Lieber,  eben kommt Dein Brief,– ich dank Dir vielmals, dass Du so lieb bist, mir 
die toile de Gênes schenken zu wollen. Lass 
sie nur in 
Wien, ich hole sie mir schon selbst. Aber sehr ermutigt es mich, dass Du die Bäder und
                        das ganze 
Baden-Baden so abzulehnen scheinst, – und gerade nach dem verlangst, was es 
nicht hat: Meer und Höhe. 
Diese zwar kannst Du hier ganze nah, (eben die 
Bühler Höhe) wunderbar haben, – aber wirst Du’s denn wollen?! Sonnenschein, Lieber, gibts hier
                        mehr als genug, es ist ein Land der Fruchtbarkeit, der Wärme, der fast südlichen Pflanzen,–
                        Glycinien, Pfirsische, Azaleen, Rhododendron, Kirschlorbeer, das wächst hier besonders
                        gut, ungefährt wie in 
Ober-Italien.
 
                     Der Winter ist wie im Flug vergangen, und ausser ein paar Regen- und Nebeltagen,–
                        die aber immer wieder durch freundlichere unterbrochen werden,– ist er nie unangenehm
                        geworden, – ich habe heuer nicht einmal den leisesten Schnupfen gehabt. In vier Wochen
                        haben wir hier vollsten Frühling, einige Büsche blühen schon, Krokus und Schneeglöckchen
                        sind heraus, und in den Gärten wird schon fleissig gearbeitet.
                     Warum, Leiber, hast Du so »reichlich Gelegenheit«, Dich zu ärgern und dadruch Deine
                        Stimme zu verlieren? mit wem? immer nur die abscheulichen geschäftlichen Dinge?! Sonst
                        muss doch alles lieb und schön und freundlich in Deiner Umgebung sein,– oder nicht?!
                        Die 
Kinder sind doch sicher nicht zum Ärgern, – und das Haus? functioniert es, wie es soll? Niemand schreibt mir darüber.
 
                     Die 
Grete kommt übermorgen, Sonntag, zurück, und ich möchte gern noch das Nötigste verfügen
                        und fahren, 
sobald ich irgend kann, ich hoffe, im Lauf der nächsten Woche. Heut ist noch eine wichtige Besprechung mit
                        dem 
Architekten der 
Soscha,– (die 
die Grete vertritt,) – da soll Verschiedenes festgelegt werden. Aber glaub mir, Lieber, es
                        wäre wirklich nicht gut möglich gewesen, früher wegzufahren, man muss doch täglich
                        da sein und allerlei Unsinn verhüten, der sonst unfehlbar geschähe, trotzdem man’s
                        mit sehr ordentlichten Leuten zu tun hat.
 
                     Schüleins sind noch auf der 
Bühler Höhe und fühlen sich oben so wol, dass sie erst ein bischen später hieher kommen.
 
                     Was nun die Gegenstände Deiner Aphorismen betrifft, möchte ich Dir viel erzälen,–
                        auch in Hinsicht auf 
Gundolf. Dem ist auch nichts verhasster als Journalismus,– so wie Du ihn auch siehst,– und
                        der 
Bahr z. B. ist ihm ein Gegenstand des Hohnes, so oft das Gespräch nur in die Nähe kommt. Sein
                        »
Grillparzer« hat mich sehr, sehr bewegt,– er stellt ihn als Talent und Charakter 
sehr hoch,– was er aber nicht umhin kann, zu constatieren, ist das gewisse Allgemeine 
Oesterr. Element, eine Lähmung, die vom 
staatlichen ausgeht, eine Resignation, die alles herabdrückt und in’s Unfruchtbare, statt in’s
                        Heroische leitet.
 
                     Nun musst du wissen, dass diese Menschen (um 
George) vollkommen auf der 
Idee des Staates beruhen, und dass 
darin alle Wurzeln ruhen, die der »Kunst« des Religiösen, des 
× Kultlichen überhaupt,– wie in der Antike, wo Kunst und Kult eng verbunden waren,
                        – nicht Kunst ein scheinbar frei schwebendes gewesen ist, wie heute, wo sie nicht
                        mehr den festen Unterbau hat, – so wie das Wesen der 
Erziehung ein unbeschreiblich wichtiges Capitel. Ich habe neulich ein Stück aus dem 
Aristoteles kennen gelernt und war sprachlos, wie actuell das alles ist. (Ich muss übrigens jetzt
                        ein Buch lesen, »
Norm und Verfall des Staates« von 
Hildebrandt.) Selbstverständlich aber ist die Grundlage aller dieser 
Georgeschen Wege 
Plato.
 
                     Ich bin nicht gescheit genug, Lieber, und weiss auch viel zu wenig, um Dir ein wirkliches Bild geben zu können,– ich haber nur Ahnungen, – was ich aber sicher fühle, ist: dass diese Menschen das stärkste und schärfste Gewissen, das höchste Verantwortungsgefühl dem Wesentlichen, dem Göttlichen gegenüber tragen,– von allen Menschen, die ich kenne.
                     Beiläufiges, oder Ausbiegungen, sind hier nicht gut denkbar. Sehr bedeutungsvoll auch
                        ihre Stellung zu Musik: sie ist (charakteristischer Weise in 
Oesterreich am stärksten) auch nur innerhalb gewisser Bedingungen »erlaubt«,– soweit sie eben
                        nicht die wesentlichen Dinge auflockert und in’s Grenzenlose verschwimmen lässt.
 
                     Eine reiche, eine bequeme Welt ist das nicht,– eine unwert 
männliche Angelegenheit. Aber sie wieder umreissen, wo jede begrenzende Linie verloren gegangen
                        ist,– sie wird wieder aufbauen, wo alle Pfähle in’s Wackeln gekommen sind. 
(Freud ist daher auch ein teuflisches Element.) 
                     Das Eine steht für mich fest: 
Hofmannsthal, den ich, o wie gut, instinctmässig längst geahnt habe, als das satanische Wesen,
                        das er, der Gehetzte ist, büsst sein Leben lang, mit Qualen, die gewiss Niemand ermisst,
                        seinen Abfall von einer Welt, die so hoch und rein wie die des Meisters ist,– und
                        der er doch einmal so nahe war. Jetzt erst begreife ich, oft mit Lächeln, die affenhaft
                        verzerrten Gepflogenheiten, die ihren Ursprung ganz wo anders haben: seine »Diplomatie«, seine Verschleierungen,
                        sein Herumschieben mit Menschen wie mit Schachfiguren,– aber auch seinen wunderbaren
                        »
Tor und Tod« und alle die tiefen herrlichen Unentrinnbarkeiten seines Wesens, wo es an Hohes
                        grenzt. Aber wo ist er hingekommen!
 
                     Lieber, ich freu mich sehr auf Dich und auf gute Gespräche,– ich träume oft von Dir,
                        und neulihc so komische Dinge. Und mein Häusel wird ja doch erst Wurzel in mir fassen
                        können, d. h. die Idee des Häusels, wenn Du mir Deinen Segen dazu gegeben haben wirst.
                        Du musst schon so lieb sein und mir innerlich ja sagen zu dieser neuen Heimat, lehn
                        sie nicht ab und verhalte Dich nicht unfreundlich zu×××× gegen sie.
                     Komm lieber bald her und sieh sie Dir an, ich wünsche mir, dass Du Deinen Geburtstag
                        hier verbringst. Aber bis dahin sehen wir uns ja noch.
                     Ich habe eine Bitte an Dich: nicht wahr, Du sprichst zu Niemandem, insbesondere nicht
                        zu 
Beer-Hofmann, von den Dingen, die ich Dir erzäle, vielmehr andeute. Es ist streng verboten, zu
                        erzälen,– um Missdeutungen zu verhüten,– und das hat seine Berechtigung.
 
                     Sonst gehts mir ganz gut, mein Magen ist besser, aber ich muss immer sehr acht geben.
                        Der geringste Fehler rächt sich. Die 
Pension Jaeger, die über den Winter nicht in Function war, eröffnet jetzt am 1. März, – das Essen
                        soll nicht gut sein, mit 10.000 M. Tagespreis. Die 
Schüleins werden hier in der Pension 
Zeppelin, in kleinen Passantenzimmmern, 7000 zalen. Ich glaube also kaum, dass meine kleine
                        Wirtschaft unökonomisch sein wird, auch richte ich sofort das Fremdenzimmer im Dachgeschoss
                        zum Vermieten ein.
 
                     Die letzten Tage war ich viel allein, jeden Abend zuhaus, lesend, nähend. Um den 
Schönberg (denk ich nur an sein verzerrtes Gesicht) beneid ich Dich nicht, um wie viel weniger
                        um seine Musik. D
r Weingartner hat mir aus 
München eine sehr liebe Karte geschrieben, schreib mir doch seine 
Wiener Adresse, ja? Wann sollst Du denn nach 
Dänemark? Eben hab ich wieder 
Jacobsen-Novellen gelesen, 
Frau Fönss hat mich zu Thränen ergriffen, lies es.
 
                     Schreib mir bald wieder, ja? und ärgere Dich nicht, es fast nie der Mühe wert.
                     
                     Tausend Küsse an meine 
Kinder, hätt ich sie nur schon.