II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 711

box 9/5
Zyklu-
4.9. Anatol
werden sollen. D. gen Staatsbürger aber, welche
jeder von einen Wähler
echts, welcher das 24. Lebensjahr voll¬
lichen
heute kein Wahlrecht in irgend einer der bestehen¬
sollen. Aber noch in eine
und der wenigstens sechs Monate von
streckt
den vier Kurien besitzen, die werden keine doppelten,
der Ausschreibung einer Reichsrathswahl in einem
sie werden blos einfache Wähler sein. Sie
noch weniger zu begreifen, als Wahlbezirke wohnhaft ist, übt das Wahlrecht in
werden blos in der „Allgemeinen Wählerklasse
diesem Bezirke aus, sofern er vom Wahlrechte nicht
wählen und werden nicht das Recht haben, in einer
Also ohne Vergleiche, trocken und wegen eines Verbrechens oder eines schweren Ver¬
der vier Kurien zu wählen, die jetzt bestehen.
ist gar nicht schwierig, wie es
gehens ausgeschlossen ist, oder aktiv im Militä¬
Zwei Kategorien von Staatsbürgern also
dient, oder in der Armenversorgung steht, oder
Die Kategorie der Doppelwähler und die
endlich im Gesindeverbande steht und mit den
Kategorie der Einzelwähler. Die Kurien
heute Wähler ist für das Ab¬ Dienstherrn in Hausgenossenschaft lebt.
bleiben für die Einzelwähler verschlossen; dagegen
Mit dieser letzteren Einschränkung haben wir
Reichsrathes, wählt, falls er
aber wählen die Kurienwähler auch mit den Einzel¬
landtäflicher Großgrundbesitzer da also das allgemeine Stimmrecht.
dieser Anklagen, die sich nachher auch als verleumderische
Ein Fabrikantenssohn will eine Schusterstochter heiraten!
erwiesen, im Entferntesten zu prüfen, eilten die Eltern des
Liebesheirat.
Unglaublich! Und nun offenbarte es sich, daß im bürger¬
jungen Mannes mit einer Liste, welche die angeblichen
lichen Prozenthum Vorurtheile wurzeln, nicht minder stark
ist bekanntlich auch eine Art
Guckkasten, darin in bunter Fülle als die des blaublütigen Adels. Wir haben unlängst erst Liebhaber der Schusterstochter namhaft machte, nach Wien
und tauchten in dem Momente vor dem jungen Paare auf
die erbauliche Kunde vernommen, wie die fürstliche Famili¬
ukeln, die zwar nicht künstlerisch
das Gepräge voller Wahrhaftigkeit Rohan einen ihrer Angehörigen in Acht und Bann that, da dasselbe im Begriffe war, in der St. Rochuskirche vor
den Traualtar zu treten. Der Bräutigam sollte an ge¬
weil er es gewagt, eine Bürgerliche zu ehelichen, und wie
ist natürlich ein Einzelfall, aber
weihter Stätte in seiner tiefsten Empfindung verletzt, das
diese hochadelige Gesellschaft ihn und seine Frau und
auch typischen Gehalt in sich; es
aglicht auf bestimmte Gesellschafts= Kinder in Elend und Noth verkommen ließ. Das der Mädchen vor aller Welt entwürdigt werden! Das war die
Absicht dieses Schrittes. Man denke sich nun die Lage des
artige Vorurtheile noch bei jenem Adel im Schwange sind
deren intimste Anschauungen und
jungen Mannes! Er hat, um sein geliebtes Mädchen heim¬
der auf eine historische Vergangenheit zurückblickt, ist be¬
ein Fall hat sich dieser Tage von
zuführen, alle Familienbande zerrissen. Und nun wird in
gerichte abgespielt, ein Fall, der alle greiflich. Dieser Adel nimmt ja noch thatsächlich im staat¬
chen Familiendramas aufweist. Da lichen und gesellschaftlichen Leben eine bevorzugte Stellung einem feierlichen Moment von seinen eigenen Eltern gegen
seine Braut eine furchtbare Beschuldigung erhoben, die
ein. Das Bewußtsein, einem alten Geschlechte anzugehören,
Fabriksstadt ein reicher Fabrikant,
wohl geeignet ist, selbst eine noch so tiefe Liebe zu ent¬
verleiht überdies einem solchen Adeligen ein Gefühl der
seinem Ort. Er hat einen voll¬
wurzeln. Dieses Mädchen, das Du durch ein heiliges Band
Ueberlegenheit, das keineswegs völlig unbegründet erscheint
seits die Geschäfte des Hauses leitet
an Dich fesseln willst, so wurde ihm zugerufen, dieses
liebt sich in ein armes, schönes Wie anders ein Fabrikant, dessen einziger Vorzugstitel
sein Geldsack ist! Wenn ein derartiger Mann von einer Mädchen ist eine Dirne! Wir haben einen Beweis hiefür
reines Schusters. Er findet Gegen¬
ten anfangs die Sache als Liebelei Mesalliance spricht, weil sein Sohn eine Schusterstochter Diese Liste, welche die Namen jener Männer enthält, die
sich ihrer Gunst erfreut haben!
heiratet, so ist derselbe eine durchaus lächerliche Figur, die
ichts einzuwenden. Es ist ja für
Und alle diese Verleumdungen wurden mit einem
prießlich, wenn er, bevor er eine zur Satire herausfordert.
so ergreifenden Akzent der Wahrheit dem Bräutigam
geht, sich ein klein wenig austob
ins Gesicht geschleudert, daß der Pfarrer, der dem Herzens¬
Als eine solche Gestalt erscheint unser mährischer
Töchter der Proletarier gut genug
bündniß die religiöse Weihe geben sollte, wie er bei der
ssohn gehörte nicht unter die Fabrikant.
Daß sein Sohn den Gedanken fassen konnte, eine Gerichtsverhandlung erklärte, unwillkürlich dachte: „Die
städtischen jungen Lüstlinge, wie
Braut hat einen so schönen Körper und doch eine so
Schusterstochter zu heiraten, erschien ihm als ein schweren
dert. Er war kein Anatol
schlechte Seele." Der Bräutigam aber ließ sich nicht be¬
Schlag gegen sein Ehr= und Standesgefühl. Er setzte daher
pensationen" zu sammeln, nicht
irren. Sein Glaube an die Reinheit des Mädchens blieb
ven. Er hatte das Herz am alle Hebel in Bewegung, um die Ehe zu hintertreiben. E
unerschüttert. Die Trauung wurde denn auch vollzogen.
jagte den Sohn aus dem Hause. Er enterbte ihn. Und al¬
digte der altfränkischen Anschauung
Diese merkwürdige Szene vor der Trauung war es, die
n, welches man liebt und dem man all dies nichts fruchtete, griff er zu einem letzten Mittel
zu einem gerichtlichen Nachspiel führte. Die junge Frau
auch dann heiraten müsse, wenn es das jede feinere Empfindung empören muß. Es fanden sich
Schusterstochter ist. Er machte auch nämlich gute Freunde, die ihm hinterbrachten, daß die klagte jenen „guten Freund" des Fabrikanten, der die
Liste verfertigt hatte, wegen Ehrenbeleidigung. Sie hatte
Braut seines Sohnes mit verschiedentlichen Männern in
Absicht kein Hehl. Daraufhin allge¬
Entrüstung im väterlichen Hause! intimmen Beziehungen gestanden. Ohne die Stichhältigkeit die Genugthuung, daß bei der Verhandlung alle Anklagen
Hiezu ein Einlagsbogen mit dem „Wiener Familien-Journal".