Arthur Schnitzlers »
Haus Delorme«
Arthur Schnitzler ist heute aus
Berlin zurückgekehrt, wo er
der Première seiner Stücke »
Der tapfere Kassian«
und »
Der grüne Kakadu« beigewohnt hat. Der
dritte zur Aufführung geplante Einakter »
Haus Delorme« wurde
bekanntlich vor der Generalprobe von der Zensur verboten. Ein
Berliner Blatt erzählte den Inhalt des Stückes und brachte die
Mitteilung, daß sich bei der Regie und den mitwirkenden Künstlern von allem Anfang
eine Mißstimmung gegen »
Haus Delorme« wegen
einer darin enthaltenen angeblichen Verunglimpfung des Schauspielerstandes geltend
gemacht habe.
Ueber diese Angelegenheit äußert
sich
Arthur Schnitzler einem unserer Mitarbeiter gegenüber folgendermaßen:
»Das Wesentlichste an der ganzen Angelegenheit ist meiner Ansicht nach, daß sich hier
ein bisher noch nicht erhörter Vorgang abgespielt hat: Es wurde nicht nur der
angebliche Inhalt eines Stückes vor dessen Aufführung oder vor dessen
Veröffentlichung in Buchform erzählt, nein, dieser angebliche Inhalt wurde von irgend
einem Unberufenen, dem er offenbar nur vom Hörensagen bekannt sein konnte, in entstellter Weise veröffentlicht
(die Personen sind falsch aufgezählt, der Inhalt unrichtig wiedergegeben, das einzige
Zitat falsch), und als wäre es noch nicht genug: auf Grund dieser unrichtigen
Nacherzählung des Inhaltes eines vom Autor der Oeffentlichkeit noch nicht übergebenen
Stückes durch jemanden, der das
Stück selbst
erwiesenermaßen nicht kannte – und
offenbar von diesem Unberufenen selbst – ein Urteil über dieses Stück abgegeben,
gedruckt, weiterverbreitet. Selbst wenn jedes Wort der Nacherzählung richtig und das
Urteil zutreffend wäre, müßte ich auf das entschiedenste protestieren gegen den
Eingriff in das bisher strenge gewahrte Autorenrecht, daß über geistige Produkte erst
dann eine öffentliche Aeußerung erlaubt ist, wenn sie in einer vom Autor
gutgeheißenen Form und mit seinem Willen der Oeffentlichkeit übergeben worden sind.
Dieser Fall liegt besonders kraß, denn es ist meines Wissens bisher noch nicht
dagewesen, daß nicht nur Inhaltsangaben auf Grund von Coulissenklatsch erzählt,
sondern daß auch Urteile über Theaterstücke auf solcher Basis vor der Aufführung der
Oeffentlichkeit mitgeteilt werden.
›
Haus Delorme‹ ist ein Stück aus einer geplanten
Reihe von Familienburlesken, von denen eines in Arbeiter-, eines in Bürger-, eines
in
Komödianten-, eines in aristokratischen und eines in noch höheren Kreisen spielt.
Zwei davon sind erst beendet.
Ueber den angeblichen Streik der Schauspieler wird sich Direktor
Reinhardt zu äußern haben. Mir ist von einem Streik nichts bekannt geworden. Das Gerücht
hievon ist möglicherweise dadurch entstanden, daß ich noch in
Berlin, während der Proben Aenderungen einiger Stellen vornahm,
was ich und wohl die meisten Autoren beinahe immer – oft auch nach der Aufführung
eines Stückes tun. Zum Beispiel habe ich im ›
Freiwild‹ erst im vorigen Jahre eine Szene
vollkommen umgestaltet. Uebrigens ist mir ein Fall aus einer
österreichischen Provinzstadt erinnerlich, wo
die Schauspieler gegen die Aufführung
von ›
Freiwild‹ protestiert haben – weil angeblich darin der
Schauspielerstand beleidigt wurde. Ebenso wurde behauptet, daß ich in ›
Freiwild‹ und ›
Lieutenant Gustl‹ die gesamte Armee, in ›
Literatur‹ sowohl die Aristokraten als die Dichter verletzt habe. Einmal kam
mir sogar eine Notiz unter die Augen, wo irgend wer gegen die ›
Masken‹ im Namen der Journalisten protestieren zu müssen
glaubte. Aus solchen Aeußerungen und Meinungen spricht meiner Ansicht nach meistens
Heuchelei und etwas seltener ein einfältiges Mißverstehen des Solidaritätsbegriffes.
Die Besten innerhalb eines Standes sind stets diejenigen, welche sich über dessen
Vorurteile und Fehler erheben, nicht diejenigen, die den Inbegriff dieser Vorurteile
und Fehler am reinsten repräsentieren. Von den ersteren sind gewiß noch nie Versuche
gemacht worden, den Schriftsteller in der Ausgestaltung seiner Stoffe und
künstlerischen Befähigung irgendwie beschränken zu wollen.«