4.9. Anatol - Zyklus
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Aber die war nirgends zu finden. Weder bei dem blonden
Dr. Rauch noch im Königlichen Theater, in welchem nur
noch „Königskinder“ zu Hause sind, noch im Kurhaus, wo
sich nach einschmeichelnden Walzerklängen die maskierten
Pärchen Grehen und die Sekipfropfen lustig knallen. Der
Prolog fand sehr reichen Beifall.
Darauf folgte Artur Schnitzlers Einakter=Zyklus
„Anatol". Es sind lose zusammenhängende Stückchen, die
zuerst in Berlin als Zyklus aufgeführt wurde, und dann
erst unter ungeboren Beifall in Wien. Unser Residenz¬
Theater ist die dritte Bühne, die den Zyklus bringt.
Anatol ist ein echter Don Juan, dessen Leben aus einer
Kette galanter Abenteuer besteht, die bis zu seinem Hoch¬
tstage reichen.
Anatol hat viele Illusionen und will sie erhalten, denn
er scheut sich, „die Frage an das Schicksal zu stellen, näm¬
lich die, während der Hypnosse seine Geliebte zu fragen, ob
sie ihm auch wirklich treu sei.
Anatolit auch sehr eitel und glaubt, was ihm
„Episode war, sei einer Frau Erlebnis gewesen. Da sieht
er diese Frau vieder und muß erfahren, daß sie ihn schon
lange — vergessen hat.
Und bei dem „Abschieds=Souper möchte er die Ge¬
liebte verabschieden, erhält aber von ihr den Laufpaß.
Schließlich hat Anatol so viele Illusionen und Haare
verloren, daß er ans Heiraten denkt. Die letzte Nacht vor
seiner Hochzeit bringt er auf der Redoute zu; natürlich ist
er nicht allein, als er den Heimweg antritt. Und diese Ge¬
liebte die er schon vor sechs Wochen vergeblich loszuwerden
versuchte, ist zah, ist fürchterlich. Sie droht mit Skandal,
ls sie erfährt, Anatol wolle heiraten, und nur die Worte
es getreuen Freundes Max, der Anatols endlose Liebes¬
eschichten immer geduldig mitanhört, können sie beruhigen:
Diese Frau läßt man sitzen, zu dir kehrt man immer wieder
urück.“ Da ist die Edle überzeugt. Wie die verkörperte
Nemesis" steht sie auf dem Trümmerfeld, zwischen zer¬
rochenen Tassen, zertretenen Blumen und umherge¬
worfenen Kissen — es fehlt nicht viel, und auch ihre Locken
wären davongeflogen — und ruft triumphierend aus: „Er
wird wiederkommen!“
In den beiden ersten Akten herrscht ehte Wiener Ge¬
mütlichkeit, eine feine, etwas einlullende Atmosphäre, zu
schleppend fast für das Publikum, das, abgehärtet durch die
Faschingsfreuden, schon einen gehörigen Puff vertragen
kann. Aber bei den hochgehenden Wogen des „Abschieds¬
Soupers" — das zuerst im Residenz=Theater mit Frl.
Nilasson, zuletzt mit Eise Laura v. Wollzogen gegeben
wurde — und erst bei „Anatols Hochzeitsmorgen konnte
der Jubel seine Grenzen.
Die Darstellung war wieder hervorragend. Besond.
Herr Keller=Nebri als Anatol. Herr Tatitz (Freund
Mar) schnitt im letzten Akt reichlich viel Fratzen, die seine
sonst gute Leistung etwas zur Karikatur verzerrten. Frl.
Richter schlug dem Kellner (Herrn Schäfer) mit viel
Grazie mit dem Fuß das Tablet, beim Abschieds=Souper
aus der Hand, ohne auszuarten, und Frl. Hammer war
eine zügellos temperamentvolle Geliebte. Auch Frl. Porst
und Frl. v. Arloff wären loben zu nennen, ebenso
Regie und Ausstattung.
B.
Aus Kunst und Leben.
Theater und Literatur. Die gemeldet, ist in Char¬
lottenburg Friedrich Spielhagen, der sich vor
einigen Tagen eine heftige katarrhalische Erkältung zuge¬
zogen hatte, Samstag gestorben. Wegen des starken, kritischen
Stoffandrangs mußten wir eine Darstellung seiner Bedeu¬
tung für die nächste Nummer zurücklegen. — In Linz ist
die geplante Aufführung von Schönherrs Drama
„Glaube und Heimat“ am Landestheater nicht ge¬
stattet worden. Der Intendant erblickt in Schönherrs Werk /
einen Angriff auf die katholische Kirche. Der Herr Inten¬
dant Dr. Max Mayr wird durch diese Tat seinen künf¬
rischen Ruhm nicht mehren!
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Aber die war nirgends zu finden. Weder bei dem blonden
Dr. Rauch noch im Königlichen Theater, in welchem nur
noch „Königskinder“ zu Hause sind, noch im Kurhaus, wo
sich nach einschmeichelnden Walzerklängen die maskierten
Pärchen Grehen und die Sekipfropfen lustig knallen. Der
Prolog fand sehr reichen Beifall.
Darauf folgte Artur Schnitzlers Einakter=Zyklus
„Anatol". Es sind lose zusammenhängende Stückchen, die
zuerst in Berlin als Zyklus aufgeführt wurde, und dann
erst unter ungeboren Beifall in Wien. Unser Residenz¬
Theater ist die dritte Bühne, die den Zyklus bringt.
Anatol ist ein echter Don Juan, dessen Leben aus einer
Kette galanter Abenteuer besteht, die bis zu seinem Hoch¬
tstage reichen.
Anatol hat viele Illusionen und will sie erhalten, denn
er scheut sich, „die Frage an das Schicksal zu stellen, näm¬
lich die, während der Hypnosse seine Geliebte zu fragen, ob
sie ihm auch wirklich treu sei.
Anatolit auch sehr eitel und glaubt, was ihm
„Episode war, sei einer Frau Erlebnis gewesen. Da sieht
er diese Frau vieder und muß erfahren, daß sie ihn schon
lange — vergessen hat.
Und bei dem „Abschieds=Souper möchte er die Ge¬
liebte verabschieden, erhält aber von ihr den Laufpaß.
Schließlich hat Anatol so viele Illusionen und Haare
verloren, daß er ans Heiraten denkt. Die letzte Nacht vor
seiner Hochzeit bringt er auf der Redoute zu; natürlich ist
er nicht allein, als er den Heimweg antritt. Und diese Ge¬
liebte die er schon vor sechs Wochen vergeblich loszuwerden
versuchte, ist zah, ist fürchterlich. Sie droht mit Skandal,
ls sie erfährt, Anatol wolle heiraten, und nur die Worte
es getreuen Freundes Max, der Anatols endlose Liebes¬
eschichten immer geduldig mitanhört, können sie beruhigen:
Diese Frau läßt man sitzen, zu dir kehrt man immer wieder
urück.“ Da ist die Edle überzeugt. Wie die verkörperte
Nemesis" steht sie auf dem Trümmerfeld, zwischen zer¬
rochenen Tassen, zertretenen Blumen und umherge¬
worfenen Kissen — es fehlt nicht viel, und auch ihre Locken
wären davongeflogen — und ruft triumphierend aus: „Er
wird wiederkommen!“
In den beiden ersten Akten herrscht ehte Wiener Ge¬
mütlichkeit, eine feine, etwas einlullende Atmosphäre, zu
schleppend fast für das Publikum, das, abgehärtet durch die
Faschingsfreuden, schon einen gehörigen Puff vertragen
kann. Aber bei den hochgehenden Wogen des „Abschieds¬
Soupers" — das zuerst im Residenz=Theater mit Frl.
Nilasson, zuletzt mit Eise Laura v. Wollzogen gegeben
wurde — und erst bei „Anatols Hochzeitsmorgen konnte
der Jubel seine Grenzen.
Die Darstellung war wieder hervorragend. Besond.
Herr Keller=Nebri als Anatol. Herr Tatitz (Freund
Mar) schnitt im letzten Akt reichlich viel Fratzen, die seine
sonst gute Leistung etwas zur Karikatur verzerrten. Frl.
Richter schlug dem Kellner (Herrn Schäfer) mit viel
Grazie mit dem Fuß das Tablet, beim Abschieds=Souper
aus der Hand, ohne auszuarten, und Frl. Hammer war
eine zügellos temperamentvolle Geliebte. Auch Frl. Porst
und Frl. v. Arloff wären loben zu nennen, ebenso
Regie und Ausstattung.
B.
Aus Kunst und Leben.
Theater und Literatur. Die gemeldet, ist in Char¬
lottenburg Friedrich Spielhagen, der sich vor
einigen Tagen eine heftige katarrhalische Erkältung zuge¬
zogen hatte, Samstag gestorben. Wegen des starken, kritischen
Stoffandrangs mußten wir eine Darstellung seiner Bedeu¬
tung für die nächste Nummer zurücklegen. — In Linz ist
die geplante Aufführung von Schönherrs Drama
„Glaube und Heimat“ am Landestheater nicht ge¬
stattet worden. Der Intendant erblickt in Schönherrs Werk /
einen Angriff auf die katholische Kirche. Der Herr Inten¬
dant Dr. Max Mayr wird durch diese Tat seinen künf¬
rischen Ruhm nicht mehren!