Bemerkungen zum Thema »Kunst und Kritik«
                     
                     von
                     Arthur Schnitzler
                     Wenn wir in einem Kunstwerk das Vorhandensein einer Weltanschauung als künstlerischen
                        Vorzug zu empfinden glauben, so kommt diese Wirkung niemals von der Tatsache oder
                        von der Art der Weltanschauung her, die der Autor zum Ausdruck bringt, sondern immer
                        nur von dem Grad des Talentes, den er hierzu aufzuwenden imstande war.
Wie oft geschieht es – und muß nicht immer böse gemeint sein – daß der Kritiker seine
                        eigene fixe Idee in das Werk eines Autors hineinträgt und nichts anderes mehr darin
                        zu sehen vermag als eben diese Idee, von der er selbst monomanisch besessen ist; –
                        während sie dem Autor doch nur ein Element seines Werkes und nicht einmal das wichtigste
                        unter einem Dutzend anderer bedeutet.
Es ist schlechter Geschmack über seine eigenen Figuren gerührt zu sein und ein noch
                        schlechterer sich über sie lustig zu machen. Leider fehlt uns das rechte Wort, das
                        innerhalb des Geistigen eine gewisse mindere Art von Humor so glücklich bezeichnete,
                        als das Wort Sentimentalität ein unreines Verhältnis innerhalb des Gefühlsmäßigen
                        zum Ausdruck bringt. (»Witzelei« käme der Sache noch am nächsten.) In beiden Fällen
                        aber handelt es sich um einen Mangel an Distanz von Seiten des Autors entweder der
                        eigenen Figur oder dem Publikum oder beiden gegenüber.
Dem Kritiker verrät sich ohne weiteres, ob ein Werk, es mag im einzelnen mehr oder
                        minder geglückt sein, aus innerster Notwendigkeit oder ob es aus irgendwelchen äußeren Gründen geschaffen wurde. Doch mit nicht geringerer
                        Unfehlbarkeit weiß es der Künstler, ob das Urteil, das er vom Kritiker erfährt, sei
                        es Zustimmung oder Ablehnung, sachlicher Anteilnahme entstammt oder ob es durch irgendwelche
                        andere Motive getrübt ist.
Die drei Kriterien des Kunstwerks: Einheitlichkeit, Intensität, Kontinuität.
Manchem Urteil gegenüber, das ich gedruckt lese, ergeht es mir so, daß ich vor allem
                        denke: »Wie klug, wie zutreffend, wie gerecht! Jedes Wort möcht ich unterschreiben.«
                        – Und doch habe ich keine rechte Freude dran; denn gleich drangt es mich den Kritiker
                        zu fragen: Hand aufs Herz, mein Freund, hättest du dies auch geschrieben, wenn du
                        für den Autor, dessen Werk du beurteilst, nicht besondere persönliche Sympathie empfändest?
                        Oder, wenn dir das Lob, das du gespendet hast, nicht irgendwelchen moralischen oder
                        (wär es auch auf einem Umweg) sonstigen Gewinn brächte? Oder wenn du diesmal nicht
                        besondere Gelegenheit gehabt hättest, dem eigenes Licht leuchten zu lassen? Ja – frage
                        ich am Ende – hättest du, wenn das Werk zufällig von einem Andern wäre, überhaupt
                        bemerkt, daß cs dein Lob verdient? Und, wenn du es bemerkt hättest, wäre es dir der
                        Mühe wert gewesen, es aufzuzeichnen oder gar in die Zeitung zu setzen?
Was dein Werk in die Zukunft trägt, ist nie das Problem, das du gewählt, nicht der
                        Geist, mit dem es behandelt; – es sind immer nur die Gestalten, die du gebildet und
                        die Atmosphäre, die du um sie herum geschaffen hast.
Die wahre Tragödie steigt zum Himmel auf, wie ein Turm, auf dessen freier Höhe, von
                        Stürmen umbraust, die Leiche des Helden aufgebahrt liegt, – aber auch auf dem Grunde
                        jeder richtigen Komödie, tief verborgen in vermauerten Räumen, ruht ein tragisches
                        Geheimnis – mag auch oft dem Meister selbst, der du Gebäude aufgerichtet, nichts davon
                        ahnen. –
Wenn dem Kritiker ein Werk zur Beurteilung vorliegt, stehen ihm zwei Methoden zur
                        Wahl. Entweder mag er sich auf dies eine Werk beschränken und von den übrigen des
                        Autors absehen; – oder er beziehe in sein Urteil die Gesamterscheinung des Autors ein. Meist aber übt er
                        eine dritte Methode, die ihm in jedem Falle verwehrt sein sollte, – indem er neben
                        dem Werke, das ihm zur Beurteilung unterbreitet ist, einzelne andere nach Wahl oder
                        Laune, in den Kreis seiner Betrachtungen aufnimmt, die Existenz der übrigen, die ihm
                        für seinen Zweck und seine Wirkung im Augenblick eben nicht genehm sind, willkürlich
                        außer acht läßt und sich solchermaßen erlaubt, den Dichter aus eigener Machtvollkommenheit
                        zu fragmentieren.
Mancher dichterische Einfall, der im Lauf der Zeit in unser Unbewußtes sank, den wir
                        also unserer Meinung und dem Sprachgebrauch nach vergessen haben, nimmt weiter an
                        unseren Erlebnissen Teil, zieht in geheimnisvoller Weise Nahrung aus ihnen und entwickelt
                        sich so, ohne unser Dazutun, ohne unser Wissen weiter fort. Und eines Tages mag es
                        geschehen, daß er, wundersam verändert, aus den Tiefen unserer Seele wieder emporsteigt
                        und uns zu mahnen scheint: Nun bin ich allmählich zu dem herangereift, wozu ich von
                        Anbeginn bestimmt war: jetzt erst bin ich deiner, und du meiner wert; – laß uns Beide
                        unser Schicksal erfüllen, – schaffe dein Werk. –