II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 599

or¬

entstanden, vereinigte der Dichter zu einem
bunten Blütenstrauß. Einer dieser Einakter
geriet zu Anfang der neunziger Jahre auf die
Ischler Bühne. Ich depeschierte meinem Blatte:
„Zwar hat Schnitzler für den Sohn eines
Laryngologen einen zu kurzen Atem, aber das
kecke Stückchen atmet Geist und Leben. Das
Publikum war angenehm entrüstet." So lautete
das erste gedruckte Lob, das der junge Dichter
zu lesen bekam.
Nein, es war nicht das erste Lob, denn schon
zwei, oder drei Jahre früher hatte ich ein
Festspiel, dass er zum Jubiläum seines Vaters,
des Professors Dr. Johann Schnitzler, ge¬
schrieben, sehr anerkennend besprochen. Der
Verfasser selbst, längst ruhmgekrönt, machte
mich auf dieses „allererste Lob freundlich auf¬
merksam. Und ich höre ihn noch, wie er in
diesem Festspiel einige Burgschauspieler glän¬
zend kopiert, sogar den mitwirkenden Ernst
Hartmann.
Fünf von den sieben Einaktern werden jetzt
im Akademietheater gespielt, von Salmhofer
am Klavier und einem ungenannten Geiger mit
Schubert=Klängen stimmungsvoll begleitet. In
einem Fauteuil nachlässig hingestreckt, spricht
Raoul Aslan als Anatol den Prolog, den der
junge Hofmannsthal unter seinem Pseudonym
Loris farbenfreudig hinzugedichtet:
„Also spielen wir Theater,
Frühgereift und zart und traurig,
Die Komödie unserer Seele,
Unseres Fühlens Heut und Gestern ..."
Warum flüsterte der gewiegte Sprecher wie
im Wachtraum den wunderbaren Prolog
Muß denn auch eines der schönsten und klarsten
Gedichte Hofmannsthals schwer zu verstehen
sein? Und nun folgten die Stücke mit ihrem
kultiviert galanten Dialog, ihrer sozusagen gra¬
ziösen Erotik und ihren satirischen Anatolis¬
men über Liebe, Ehe, Untreue und alle ein¬
schlägigen Herzenssachen. Aslan pointierte den
fünfmaligen Anatol fernhintreffend, aber dank
der Umbesetzung durch Röbbeling den Plötz¬
lichen, sah man einen, sagen wir, künstlerisch
gereiften Anatol, der als melancholischer Leicht¬
sinn die Melancholie bevorzugte. Immerhin
siegte seine Beliebtheit.
Im Parkett saß das Vorbild des Max, der
Medizinalrat Dr. Friedrich Kapper, dem vor
seiner Maxahnlichkeit bange wurde, denn der
Max des Emmerich Reimers litt ein wenig
unter der jähen Umbesetzung, zog sich aber,
wenn man beim Anatolreigen so sagen darf,
mit Anstand aus der Affäre. Und dann die fünf
Frauen! In der „Frage an das Schicksal" fügte
sich Gerda Dreger als Cora klug in die Hyp¬
nose. In „Weihnachtseinkäufe", von welchem
Stück aus das Wort vom süßen Mädel“ zu
ungeheurer Popularität in die Welt flatterte,
hielt die Gabriele der Maria Mayen die poeti¬
sche Stimmung fest.
Im „Abschiedssouper sah Alma Seidler als
eine vom Ballett entzückend altmodisch aus.
Sachverständig trank sie Champagner und
schlürfte Austern (so was gab es einmal!),
pampfte sich komisch den Magen voll, ergab sich
mit einem Ruck ins Sentimentalische der wah¬
ren Liebe und trieb dazu wein= und wonne¬
trunken allerhand Allotria, ohne schließlich das
eingewurzelte Extempore, Obersschaum am
Munde, zu verschmähen. Der Befehl, die Bianca
in „Episode zu spielen, war nicht Lili Mar¬
bergs Wunsch, aber sie bewährte sich auch als
pflichteifrige Einspringerin. Mit einem Ueber¬
schuß an Temperament ging Ebba Johannsen
als Ilona in „Anatols Hochzeitsmorgen" los.
Direktor Röbbeling, der die gewitzte Regie Her¬

Mode von damals hatten viel an= und auszu¬
ziehen, aber sie erscheinen den Augen von heute
wie liebenswürdige Karikaturen. Der Vorhang
fühlte sich wiederholt gehoben, desgleichen das
Publikum, das die Künstler dankbar vor die
Rampe rief. Nur ein alter Herr in meiner
Nachbarschaft seufzte nach bekanntem Muster:
„Ja, ja, geliebt hat man in den neunziger
Jahren!
Vielleicht interessiert es die Leser, wenn ich
hier eine Episode auffrische, die mit „Anatol¬
zusammenhängt. Eines Tages überraschte mich
Charlotte Wolter mit einem Schreiben, worin
sie mich ersuchte, unter den Tagesneuigkeiten
meines Blattes von dem 25jährigen Jubiläum
ihrer vortrefflichen Köchin Notiz zu nehmen.
Obgleich solche Jubiläumsergüsse just nicht zu
den literarischen Aufgaben eines Burgtheater¬
kritikers zählen, erfüllte ich gern den Wunsch
der großen Tragödin und machte mir den
Spaß, die Notiz mit den folgenden an die
Jubilarin gerichteten Versen zu schließen:
Täglich duften deine Tische
Wie der fliederreiche Mai,
Herrlich munden deine Fische,
Köstlich ist dein Hirn mit Ei!
Lob und Preis aus meiner Feder
Deiner hehren Kunst ich weih,
Ist doch deiner Krapfen jeder
Ein gebackner Wolter=Schrei!
Im Sommer darauf erhielt ich in Ischl eine
Einladung zu einem Mittagessen in der Villa
Wolter in Weißenbach. Professor Johann
Schnitzler, in dessen Begleitung ich den Aus¬
flug unternahm, redete während der Fahrt
wiederholt auf mich ein, ich müsse ihm ver¬
sprechen, seinen Sohn nicht wieder zu loben,
wie erst kürzlich gelegentlich der Ischler Auf¬
führung, denn das könnte seinem Sprößling
so meinte der besorgte Vater — dem ärzt¬
lichen Beruf abwendig machen. Ich habe es
nicht versprochen und dies wiederholt gehalten.
Nach der Mahlzeit dankte mir die Köchin in
einer ihr vom Grafen Sullivan, dem Gatten
der Wolter, einstudierten Ansprache, und zwar
in jenem Dialekt, den uns der Friedensvertrag
als Rest vom Kronlande Böhmen übrig ließ.
Dann löste sie ein Sträuschen Alpenrosen vom
Busen, überreichte es mir und knixte artig
davon. Beim Schwarzen bat Professor Schnitz¬
ler die Wolter, mir zuzureden, seinen Sohn
nicht mehr zu loben! Als jedoch später die
Lober überhand nahmen, fügte er sich in das
nun hochwillkommene Unvermeidliche.
Julius Bauer.
Bei Herzleiden und Adernverkalkung, so¬
wie Neigung zu Gehirnblutungen und
Schlaganfällen sichert das natürliche
„Franz=Josef“=Bitterwasser leichten Stuhl¬
gang ohne Anstrengung. In Apoth. erhältl.