging in dem
Abteil eine erregte Debatte über den letzten Box-Matsch Brei¬
tensträters mit irgendeinem andern „Herden“.
Armer kleiner Anatol, die fehlt für diese raube Zeit eben der
Biceps und seien wir offen — auch der geistige Biceps
C. ch