Ihre lieben Zeilen haben mich, ziemlich verspätet, hier erreicht. Der Brief war »zur
Devisenüberwachung« geöffnet. Ich musste lächeln: Devisen haben wir ja nicht auszutauschen,
aber dafür: welche Schätze der Erinnerung –!
Sie ahnen sicherlich nicht, verehrte, darf ich sagen: geliebte gnädige Frau, – wie
viel ich mich in letzter Zeit mit Ihrem
Gatten beschäftigt habe, mit seinen Briefen, meinen eigenen Erinnerungen und machen Aufzeichnungen.
Welcher Reichtum, welche Lebendigkeit –! wie sind Sie selbst da, – unser aller schöner
Jugendzeit. Und dann: die Spaziergänge im Schnee – in
Salzburg, 1921, – alle Güte, die Sie Beide in schwerer verworrener Zeit für mich hatten. Das
vergisst sich nie.
Und nun: aus der Dürftigkeit der Gegenwart hab ich mich, auch auf Drängen meiner Freunde,
die mich erzählen hörten, drangemacht, die Dinge aufzuschreiben, die sonst verloren
giengen, – vielleicht werden sie nicht ganz unwichtig sein, im Kreis der Freunde erwacht
und gestaltet, – Zeugnis ablegen, – später einmal. Mir ist es klar geworden, wie wach
in diesem Kreis der Dichter etwas war: das Gewissen ihrer Zeit. Abgewandelt in jedem
Einzelnen: menschliches-culturelles Gewissen, – immer ein Aufgerufen-sein: zu verantworten,
ohne Beschönigung wahr, sich und andern auf der Spur, um das Leben reiner und höher
zu gestalten, als sie es von der Generation ihrer Eltern übernommen hatten. Die schönsten
Dinge stehen im »
Marsyas«, der uns ja schon bei seinem Erscheinen so erschüttert hat. – Und: die Freundschaft
der Männer: die grosse weite Generosität des Herzens, – das Bereit-sein für einander. Lesen Sie nun, liebe gnädige Frau, es
ist ein unerinerrlicher Besitz, es mit erlebt zu haben.
Und so kann ich nicht klagen: gewiss, schwer, unsagbar schwer war Vieles. Aber es
hat gelohnt, es ist wenigstens um was Wirkliches gegangen. Es waren weder Schemen
noch falsche Werte: es ging um das Innerste und Höchste.
Wie wünsche ich mir immer wieder, Sie zu treffen. Eine leise Hoffnung war in mir,
dass Sie an Stelle der
Gutheil-Schoder in
Salzburg lehren werden. Es ist leider nicht so. Aber: wenn Sie einmal hinkommen, – und Sie
wollen mich sehen: bitte lassen Sie es mich wissen. – Ich bin bald wieder in
Wien. Hier: versuche ich, irgendwelche Möglichkeiten in Form zu bringen, – denn Ruhe, Sorglosigkeit, – kurz, ein halbwegs
gesicherter Lebens-Abend ist mir nicht gegönnt.
Ich möchte Ihnen, – ist das unbescheiden? – vorlesen, was ich niedergeschrieben. Die
Menschen, die es kennen, hören zu, als hörten sie von Märchenzeiten. Es klingt, ja
heut auch so. Und allzu vergesslich sind die Menschen: aber froh, wenn sie erinnert
werden. – Noch eins: werden Sie mir die formelle Erlaubnis geben, – Briefstellen,
Buchstellen von
H. Bahr heraus zu geben? innerhalb
dieses Buches? Ich bitte Sie um eine Zeile darüber.
Seien Sie innigst gegrüsst von Ihrer
Olga S.