II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 721

4.9.
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Zyklus
647
Die Nation.
Nr. 43.
potenter Gestaltung mit Goethe'schen Worten gewarnt. Dies
zu veröffentlichen, ehe sie durch den wachenden Verstand
Buch ist „Weiße Liebe von Arthur Hollitscher) und
geprüft worden sind.
ist in mehr als einer Hinsicht illustrativ für das im Ein¬
Diese Vorschrift erinnert an Newton's „Abwarten"
gang angeführte
wird aber bekanntlich nicht von jedem mit gleichem Erfolge
Im Mittelpunkte dieses Buches steht ein solcher Fein¬
durchgeführt.
I. H. van’t Hoff.
fühliger, der ein Dichter sein will, und es nicht wird, der
sich schließlich sein Leben an seinen allzu zugespitzten Em¬
pfindungen zerreibt. Es spricht eine klare Erkenntniß aus
diesen Blättern. Es wird oft genug hier von den Talenten
gesprochen, die todt geboren sind, von den schlummernden
Regungen, denen es an Kraft und Bewußtsein gebricht, sich
Die Büßer des Gefühls.
bethätigen zu können, von den Seelen, die keine Epidermis
haben, die eine große offene Wunde sind. Und die sicherste
Zarathustra spricht von den Büßern des Geistes, die
Charakterisirung der Büßer des Geistes bringt jene Stelle
selbst müde werden und sprechen; ich bin nicht
ihrer
der Selbstbetrachtung:
groß
War er denn Dichter? Die klare, heitere Ruhe, die die Ereig¬
Leidensbrüder von ihnen trifft man jetzt viel auf dem
nisse an sich vorbeiführen läßt, nachdem sie ihnen ihr Bestes genommen,
Dornenpfad der modernen Dichtung; nicht Büßer des Gei¬
er hatte sie niemals besessen. Für die Vorgänge des Lebens hatte
stes, aber Büßer des Gefühls¬
er keine Beobachtungsgabe, seine Gestalten lebten nicht, handelten nicht,
Fein empfindende, hyperfeinempfindende Menschen,
sie fühlten nur und dachten. Sie hatten keine Seele, ihre Seele
deren Eindrucksfähigkeit von potenzieller Erregbarkeit, die
war die seine, im Wechsel der Stimmungen — bald trüb, bald heiter,
alle Impressionen mit schmerzlichster Schärfe in sich saugen,
thränenvoll heiter, rauh und zart, mystisch und positiv . . . aber wer
die auf Töne und Farben, auf das minutiöseste Detail
genau zusah, bemerkte, daß es ein und derselbe Mensch war, der sich
ihrer Umgebung, das Huschen einer Schleppe, das Spielen
nur auf verschiedene Weise geberdete. Seine Inspirationen, die ihm die
Worte in die Feder gaben, ihn zur Arbeit trieben: was waren sie? -
der Lichtreflexe, die halbverwehte Erinnerung eines Parfums
Der Alkohol rascher Emotionen, mit der Kunst hatten sie nichts zu
nervös reagiren. Menschen von aristokratischem Geschmack,
schaffen!
die sich vor allem, was ihr Fühlen brutalisiren könnte,
ängstlich hüten. Egoisten des Gefühls, die sich so genau
Wenn das, was hier theoretisch gesagt wird, nun in
studirt haben, daß sie nur die in ihr Leben lassen, die auf
dem Buch auch wirklich voll packender Tragik ausgestaltet
den Seiten dieses Gefühls zu spielen wissen. Ich liebe sie,
wäre!
ihre Art ist mir verständlich, ist mir sympathisch. Ich
Aber der Dichter der weißen Liebe ist nicht stärker als
würde gern mit ihnen zusammen sitzen, mit ihnen sprechen
sein armer Vetter, der Dichter, den er schildert. Er hat
oder mit ihnen schweigen. Ihre Persönlichkeit, ihre Existenz
seine eigenen sterilen Hamletqualen hier zu bannen ver¬
ist ein delikates Werk, das mich interessirt. Aber, leider,
sucht, und er hat sie sich nicht von der Seele herunter
sie begnügen sich nicht damit, feine künstlerisch fühlende
schreiben können. Zu tief steht er eben selbst in diesen
Nerven zu sein, sie wollen aus ihrem Menschenthum ein
Wirren.
nachen. Und sie dichten.
producirendes Künstlerthun,
fühlt alles, aber er kann es nicht greifen, nicht
Sie skizziren für den
fassen und halten. Seine Finger zittern. Er hat keine
Serie Gefühle seltener und elnder Art, die man gespannt
Distanz zu den Dingen. Er skizzirte schwankende, schwäch¬
und antheilsvoll aufnimmt. Beim ersten Mal überwiegt
liche Menschen, und seine Skizze wird selber schwächlich.
das Interesse, kommt aber ein Verwandter des gleichen
Er leidet tief und schmerzlich, wir verstehen gerne
Ordens und zeigt uns ein ähnliches Schattenspiel der Seele,
seine Leiden, aber ihm ward nicht gegeben dies zu sagen.
so wird man stutzig, man wittert die Gefahr. Das ist
Und es hilflos gestammelt zu hören, scheint nur fatal.
Zerfaserung, das ist ein krampfiges Ringen, das ist künst¬
Und schattenhaft und verschwommen wirkt es, wenn
lerische Ohnmacht, das Gegentheil von plastisch schöpferischer
Hollitscher aus seinen Gefühlen Gestalten und Schicksale
Gestaltung. Das subtile Gefühl allein thut es nicht; es
formen will. Ja er bringt ein schwer errungenes Gut, die
wird zur Gnadengabe werden, wenn es sich resignirend be¬
moderne künstlerische Psychologie, in Gefahr mit seinen
gnügt, das künstlerische Produziren anderer zu beobachten
Personen, die sich für komplizirt ausgeben, und doch alle
und nachempfindend zu charakterisiren; es wird ein Geschenk
etikettirt auftreten. Besonders markant zeigt sich das an
voll Unheil und Qual, wenn es ohne die vielen Schwester¬
der Figur der Nadeshda. Er will an ihr das Problem der
spenden, die der Dichter braucht, vor allen sicher packende
Doppelliebe zeigen. Sie liebt seelisch den Dichter; ihre
Schaffenskraft, sich berufen fühlt, zu produziren.
Sinne aber schreien nach einem brutalen Kraftmenschen.
Im Flug nur angedeutet habe ich dies, als ich von
Das Problem ist wohl echt. Aber Hollitscher hat es nicht
dem seltsamen Buch des jüngeren Wieners, Peter Alsenbergs,
bewältigt. Die changirende Wirkung der Empfindungen
Wie ich es sehe") sprach. Darin sind einige weiche
zu malen, hat er nicht versucht. Er zerlegte einfach das
Akkorde und ein paar Farbenstücke, die verschwimmende
Weib in eine Figur A und in eine Figur B. A funk¬
Abendluft malen, zum Entzücken. Aber sie genügten nicht,
tionirt seelisch, B sinnlich. Und nun arbeitet der Apparat
ein Buch zu machen.
wie eine aufgezogene Maschine. Das ist keine moderne
Peter Altenberg variirte die Motive seines Fühlens in
Kunst.
einer unendlichen Anzahl von Daten in diesen kleinen
Das Inferno der Büßer des Gefühls ist Wien. Aber
Skizzen bis zur Eintönigkeit und Abspannung. Es war
die Künstlerschaft aller dieser Wiener ist größer als die
eine so auf die Spitze getriebene Subjektivität, die angrei¬
Hollitschers. Da ist der junge Leopold Andrian,") der
fend und enervirend wirkte, als hörten wir eine lange Nacht
nur ein ganz dünnes Büchelchen geschrieben „Der Garten
hindurch immerfort und immerfort das gleiche monotone
der Erkenntniß, voll einer etwas wirren nebulosen Philo¬
Fallen des Tropfens auf ein Schieferdach.
sophie, aber voll einfacher kostbar edler Zeilen, voll weicher
Auch Hermann Bahr, der feine Charakteristiker, der
melancholischer Grazie, voll offener brennender Augen,
doch gewiß hinlänglich duldsam gegen das Aparte ist und
die die Erscheinungen des Lebens hungrig aufsaugen und
ihm gern einen Freibrief ausstellt, hat, nachdem er Peter
voll planloser Neugier geheimen Sinnes in ihnen suchen.
Altenberg freilich sehr anerkannt, bei Gelegenheit eines an¬
Hugo von Hofmannsthal, der sich seltene und feine
dern Buches eines jungen Wieners, von den Gefahren dieses
Schönheiten aufzuspüren und sie mit einer geschmeidigen
krankhaft gesteigerten Subjektivismus ohne den Hinterhalt
*) S. Fischer, Berlin.
*) Berlin. S. Fischer. Besprochen im Magazin für Littera¬
*) München. Leipzig. Paris. Albert Langen.
tur Nr. 22.