Freitag, 5. Oct. 23.
                        
                           
Lieber,
                        
                      
                     für Deinen Brief dank ich Dir, – möchte aber öfter welche von Dir haben,– Du hast
                        mir jetzt lange nicht geschrieben. Wie gehts Dir denn? ich hoffe, die Frische, die
                        Du Dir aus der 
Schweiz mitgebracht hast, hält noch weiter vor, und Du findest doch die richtige Stimmung,
                        den »
Verführer« weiter zu bringen. Sprichst Du mit Niemandem darüber? wälzt Du das alles ganz allein
                        in Dir herum?
 
                     Was gibt es denn für neue menschliche Erscheinungen um Dich? irgendwas, das nicht nur Statisterie wäre? erzäl nur ein bischen. Und wie hat 
Hauptmann gewirkt? das 
Kind schreibt begeistert. (Aber warum 
Chapiro? die Menschen haben kein Organ für Maasse,– offenbar.)
 
                     Ebenso: die 
Christiane, von der 
Kassner erzält, dass sie ein feines, ernstes, kluges Geschöpf ist, und so hat sie auch immer
                        auf mich gewirkt,– bei 
Grossmann! Der 
Hugo ist wirklich ein Satan, – und verdient 
dafür die Todestrafe, denn 
ein Kind! in diese Atmosphäre schnuppern zu lassen, ist ganz wörtlich ein Verbrechen, nein,
                        eine schwere Sünde.
 
                     Wie ist dieser 
Mensch aus den Angeln! und was für ein Weg,– von 
George über 
Rich. Strauss zu – 
Grossmann!! Es ist arg.
 
                     Die 
Soscha hätte in 
Hiddensee, von dem sie ganz erfüllt zurück kam, 
Hauptmann kennen lernen können, und hat es abgelehnt. Worüber habt Ihr den gesprochen?
 
                     Lieber, nebstbei: mein Telegramm, hat, hoffe ich, Unheil verhütet, Du wirst doch den
                        schweren Fehler mit dem Geldwechsel kein zweites Mal gemacht haben. Nur so viel: alle
                        Preise gelten hier von 4 Uhr Nach. bis 4 Uhr des nächsten Tages. Eine Milchkanne aus Aluminium, die 
ich bestellt und die mein 
Mädchen aus Zufall nicht sofort holen konnte, kostete anstatt 
250 Mill. am nächsten Tag 
308! so geht das jetzt, – eine Folge der Curse. Ich schrieb ja an 
Heini: der Dollar vorgestern 400 Mill., gestern 550. Man spricht davon, dass er auf eine
                        Milliarde kommt.
 
                     Sonntag kommt, o Gott, das ganze Bankhaus 
Hermann zu mir zum Thee, es war nicht zu vermeiden, da sie vergangenen Sonntag Vormittag
                        vollzälig bei mir Karten abgegeben hatten. 
Salzens wollen kommen, um mir die Situation zu erleichtern.
 
                     Das »
Concert« von 
Bahr ist, trotz seiner Mängel, namentlich im III Akt, ein hübsches und wirklich lustiges
                        Stück, und ich muss mein Urteil von »damals« widerrufen. Es liegt die weise Gelassenheit
                        eines Menschen darin, der ganz genau weiss, wie selten Liebe und wie notwendig das
                        unschuldige Spiel der Sinne ist, und der es sich verbittet, Gewichte zu verschieben.
                        Daher das irgendwie erlösend Heitere des Stücks und sein berechtigter Erfolg. 
 
                     Wie ein schöner Orgelpunkt wirkt die Frau,– Du musst es Dir wirklich einmal ansehen.
                        Wir hatten in den letzten Tagen, auch durch Anderes dahin gebracht, verschiedene Gespräche über Dinge des Gefühls,
                        und 
Soscha sagte gestern: es scheine doch, dass sich auch 
das ändere, nach Generationen unterscheide,– Probleme, die welche waren, seien für sie
                        keine mehr, und so sehe man wieder eine andere Art bei den jungen Menschen von heute.
                        
 
                     Ich weiss es, wie sich meine eigene Anschauung im Lauf meines Lebens geändert, gelöst,
                        erweitert hat.
                     Ein Hauptspass war es, zwischen 
Soscha und dem 
Prof. zu sitzen, und diesem zuzusehen, wie er sich amüsiert hat: denn die Ehe der Beiden
                        ist durchaus nicht himmelblau verlaufen, dazu sind sie Beide zu starke und ausgesprochene
                        Naturen, – aber sie wissen von ihren tiefsten und unlöslichen Zusammenhängen und haben
                        danach gelebt.
 
                     Auch eine 
Andere, nicht uninteressante Ehegeschichte hat mir D
r O. erzält, die seines 
Freundes in 
Celerina, bei dem Du warst. Das muss ein ausserordentlich feiner, reiner und gütiger Mensch
                        sein. Was man lernen muss: sich und seine Umgebung kennen, sich nichts vormachen, sich nicht von Sentiments,
                        Convention und Eitelkeiten verblenden lassen,– sondern wahr sein, wahr, wahr, wahr!
                        Dann würden weniger Fehler geschehen, und weniger schlechte und verwirrende Bücher
                        und Theaterstücke geschrieben werden. Das alles ist ein weites Feld, und ich bilde
                        mir ein, wir könnten noch wunderschöne fruchtbare Gespräche darüber haben.
 
                     Leb wol, Lieber, schreib mir bald. Alles Gute! 
                        
O.