[Marco Brociner]: Haus Delorme. (Eine Richtigstellung von Arthur Schnitzler), 25. 11. 1904

(Eine Richtigstellung von Arthur Schnitzler.)
Ueber den Einakter »Haus Delorme«, der bekanntlich noch vor seiner Aufführung lebhafte Debatten hervorgerufen, hat sich gestern Arthur Schnitzler einem Mitarbeiter unseres Blattes gegenüber in folgender Weise geäußert. »Mein Einakter ›Haus Delorme‹ gehört zu einem geplanten Cyklus von Familienszenen, die in verschiedenen Gesellschaftsklassen spielen. Ich nenne diese Szenen Burlesken und deute damit die Tonart an, in der sie gehalten sind. Ich las den Einakter im vorigen Sommer einem intimen Kreise vor, wo er die von mir beabsichtigte Wirkung übte: er weckte lebhafte Heiterkeit. Daß er anstößig sei oder den Schauspielerstand verunglimpfe, diese Empfindung hatte niemand in diesem Kreise, in dem sich auch Damen befanden. In gleicher Weise urteilte auch Direktor Reinhardt, der das Stück für die ›Kleine Bühne‹ erwarb, wo es gleichzeitig mit zwei anderen Einaktern von mir zur Aufführung gelangen sollte. Als ich vorige Woche nach Berlin kam, waren die Proben bereits in bestem Gange. Wie sonst bei den Proben meiner Stücke, nahm ich kleine Aenderungen und Milderungen vor. Ich machte nicht die geringste Wahrnehmung, daß unter den Darstellern eine Animosität gegen ›Haus Delorme‹ herrsche; ich hörte auch keine Andeutung, daß der Schauspielerstand durch diesen Einakter entwürdigt werde. Die Aufführung konnte bloß aus dem Grunde nicht stattfinden, weil die Zensurbehörde in letzter Stunde erklärte, daß sie noch keine endgiltige Entscheidung gefaßt habe. Umso größer war meine staunende Ueberraschung, als ich in den Berliner Zeitungen las, daß die Darsteller des ›Kleinen Theaters‹ über das Stück, darin sie eine Degradierung ihres Standes erblicken, in peinliche Aufregung versetzt worden seien und mit einem Streik drohen. Dieses Gerücht, das bereits als Tatsache ausgegeben wurde, entsprang offenbar aus unbegründeten Mitteilungen einiger Schauspieler und der Fall wäre völlig bedeutungslos, wenn hiebei nicht eine Erscheinung zutage getreten wäre, gegen die ich entschieden protestieren muß. Einige Zeitungen haben den angeblichen Inhalt meines Stückes erzählt. Es ist wohl das erste Mal, daß auf Grund eines Coulissenklatsches die Fabel eines Bühnenwerkes, und dazu noch in völlig entstellter Weise, wiedergegeben wurde, ehe es der Autor der Oeffentlichkeit und der Kritik in der von ihm selbst gutgeheißenen Form zu der ihm passenden Zeit unterbreitet hat. Das ist eine noch nicht dagewesene Verletzung eines verbrieften Autorrechtes. Aber man ist noch weiter gegangen. Auf Grund dieser entstellten Inhaltsangabe des Einakters hat man über mich das kritische Richtschwert geschwungen. Man hat mich beurteilt und verurteilt. Gegen diesen Vorgang, der meines Wissens keinen Präzedenzfall hat, muß ich energisch Verwahrung einlegen. Das ist das einzige beachtenswerte Moment in dieser Angelegenheit. Ueber die Frage, ob Bühnenkünstler berechtigt seien, Schauspielerstücke unter dem Vorgeben, daß sie ihr Standesbewußtsein verletzen, abzulehnen, könnte ich nur in akademischer Weise antworten und meine Antwort würde hiebei vollkommen mit jener Ansicht übereinstimmen, die in Ihrem Blatte bei der Besprechung dieser Frage entwickelt wurde. Schließlich möchte ich nochmals betonen, daß ein Verbot des Einakters bis jetzt wenigstens nicht erfolgt ist. Hoffentlich wird er bald freigegeben. Dann erst wird der Moment kommen, da die Kritik ihr Urteil über mein Werk abzugeben haben wird.«