II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 671

4.9. Anatol - Zyklu-
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Blutrote, runde Lampions zitterten als Deckenbeleuch¬
„Ah, — dort flirtet ja
J.
Intermezzo
tung wie lohende Vollmonde über ihnen. Die Menge schob
kleinen Waldenburg," hört
sich an ihnen vorüber. Hier und da sah sie bekannte Ge¬ ihrer Begleiter sagen.
le
Skizze von Gutti Alsen.
sichter. Sie erschienen ihr heute wie Schatten aus einem
Sie blickte zerstreut auf
Sie standen etwas abseits vom großen Festestrubel an
früheren Leben. War sie das noch, sie, die sich so stolz von
vorüber, Arm in Arm.
einer mit grellfarbigen Plakaten bedeckten Wand. Und so der Welt verschlossen, in sich selbst zurückgezogen, um ihre
neigt und eine innere Erre
war es ihnen möglich, eine immerhin etwas zusammen heimlichen Wunden willen . . . .
undurchdringlichen Gesell¬
hängende Unterhaltung zu führen.
Und jetzt stand sie wie gebannt und lächelte diesem
auf seinen Zügen aus.
„Ich liebe die Frauen", sagte er, „und ich liebe sie nicht
Fremden zu
Die Geigen kreischten p.
nur trotz ihrer Lügen, — sondern um ihrer Lügen willen
Weshalb gelang es ihr nicht zu lügen? Weshalb wurden
gelassenheit der Menge in
Sie erst machen für mein Empfinden den größten Reiz des
ihre Blicke zu Liebkosungen, — da doch jede Frau sonst eine
beleidigte sie. Es war ih
schwachen Geschlechtes aus.
lebende Lüge sein sollte
sammengedrückt würde,
„Halten Sie die Unwahrheit denn für eine Eigenschaft
Es war ihr, als ob sie sich verstecken müßte, als ob jeder
jeder Frau unbedingt innewohnen muß?
Sie bat um einen We
Vorübergehende die jubelnde Begleitmelodie der Faschings¬
wieder.
„Und sind Sie anderer Meinung?“ fragte er.
musik in ihren Augen lesen könnte: „Du ... ge... fällst
Lange lag sie im Hal
„Doch. Ich halte die meisten Frauen sogar für sehr viel ... mir, ... du gefällst mir
ehrlicher als den Mann.
Blickes der Kerze zu, wie
Sie empfand Scham darüber, wie bei einer Bloßstellung
„Welch' eine entzückende Lüge ist allein dieser Ausspruch.
zertropfte. Und ihr trä¬
ihrer Seele, ihres Körpers..... und konnte doch nicht
Und er lachte belustigt.
mit ihr.
anders, als die Wahrheit sagen.
Geigentöne klangen herüber. Sie schluchzten laut auf,
Sie erwachte, da man
„Ich liebe das Unvorhergesehene", hörte sie seine Stimme
und man wußte nicht, ob es höchster Glückstaumel oder
Haufen von zu erledigende
jetzt sprechen, „und wie gut für mich! Wenn man sich nun
bitterstes Weh war, das sich da so schamlos der Menge preis an eines jener schlangenfalschen, reizenden Geschöpfe bände!!
grau herauf, ein Tag wie
gab. Sie jauchzten, und jeder Laut sang und jauchzte heim¬
Treue.... gibts ja gar nicht! Und die Untreue allein er ihre Zukunft.
lich in ihr mit, — in ihrem Gemüte, in ihrer Seele, — in möglicht mir ein so eingehendes, interessantes Studium der
Die verlebte Faschings.
ihrem Blute.
verschiedenartigsten Frauentypen! Was habe ich meinen Con= zu liegen. Sie verhöhnte
Sie standen sich heute erst zum zweiten Male gegenüber
fesseurs schon alles beichten können und — müssen!
sie, eine Frau in dem Alter
Aber sie hatten viele Berührungspunkte und kannten sich
„Männlichen oder weiblichen?
der Frauen so verwöhnte
wohl schon vorher dem Namen nach, denn ihr Wirkungskreis
Weiblichen natürlich.
der Mann das reizvollste
war ein ähnlicher.
sei.
„Würden Sie auch mich zu diesem vertrauenheischenden
Sonst wußten sie nichts voneinander. Und ihr, deren
Amte zulassen?
War sie denn toll gew
lebendige Phantasie sie ihrem nüchternen Leben so weit zu
„Mit Vergnügen.
Hatte sie nicht fast ebenso
entführen vermochte, schien diese Unkenntnis ein Reiz mehr
Er verneigte sich zustimmend.
Und diese ganze Skala der
zu sein. War es nicht fast wie ein Märchen, dem nahe zu
Und sie sah sich im Geiste im tête à tête mit ihm. Dämmer¬
dem ersten beginnenden G
stehn, dessen bloße Anwesenheit diese süße, zehrende Unrast, stunde natürlich. Draußen mußte dichter Schnee nieder¬
Folter des Beiseite geschob
dieses erhöhte Lebensgefühl wieder wachzurufen vermocht
flocken. Oder phantastische Nebelgebilde schwanken. Das
Fremden willen, von dem
das sie für ewig erstorben gewähnt, — seit
Was ließ
Zimmer durfte nur durch ein Kaminfeuer erhellt sein....
nur ein geistreicher Salon
sich nicht alles in dieses Rätsel hineingeheimnissen
eine Teemaschine summte.... Irgendwoher tönte aus
Welche Glück, daß es nu
Sie plauderten weiter. Sie hörte Worte, aber sie faßte einer oberen oder unteren Etage eine Chopinsche oder Grieg, ernsten, großen Interessen
nicht mehr immer ganz ihren Sinn. Ihre Seele schwang
sche Melodie abgerissen her..... ihre Gesichtszüge ver¬
jetzt im Takte die Begleitung einer lockenden Wiener Melodie
Und sie setzte sich und be¬
schwammen im Zwielicht . . . . und er beichtete... gan
mit. Sprach er nicht gerade von Wien? Und von Anatole
und sandte sie dem Geld¬
absonderliche Geschehnisse .... Eindrücke .... kleine
— Von wem auch sonst? War er nicht die Verkörperung des
geistreich ironisierenden De
Novellen.
Schnitzlerschen Anatol-Ideals? Wie sollte sie sich sonst auch
dieser Skizze und für die
„Würden Gnädige mich entschuldigen . . . . für einen
seine Wirkung auf sie erklären? Seine Ansichten über die
fassung gekommen, daß zu
Augenblick.... ich sehe da alte Bekannte...." seine
Frauen, über die Liebe waren nicht die ihren. Sie hätten
Dann packte sie eine A
Blicke, die suchend durch den Saal geglitten, schienen einer
sie bei jedem andern empört. Aber die liebenswürdige, viel¬
eine Zeitungs=Redaktion.
festen Punkt gefunden zu haben.
leicht erheuchelte Gleichgültigkeit seiner Sprechweise, seine
Denn es ist nach
Der Menschenstrom trennte sie voneinander. Sie tra¬
Blicke, seine Haltung, die Vorstellung der Abenteuer, die er
Schriftstellers, daß er seine
mit ihrer früheren Gesellschaft zusammen......
erlebt haben mochte, das war, was sie gefangen nahm,
und verkaufen muß, — un
was selbst die ernstesten Frauen in ihrer Unlogik dieser Art
von Männern stets entgegentreiben wird.