Lieber,  ich bin noch immer zu Bett, 
noch Temperatur, noch ein bissel dösig, will aber morgen aufstehen. Wie die Weihnachtstage verlaufen
                        sind, weisst Du ja aus meinem Brief an den 
Heini,– es war lieb und schön,– und eine Freude war es uns, wie
r wohl sich die Schlossbewohner 
Salzer in unserm Häusel gefühlt haben, 
Soscha immer wieder, und mit Recht, stolz darauf, dass sie mir im Jänner so nachdrücklich
                        zu dem Kauf geraten hat. Das dank ich ihr auch immer wieder, denn es ist nicht gut
                        auszudenken, wie’s sonst geworden wäre: weiter das ungemütliche und ungleich teurere
                        Pensionsleben, mit allen seinen äussern und innern Misslichkeiten.
 
                     Übrigens war der Erste, der mir sehr herzlich zu einer 
Bleibe geraten hat, der gute 
Bahr, auf einem jener 
Salzburger Spaziergänge. Hast Du nicht wieder von ihm gehört? ist er in 
Wien?
 
                     Von allen den vielen Leuten, die Du mir in Deinen Briefen nennst, ist ein Einziger,
                        dem ich begegnen möchte, und das ist 
Duhamel. Das ist 
ein Mensch, ein warmes, lebendiges, eigenes Wesen. Als ich im Krieg, bei der 
Lisl, in den »
Weissen Blättern« zum ersten Mal was von ihm 
las, dacht ich mir gleich: den Namen musst Du Dir merken. Schreib mir doch, wie er aussieht,
                        wie er wirkt, ja?
 
                     Hoffentlich lässt er sich von seinem Ruhm nicht verderben und trägt ihn »wie eine
                        Schuhschnalle«. Übrigens kenne ich den D
r Erwin Rieger aus 
Salzburg, der in der 
Presse über 
D. geschrieben hat, – das ist ein feiner Mensch.
 
                     In diesen geistig nicht sehr frischen Tagen hab ich die mir von 
Lucy geschenkte »
Nana« gelesen, ein grossartiges Buch, und eine ausgezeichnete Übersetzung. Ich möchte
                        Dir, wenn Du eine sehr concentrierte Zeit hast, doch zu dem nicht leichten und nicht
                        überall acceptablen »
Cosmogonischen Eros« von 
Klages raten,– ich habe enorm viel daraus erfahren, namentlich über die alten Mysterien
                        und ihre tiefsinnige Deutung. Der Prof. 
Salz schreibt eben ein Werk über religiöse Culte, und wir sprachen darüber in diesen Tagen, wie
                        sich immer die Formen wiederholen, immer übernommen wiederkehrend, aber mit immer
                        neuem Geist erfüllt.
 
                     Klages spricht kein Wort darüber, aber mir wurde mit einem Mal klar, woher das Ritualmordmärchen
                        kommt.
 
                     Ich beginne eben ein Buch zu lesen: »
Les Grands initiés« von 
Edouard Schuré, es behandelt: Rama – Krishna – Hermès – Moise – Orphée – 
Phytagore – 
Platon – Jésus.
 
                     Man hat viel zu wenig gelernt,– gar nix weiss man. Und es ist vielleicht gerade schön,
                        so spät wie ich zu lernen,– weil mann dann nur mehr Bestätigungen erfährt, – »
man kann nur lernen, was man schon weiss,« sagt die 
Rahel, dieses wahrhaft gescheite Frauenzimmer. Alles Wissen kommt vom Menschen und ist
                        für Menschliches, – und was darüber weg will, taugt nicht viel. Glücklicherweise ragt
                        ja der Mensch hoch genug hinauf und tief genug hinab, – man wird also nie fertig.
 
                     Wenn Du, Lieber, das Buch 
»Götter Menschen und Tiere« von 
Ossendowski erwischen kannst, aber ausgeborgterweise, dann lies es doch, es ist schon sehr interessant
                        und merkwürdig, gerade weil der Mensch so unbeholfen und nüchtern ist, – aber was
                        er gesehen hat, ist toll. Die Figur des Baron 
Ungern-Sternberg musst Du doch kennen lernen, – dieses Leben, diese Welt, – ja, 
Asien ist die Wiege der Menschheit und dort ist es noch genau so wie vor tausenden von Jahren, und wir
                        mit unseren kurzen Zeiträumen, unserm engen vernunfthaft seichten Wissen und wie die
                        kleinen Kinder.
 
                     Und merkwürdig genug, dass diese urhaft dumpfe, ur-uralte Welt doch die Stösse spürt,
                        die 
Europa durchwühlen. Hast Du den D
r Lesowsky nie mehr gesprochen? der war ja in 
Tschita, der muss ja auch allerlei erfahren haben.
 
                     Lieber, leb wol für heute, ich wünsch Dir von Herzen alles Gute für’s neue Jahr. Schreib
                        bald wieder.– Das Kleidchen von 
Bittmann hab ich meiner 
Tochter geschenkt, von dem Rest meiner 
schweizer Francs, weil sie es sich so sehr gewünscht hat, ich hoffe, es ist hübsch und sie
                        kann es gut gebrauchen.
 
                     Leb wol, Lieber!
Innigst 
                        
O.