Perücke verarbeitete, wie überhaupt österreichische Kunst¬
fertigkeit sich als größte Helferin erwies. Und daß selbst
Streichinstrumente und deren Saiten, Eintrittskarten und
Programme in eigener Regie erzeugt wurden, beweist nur
was europäische Kultur, deutscher Erfindungsgeist und öster¬
reichischer Geschmack leisten konnten.
Während 1918 der Krieg zu Ende ging und die Kameraden
der Front in die Heimat zurückkehren durften, mußten noch
Tausende von Kriegsgefangenen jahrelang in Gefangenschaft
schmachten. Um diese Zeit waren aber schon alle Hilfsmitt¬
versiegt, und weder aus der Heimat noch vom Roten Kreutz
kam Unterstützung oder Hilfe. Offiziere und Mannschaft
wandten sich alsbald allen möglichen Erwerbszweigen zu, um
aufs kümmerlichste ihr Dasein weiter fristen zu können. Da
war es ein besonderes Glück für jeden, einem Theaterensemble
angehören und an seinen Einnahmen partizipieren zu dürfen,
die in Form von Anteilen die Kaufkraft für einige Zeit
sicherten. Die Theater hatten einen Fassungsraum von etwa
400 Personen, die Vorstellungen waren trotz mehrfachen
Wiederholungen immer ausverkauft und zu Preisen angesetzt
die für die Angehörigen des Lagers sehr minimal, für die
auswärtigen Gäste ziemlich hoch waren. In den Städten gal
es überall Deutsche, Schweden, Engländer und Amerikaner,
die durch die Verhältnisse nicht in ihre Heimat gelangen
konnten. Diese, aber auch die russischen Theater selbst, nahmen
an den Darbietungen der Lagerbühnen nicht nur Anteil, sie
förderten sie auch, wo sie nur konnten, überließen ihnen
Kostüme, Perücken usw., während anderseits ihnen die Lager¬
bühnen Möbel und sonstige Requisiten für ihre Zwecke zur
Verfügung stellten. Auch Elsa Brandström, der Engel von
Sibirien, war wiederholt Gast in den Kriegsgefangenen¬
theatern und wurde jedesmal mit ungeheurem Jubel begrüßt
und gefeiert.
46 Plennytheater!
Das Niveau, auf dem so ein „Theater hinter Stacheldraht
stand, war sehr hoch. Es gab in Rußland=Sibirien 46 Plenny¬
theater, deren Repertoire nicht schlechter waren als jene der
deutschen Heimatbühnen der Vorkriegszeit. „Flachsmann als
Erzieher“ wurde auf 24, „Alt=Heidelberg“ auf 21 Bühnen auf¬
geführt, Schnitzlers „Anatol" hatte 14 Aufführungsorte zu
verzeichnen. Subermanns „Johannisfeier", „Ehre", „Heimat
und „Schmetterlingsschlacht kamen ebenso wie Hauptmann,
Thoma, Anzengruber, Schönherr, Ibsen und viele andre zu
Worte. Auch der vielen eigenen, von Kameraden verfaßten
Bühnenstücke sei hier gedacht. Weniger festen Fuß konnte in
den genannten Lagern die Operette fassen, da diese Kunst¬
gattung höhere Anforderungen stellte, für die sogar die Zeit
der Kriegsgefangenschaft zu kurz war. Immerhin konnte
man in Sibirien, besonders in den drei Theatern von
Krasnojarsk, auch die unsterblichen Weisen einer „Fleder¬
maus", „Graf von Luxemburg“ und „Dollarprinzessin" hören;
in zwei Lagern spielte man auch „Freischütz" und „Bajazzo
in Stretensk sogar einmal den dritten Akt aus „Tannhäuser.
Was aus all dem geworden ist? Als die Rückkehr in die
Heimat Wirklichkeit zu werden schien und die Theater auf¬
gelöst wurden, wanderte ein Teil als Erinnerungsstücke zu
kunstfreundlichen Einwohnern, ein kleiner Teil kam auf viel
verschlungenen Wegen in die Heimat und hat einen würdigen
Platz im Museum der Kriegsgefangenschaft in Wien, 7. Karl
Schweighofer=Gasse 3, gefunden. Die Bühne aber samt ihren
Dekorationen und die Möbel wurden „nationalisiert", das
heißt, es spielten dort Vereine, Schulen und Gewerkschaften
russisches Theater. Schließlich ordnete ein allgemeiner Befehl
des Moskauer Kommissariats für Volksaufklärung an, daß
jeder Soldat der Garnison zweimal im Monat das Theater
besuchen müsse. Und da bei der Riesenstärke der Garnisonen
es technisch ganz unmöglich war, diesem Befehl so zu ent¬
sprechen, hatte der Stationskommandant von Nowo¬
Nikolajewsk einen ebenso genialen Ausweg gefunden, er
ordnete an: Das Regiment Nr. 132 besucht morgen das
Theater, und zwar: das erste Bataillon den ersten Akt, das
Zweite Bataillon den zweiten Akt und das dritte Bataillon
den dritten Akt. Jetzt konnte der Vollzug des Befehles ge¬
meldet und die gewünschte Volksaufklärung als durchgeführt
angesehen werden.
Burgschauspieler Karsten, selbst sechs Jahre als Kriegs¬
gefangener in Sibirien interniert, fand mit seinem überaus
interessanten Vortrag, dem ein dankbares Publikum bei¬
wohnte, reichen Beifall. Er hat all dies selbst erlebt und
mitgemacht und war somit auch einer der Wegbereiter eines
großen, unvergeßlichen Kulturwerkes in den trostlosen
Steppen und Eiswüsten Sibiriens.
Bank
4.9. Anatol - Zyklu-
box 9/5
fertigkeit sich als größte Helferin erwies. Und daß selbst
Streichinstrumente und deren Saiten, Eintrittskarten und
Programme in eigener Regie erzeugt wurden, beweist nur
was europäische Kultur, deutscher Erfindungsgeist und öster¬
reichischer Geschmack leisten konnten.
Während 1918 der Krieg zu Ende ging und die Kameraden
der Front in die Heimat zurückkehren durften, mußten noch
Tausende von Kriegsgefangenen jahrelang in Gefangenschaft
schmachten. Um diese Zeit waren aber schon alle Hilfsmitt¬
versiegt, und weder aus der Heimat noch vom Roten Kreutz
kam Unterstützung oder Hilfe. Offiziere und Mannschaft
wandten sich alsbald allen möglichen Erwerbszweigen zu, um
aufs kümmerlichste ihr Dasein weiter fristen zu können. Da
war es ein besonderes Glück für jeden, einem Theaterensemble
angehören und an seinen Einnahmen partizipieren zu dürfen,
die in Form von Anteilen die Kaufkraft für einige Zeit
sicherten. Die Theater hatten einen Fassungsraum von etwa
400 Personen, die Vorstellungen waren trotz mehrfachen
Wiederholungen immer ausverkauft und zu Preisen angesetzt
die für die Angehörigen des Lagers sehr minimal, für die
auswärtigen Gäste ziemlich hoch waren. In den Städten gal
es überall Deutsche, Schweden, Engländer und Amerikaner,
die durch die Verhältnisse nicht in ihre Heimat gelangen
konnten. Diese, aber auch die russischen Theater selbst, nahmen
an den Darbietungen der Lagerbühnen nicht nur Anteil, sie
förderten sie auch, wo sie nur konnten, überließen ihnen
Kostüme, Perücken usw., während anderseits ihnen die Lager¬
bühnen Möbel und sonstige Requisiten für ihre Zwecke zur
Verfügung stellten. Auch Elsa Brandström, der Engel von
Sibirien, war wiederholt Gast in den Kriegsgefangenen¬
theatern und wurde jedesmal mit ungeheurem Jubel begrüßt
und gefeiert.
46 Plennytheater!
Das Niveau, auf dem so ein „Theater hinter Stacheldraht
stand, war sehr hoch. Es gab in Rußland=Sibirien 46 Plenny¬
theater, deren Repertoire nicht schlechter waren als jene der
deutschen Heimatbühnen der Vorkriegszeit. „Flachsmann als
Erzieher“ wurde auf 24, „Alt=Heidelberg“ auf 21 Bühnen auf¬
geführt, Schnitzlers „Anatol" hatte 14 Aufführungsorte zu
verzeichnen. Subermanns „Johannisfeier", „Ehre", „Heimat
und „Schmetterlingsschlacht kamen ebenso wie Hauptmann,
Thoma, Anzengruber, Schönherr, Ibsen und viele andre zu
Worte. Auch der vielen eigenen, von Kameraden verfaßten
Bühnenstücke sei hier gedacht. Weniger festen Fuß konnte in
den genannten Lagern die Operette fassen, da diese Kunst¬
gattung höhere Anforderungen stellte, für die sogar die Zeit
der Kriegsgefangenschaft zu kurz war. Immerhin konnte
man in Sibirien, besonders in den drei Theatern von
Krasnojarsk, auch die unsterblichen Weisen einer „Fleder¬
maus", „Graf von Luxemburg“ und „Dollarprinzessin" hören;
in zwei Lagern spielte man auch „Freischütz" und „Bajazzo
in Stretensk sogar einmal den dritten Akt aus „Tannhäuser.
Was aus all dem geworden ist? Als die Rückkehr in die
Heimat Wirklichkeit zu werden schien und die Theater auf¬
gelöst wurden, wanderte ein Teil als Erinnerungsstücke zu
kunstfreundlichen Einwohnern, ein kleiner Teil kam auf viel
verschlungenen Wegen in die Heimat und hat einen würdigen
Platz im Museum der Kriegsgefangenschaft in Wien, 7. Karl
Schweighofer=Gasse 3, gefunden. Die Bühne aber samt ihren
Dekorationen und die Möbel wurden „nationalisiert", das
heißt, es spielten dort Vereine, Schulen und Gewerkschaften
russisches Theater. Schließlich ordnete ein allgemeiner Befehl
des Moskauer Kommissariats für Volksaufklärung an, daß
jeder Soldat der Garnison zweimal im Monat das Theater
besuchen müsse. Und da bei der Riesenstärke der Garnisonen
es technisch ganz unmöglich war, diesem Befehl so zu ent¬
sprechen, hatte der Stationskommandant von Nowo¬
Nikolajewsk einen ebenso genialen Ausweg gefunden, er
ordnete an: Das Regiment Nr. 132 besucht morgen das
Theater, und zwar: das erste Bataillon den ersten Akt, das
Zweite Bataillon den zweiten Akt und das dritte Bataillon
den dritten Akt. Jetzt konnte der Vollzug des Befehles ge¬
meldet und die gewünschte Volksaufklärung als durchgeführt
angesehen werden.
Burgschauspieler Karsten, selbst sechs Jahre als Kriegs¬
gefangener in Sibirien interniert, fand mit seinem überaus
interessanten Vortrag, dem ein dankbares Publikum bei¬
wohnte, reichen Beifall. Er hat all dies selbst erlebt und
mitgemacht und war somit auch einer der Wegbereiter eines
großen, unvergeßlichen Kulturwerkes in den trostlosen
Steppen und Eiswüsten Sibiriens.
Bank
4.9. Anatol - Zyklu-
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