II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 511

4.9. Anatol
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lu¬


Thalia-Theater.
Schnitte: „Anatol". Wie ist doch der Wind
der Zeit in diese Menschen gefahren, daß es raschelt wie
dürres Laub und ein blasser, welker Durt aufsteigt. Eine
Welt der zärtlichen Abenteuer und der Bonmots wird
gespenstisch wach und doch nicht lebendig. Wir haben
nichts, nichts mehr damit gemein. Dieses Anatols ganzes
Denken kreist monomanisch um einen Punkt: die Liebe.
„Man's love is of man's life a thing apart; —
t'is woman's whole existence" heißt es in Borons „Don
Juan". Also wäre Anatol kein Mann, denn ihm ist die
Liebe das ganze Leben. Wenn es die Liebe wäre. Aber
er muß sie beschwatzen, muß sie bengalisch beleuchten, muß
sich auf ein Gefühlströnchen setzen, um ihrer habhaft zu
werden. Er ist sich nur des einen Triebs bewußt, und
dieser Trieb verläuft in der Fläche kultivierter Sensa¬
tionen, er hat nur den einen Inhalt, und dieser Inhalt
ist die Leere. Man soll das heute nicht mehr wichti¬
nehmen. Schließlich sind diese Einakterchen ja nichts als
aufgetriebene Epigramme, deren Bestes noch ihr szenischen
Witz. Man wirble sie herunter, lasse die Geistrakter
steigen, den szenischen Effekt sprüben. Im Thalia=Theater
wo, unter Herrn Halverns Leitung, vier von den
sieben Szenen gespielt werden („Die Frage an das
Schicksal“. „Episode". „Abschiedssouver“. „Anatols Hoch¬
zeitsmorgen"), lastet alles noch ein wenig. Auch Herrn
Buschhoffs Anatol ist zu schwerfällig, wenn auch mit
liebenswürdig ruhigem Humor. Den Geistreichtum des
Freundes Max gelassen hinzulegen, macht Herrn Halvern
keine Mühe. Nett Frl. Dorrn, das Mädel aus der
Vorstadt. Aber Frau Habel=Reimers treibt das
Abschiedssouper in die gröbste Posse. Diese Annie
kommt immerhin vom Ballett und nicht aus dem Grün¬
krankeller. Und die ordinäre Schlußwendung fällt unter
den Tisch, wenn vornherein alles ordinär ist. Frl.
Sulzer macht oft hysterische Wut der Enttäuschten,
nur ein gewisses erkuren war zu deutlich Theater
.
ter Neueste Nach
raan.
Mai 197
Breslauer Theater

a. Thalia-Theater. Anatol." Im Musintempel auf der
Schwertstraße hat sich für einige Wochen Schnitzers verwöhnter
iener Genießer Anatol, der empfindsam melancholische Lebe¬
kann, der flatterhafte Illusionist, der sich schau in Schleier der
Wahrheit zu heben, heimisch gemacht. Er kostet das Glück, das
ihm das durch Schnitzler berühmt gewordene süße Wiener
Mädel“ bietet, aus; er läßt sich zur „Frage an das Schicksal
drängen, um sich schließlich der Antwort, die ihm über die Treue
der Geliebten Gewißheit geben soll, zaghaft zu entziehen; er be¬
schwört, noch in der Erinnerung beseligenden Genuß erneuern,
die Schatten geliebter Frauen herauf, die für ihn nur
Episoden“ in seinem Liebesleben sein konnten, wir sehen
ihn beim Abschiedssouper mit einer netten Ballett¬
ratte, deren „Zuvorkommenheit" ihn entrüstet, und erleben das
etwas stürmische Ende des Junggesellen an „Anatols Hochzeits¬
morgen. Drei der graziösen Dialoge aus Schnitzlers Einakter=
Reihe, die bereits den Meister des Dramas ahnen läßt und von
der Stimmungsatmosphäre und dem skeptisch-ironischen, spielend¬
schwermütigen Geiste seiner Lebensanschauung erfüllt ist, fehlen,
und man darf wohl die Frage aufwerfen, ob man nicht vor dem
verhältnismäßig schwachen „Hochzeitsmorgen", der allerdings so
etwas wie einen äußerlichen, bühnengemäßen Abschluß der Ein¬
akter=Folge bildet, einem dieser ausgelassenen Einakter hätte den
Vorzug geben sollen. Von den vier ausgewählten übte das
öfter für sich allein aufgeführte „Abschiedssouper die weitaus
stärkste Wirkung. Hier war Käte Habel=Reimers als nain¬
lecke Ballettratte Annie aus der der vorwitzige Druckfehlerteufel
eine Amme" gemacht hatte) von überwältigender Komik und
lebensprühender Frische, die freilich nicht die des süßen Weiner
Mädels war. Auch Willy Buschhoffs sonst ein charakterisierter
Anatol, dessen empfindsame Schwermut doch zu stark die sinnliche
Genußfreudigkeit des Wiener Lebejünglings überschattete, hatte
kein Wiener Blut in den Adern. Josef Halpern aber, der
den ironisch=kühlen Betrachter, den lächelnden und sanft an¬
stachelnden Gegner sentimentalen Selbstbetruges mit gelassener
Sicherheit aufs glücklichste verkörperte, und auch als Spielleiter
für einen ansprechenden szenischen Rahmen gesorgt hatte, zeigte,
wie man echtes Wienertum auch ohne besondere dialektliche
Betonung lebendig machen kann. Von den Freundinnen
Anatols hatte nach Käte Habel=Reimers die dankbarste Rolle Iie
Sulzer, die als temperamentvolle Ilona den Hochzeitsmorgen
Anatols sehr bewegt gestaltete, während Irma Dorrn als Cora
und Maly Delschaft als Bianca in die flüchtigen Umrisse
ihrer Rollen keinen kräftigeren Nachdruck zu legen vermochten.
Die Zuschauer nahmen „Anatol“ mit freudiger Wärme auf.
Thaliatheater Neu einstudiert: „Anatol." Schnitzles
Anatol=Einakter mit ihrer Skepsis und konie, ihrem graziosen
Wienertum und ihrer leichtbeschwingten Erotik, gehören einer Zeit
an, die vergangen ist. So wenig wie das üppige Wien von dazu¬
mal, gibt es heutzutage noch Typen à la Anatol, und darum
muten uns diese bereits etwas verstaubt und anachronistisch
an. Im übrigen der Aufführung im Thaliatheater gerade
die Wiener Note und auch Herr Buschhoff, dessen Fähigkeiten
nicht unterschätzt seien, ist eigentlich kein Anatol. Den Ton des
blasierten Max traf Herr Halpern da schon besser und auch die
Fräuleins Dorrn und Delschaft waren als „süße Mädels
bemüht, dem Dichter ge icht zu werden.
Eulau, 4. Juli (Von der Schaubühne. — Ende
der Spielzeit.)
Den Schluß der diesjährigen Spielzeit
bildete ein Artur¬
Abender am 1. Juli in der Turn¬
halle stattfand. Es schiedelung wurde „Liebelei“ und
desselben Verfassers übermütige Lustspiel „Abschiedssouper
gegeben. Das Schauspiel kan Neigungen unserer Zuhörer¬
schaft nur zum Teil entgegen, zum hatte Film für eine
Verflachung des Inhalte Sorge et dem Wesen des
Werkes Gewalt antut; immerhin allen wir es aber der Spiel¬
leitung und dem Turnverein, daß uns mit dem ein¬
stigen Wortführer der Meter Schule bekannt gemacht.
lich, die Wienzelt, Wiener Schallmutter
manchen Schlager wir verpuffen, der sonst zündet. Die
neue Spielzeit gedenkt Herr Huttig, 1. Bonvivant und Lieb¬
haber vom Deutschen Landestheater in Prag, der neue Spiel¬
leiter, am 7. August mit dem „Gardeoffizier zu eröffnen.
Glück zu!
und Literatur.
hestä, niin,
art, 9. August
ka hatte Fra¬
Anatol.) Aus der kleinen Roll¬
Lori ein zartes Kunstwerk geschaffen über ist derber,
wenn man will, naturalistischer, ne Ziskame. Allerdings
dürften internationale Zirkusdamen auch tationale Ma¬
pieren besitzen... Im übrigen war die Leistung kalentiert und
unfertig. — Fr. Dürr hingegen zeigte ich als selbstdenkende
Schauspielerin. Ihre
und schon ziemlich sicher gestaltende
Ilona stammte wirklich aus Transleithaften und nicht — wie
sonst der Brauch — aus Hernals. Das Tempo schleppte
manchmal. Was mir ausfiel, das war der Diener des Anatol,
ein Herr Marner. Aber nicht im Guten Ziel der Herr Marner
auf. Der Diener des Anatol ist ein Diener aus der alten Zeit,
der begrobst wird, der sogar eine Ohrfeige bekommt und nicht
mucksen darf; nur diskret lächeln kann er, höchstens innerlich
ironisch sein, meinetwegen im allergeheimsten ein Revolutionär,
ein Anarchist sein. Aber anmerken darf man ihm nichts. Nach
außer hin ist er devot, höflich abwehrend, diskret ignorie¬
rend. Was macht aber der Herr Marner? Mit den breit¬
beinigen Manieren eines Betriebsrates von heute tritt er in
diese Kavaliersbude, in diese großbürgerlich-schlampige Jung¬
gesellenwirtschaft von anno dazumal. Er ist schon obstinat, be¬
vor er angeflegelt wird, er protestiert schon gegen Ohrfeigen,
bevor er sie bekommt. Mürrisch setzt er den Teekessel auf den
Tisch, jede Miene drückt ein deutliches Mißfallen, einen Wider¬
willen gegen diese schlampige Anatol=Wirtschaft aus. Nein,
Herr Marner, das geht nicht! Einen solchen Diener hätte der
wirkliche Anatol am ersten Tage entlassen. So ein stummer
Sozialkritiker paßt vielleicht in eine Komödie von Steinheim,
paßt in eine sozialkritische Komödie, aber nicht zu Schnitzler,
der ja denn doch mit Vergnügen plätschert und im innersten
das Element bejaht, aus dem leise und lustig wie bunte Blasen
seine wehmütig leichten Werkchen steigen. — Es sind ja nur drei
Sätze, die der Herr Männer zu sprechen hat. Aber man kann
mit drei Sätzen — zwar keinen wuchtigen „Lear" oder „Mac¬
beth“ — wohl aber einer duftigen, luftigen Anatol-Skizze das
Lebenslichtlein ausblasen. Das letzte fehlt, das Tipferl auf
dem I: der Stil.
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