Aus der Theaterwelt.
(
Hermann Bahr als Fünfziger. – Warum er auf das deutsche Volk
böse
ist. –
Bahr über sein Stück »
Das Konzert«. – Seine
Tagebücher. – Ein
Ober-St. Veiter Gespräch mit
Alfred v. Berger)
Hermann Bahr wird in diesem Jahre seinen fünfzigsten Geburtstag feiern. Die
reichsdeutsche Presse hat
bereits begonnen, ihn zu feiern, obgleich eigentlich nach dem Kalender noch Zeit dazu
wäre. Erst kürzlich erschauten wir in einer großen
Berliner Zeitung ein ganzseitiges
Bahr-Porträt in prächtiger Ausführung. Unser
Linzer Landsmann sah da aus wie ein moderner Jupiter. Stirne,
Mähne, der ganze Schädel – alles groß und mächtig; nur die Augen schauten nicht mit
jener Ruhe, aus der ambrosische Weisheit strahlt. Sie blitzten Klugheit, sie sprühten
Geist, den Geist neuer Zeit. Und das ist wahrlich auch etwas.
Hermann Bahr hat vor allem darnach gestrebt, seiner Zeit
etwas zu sein. Ob er nun Führer war, ob sie ihn führte – man hat nie gemerkt, daß
er
sich ihr unterordne – stets stand er obenan. In der bildenden Kunst, im Theater,
immer führte er das Wort für eine Sache, die zu erstreiten war, und immer tat er es
mit Geist, mit einer graziösen Kunst, die den
Oesterreicher von der charmantesten Seite hervortreten ließ. Natürlich
konnte er auch anders kommen, stärker und wuchtiger, wenn es sich um Dinge handelte,
ihm so recht am Herzen lagen. So zum Beispiel bei der Frage des »
Parsifal«-Schutzes. Sie ist eigentlich gegen ihn und seine Gesinnungsgenossen
entschieden worden, trotz der imponierenden Agitation, die da entfaltet worden ist,
trotz der geradezu glänzenden Vorträge, die
Hermann
Bahr auf einer Reise durch die großen deutschen Städte Abend für Abend hielt
und die gerade in den besten, schlagkräftigsten Stellen gewöhnlich improvisiert
waren. Denn unter den vielen Talenten, die diesem merkwürdigen Mann in die Wiege
gelegt wurden, spielt seine Rednergabe keine geringe Rolle. Welche Anmut, welch feine
Pointierungskunst! Welch unmerklich spielende Kraft in der Steigerung vom Plauderton
bis zur Ekstase der Entrüstung, die da mit Gewalt einer Windsbraut aufsteigt, um sich
allgemach zu mildern, und statt gegen Felsen anzustürmen und Rieseneichen, deren
Wurzeln Jahrhunderte lang das Erdreich umklammern, mit einem Stückchen Papier zu
spielen, es in die Höhe zu jagen, im Wirbel auf und ab zu treiben und im Sonnenlicht
glänzen zu lassen, ein Spiel, dem nicht nur Kinder gerne zusehen. Aber alle Mühe hat
nichts genützt, speziell in der Frage des »
Parsifal«-Schutzes.
Und deshalb ist
Bahr gerade in seinem
fünfzigsten Jahre auf das deutsche Volk »böse«, vielleicht in dem Maße, wie er es
seinerzeit auf
Wien war,
seine zweite Vaterstadt. Am Ende ist er es noch immer, denn seine schöne Villa in
Ober-St. Veit steht verwaist da und der Hausherr wohnt in
Salzburg, wo es gewiß wunderschön ist, ein bischen herrlicher als am Fuße
der
Wiener Einsiedelei – wo es aber doch an den
vielen Anregungen fehlt, die das Stürmen und Drängen in früherer Zeit um keinen Preis
der Welt vernichtet hätte. Allerdings – bescheiden in seinen Bedürfnissen ist
Bahr seit jeher gewesen. Und er ist es
geblieben, auch als ihm seine schriftstellerischen Arbeiten reichen materiellen
Erfolg brachten. Die Villa hat er sich eigentlich mehr aus Freude an einem
architektonischen Versuch und – für seine Bücher bauen lassen. Aber er selbst blieb
darin der einfache Mann, dem die liebste Mahlzeit ein Schinken ist, ein Glas Bier
mit
folgender Virginier à 11 Heller und – ein gutes Buch.
Es ist ein Weg unermüdlicher Arbeit, reicher Erfolge, aber auch bitterer
Enttäuschungen, den der dramatische Dichter
Bahr in den Jahrzehnten seit
1886 zurückgelegt hat. Wie viele wären an den Mißerfolgen zugrunde
gegangen, die dieser Schriftsteller von sich abgeschüttelt hat, wie den Schnee nach
einem ein bißchen frostigen Winterspaziergang. Wer denkt nicht an die ausgewachsenen
Wiener Theaterskandale, die den Jugendstücken
Bahrs beschieden waren. Und doch hat er
sich schließlich durchgesetzt. Wenn auch nicht mit literarisch-künstlerischen Werken,
in die er Ueberzeugungen gelegt hatte oder Keime für eine »künftige Richtung« oder
sonst eine »bessere« Absicht; wohl aber mit
Komödien, die er – es ist ja schließlich keine Schande – für das Publikum geschrieben
hatte. »
Das Konzert« ist über ganz
Deutschland gegangen und an fremdsprachigen Bühnen
oft und oft gegeben worden; es hat seinem Autor ein bedeutendes Vermögen eingetragen.
Was aber den Autor nicht hinderte – mitten »im Geschäft«, während das Stück im
»besten Zuge« war – öffentlich zu erklären, es sei bedauerlich, daß gerade der erste
»wirkliche Schmarren«, den er geschrieben, dem
Publikum gefalle. . .
Hermann Bahr hat wohl manche feine Sache
geschrieben, die auch zu späteren Zeiten mit anmutiger Keckheit sprechen wird, wie
sie zu uns gesprochen. Und auch die deutsche Bühne wird vielleicht auf manches Stück
zurückgreifen, das seinerzeit als Produkt einer Modelaune gegolten hat. Eine der
kostbarsten Arbeiten aber, die der Schriftsteller der Nachwelt hinterlassen wird –
denn es ist kaum anzunehmen, daß diese Schriften zu seinen Lebzeiten der
Oeffentlichkeit zugeführt werden – sind seine Tagebücher.
Bahr führt seit Jahren
ein Diarium. Es erzählt nicht nur von den Begebenheiten, die ihn beschäftigten,
sondern es gibt auch die Gespräche wieder, die er mit bedeutenden Männern der Kunst
und Wissenschaft geführt hat. Und wo gibt es einen führenden Mann jüngerer Generation
aus dem Reiche der Künste, der nicht während der
Wiener Jahre
Hermann Bahrs mit ihm in
Beziehungen gestanden wäre?
Kainz,
Reinhardt,
Emanuel Reicher, Dr.
Brahm,
Schnitzler,
Hofmannsthal,
Schönherr,
Burckhardt,
Eleonore Duse,
Novelli,
Zacconi und andere Größen der Bühne, ferner
Klimt,
Otto
Wagner,
Olbrich,
Hoffmann,
Moser,
Roller – wer zählt die Träger glänzender Namen,
die gerne mit
Bahr plauderten, die in ihm den
Förderer ihrer künstlerischen Ideen erblickten, die ihn anregten und sich von ihm
anregen ließen. Und welcher Genuß, mit
Bahr zu
plaudern! Es ist noch subtiler, als ihn »sprechen« zu hören, das heißt vortragen.
Wer
weiß, welches das bessere Teil in den Tagebüchern des Schriftstellers sein wird: das,
was er selbst über die Sachen und Personen gesagt hat, oder das, was die anderen,
die
Partner, ihm erwidert haben! Es ist gewiß eine dankbare Aufgabe, sein eigener
Eckermann zu sein. Und man kann überzeugt sein,
daß sie
Bahr mit Geschmack gelöst hat. Und
nicht ohne Kritik, die sich gegen ihn selbst richtet. Denn als Ironiker seiner selbst
ist
Bahr stets groß gewesen. Seine ersten
Plauderpointen endeten gewöhnlich so. Und er selbst hatte die ehrlichste Freude, wenn
ihm etwas Boshaftes gegen –
Hermann Bahr
eingefallen war. Am liebsten hätte er diese giftige Pointe einem seiner literarischen
Gegner zur Kenntnis gebracht, damit sich auch andere ihrer freuen. Denn Kritik hat
Bahr – zum Unterschied von vielen anderen
hervorragenden dramatischen Autoren, die jahrelang eine schlecht gelaunte Kritik über
eines ihrer Stücke nicht vergessen können und die »ungerechten« Worte bis an ihr
Lebensende auswendig wissen – Kritik hat der Kritiker und Bühnenschriftsteller
Bahr immer vertragen. Diese seine Tagebücher
werden einmal wertvolle Dokumente unserer Zeit sein. Sie füllen –
Bahr hat sie oft Freunden gezeigt – einige Schränke des
großen Bibliothekszimmers in der Villa zu
Ober-St.
Veit. Allerdings – wer
Hermann Bahrs
Handschrift kennt, wird ob des riesenhaften Volumens seiner Diarien nicht allzu sehr
erschrecken. Er schreibt wohl die denkbar kleinste Schrift, die Buchstaben sind so
winzig wie die Lettern der sogenannten Diamantschrift – aber zwischen einer Zeile
und
der nächsten, die aus
Bahrs Feder fließt,
bleibt gewöhnlich ein freier Papierraum von drei bis vier Zentimetern, so daß
Bahr auf die größten Schreibbogen immer nur ein
paar Zeilen bringt. Das Manuskript eines Buches von
Hermann Bahr, es müßte sohin ein paar Kilo Papier ausmachen. In den letzten
Jahren hat er sich allerdings das Schreiben abgewöhnt und sichs aufs Diktieren
eingerichtet! Den Dialog seiner letzten Stücke – so schlagfertig ist er im Sprechen
und so viel Bühnenroutine hat er sich schon angeeignet – hat
Hermann Bahr fast durchwegs in die Schreibmaschine diktiert,
und was einmal in Form gegossen ist, daran pflegte der Autor nur selten etwas zu
ändern.
Daß
ein Mann in den Memoiren
Bahrs eine besondere Rolle spielen wird: der dahingegangene
Direktor des
Burgtheaters
Alfred Freiherr v. Berger – ist wohl gewiß.
Bahr und
Berger waren abwechselnd gut, kühl oder »böse«,
je nachdem das künstlerische Wetter wechselte. Sie hatten manche Eigenschaft, in der
sie sich berührten. Eines kann man wohl mit Sicherheit behaupten: Wenn Baron
Berger und
Hermann Bahr draußen in
St. Veit – sie
wohnten ja nicht weit von einander – mit einander sprachen, dann hielten die zwei
geistreichsten Causeure
Wiens Zwiesprache. Freilich,
in Dingen der Weltanschauung waren sie die reinsten Antipoden! In einer Ueberzeugung
aber trafen sie sich die längste Zeit und diese Ueberzeugung ging dahin, daß
Paul Schlenther nicht der richtige Direktor des
Burgtheaters sei.
Berger wirkte
damals in
Hamburg, er stand im Zenith seiner
Erfolge und hatte keinen aktuellen Anlaß an
Wien
zu denken. Aber so oft er hieher kam, hatte er das Bedürfnis, sich über das
Burgtheater und dessen sicherem Verfall unter
Schlenther auszusprechen. Natürlich nur in
intimem Kreise; es war ihm dabei nicht etwa um eine Agitation, sondern nur um ein
lautes Denken zu tun. Es war ihm leichter, wenn er sich ausgesprochen hatte.
So goß denn Baron
Berger wieder einmal in
einem Gespräch mit
Bahr all die Schmerzen aus,
die ihn ob der Direktionsführung
Paul
Schlenthers bedrückten. Das Gespräch wurde in der Veranda der
Bahrschen Villa geführt. Baron Berger ging
seiner Gewohnheit gemäß auf und ab, während
Bahr in einem Lehnstuhl saß und interessiert, aber ruhig zuhörte.
Berger wurde immer lebhafter in der Aufzählung
der künstlerischen und literarischen Sünden des Direktors
Schlenther. Niemals hätte man einen Mann nach
Wien berufen sollen, der dem
Wiener Boden so fremd ist und nicht die Fähigkeit hat, sich zu
akklimatisierten etc., der in der Wahl der Novitäten die denkbar ungeschickteste Hand
zeige. Und schneller auf und abgehend, wurde Baron
Berger immer erregter, bis er lebhaft gestikulierend ausrief:
|»Und jetzt führt
Schlenther gar den ›
Apostel‹ auf, dieses schlechte, talentlose Stück! Das aber wird sein letzter Streich
sein. Damit hat er sich
unmöglich gemacht!«
Und indem er diese Worte in förmlicher Ekstase sprach, war Baron
Berger wieder zu jenem Lehnstuhl gekommen, in dem sein
Partner ganz ruhig saß:
Hermann Bahr, wie die Leser wissen werden, der Dichter des »
Apostel«!
Alfred Berger hatte in seiner »Rage«
vergessen,
mit wem er sprach! Er hatte wahrhaftig nur laut
gedacht!
Indem aber
Berger seinem Partner ins Gesicht
sah und merkte, es sei eben der
Hermann Bahr
des »
Apostel«, begann ihn ein derartiges Lachen
zu schütteln, daß er kaum eines Wortes fähig war. Und auch
Bahr wurde von einer geradezu kindlichen Heiterkeit erfaßt.
Und beide Männer sahen einander in die Augen und lachten ob der komischen Situation,
als hätte sich diese in ihrer Gegenwart unter anderen, dritten Personen gefügt! Sie
lachten über das Vorkommnis mit jener rein objektiven Heiterkeit, die nur Künstler
empfinden können. Oder
Oesterreicher! Kurzum –
es wurde die reizendste Szene daraus. Sie verabschiedeten sich lachend und wohl noch
oft, wenn sie einander später trafen, mußten sie die Erinnerung an jenes Gespräch
in
der
St. Veiter Veranda gewaltsam unterdrücken, um
halbwegs ernst bleiben zu können. . .