(Originalbericht des »
Neuen Wiener
Journal«.)
Gestern nachmittag hat in der
Akademie der
Wissenschaften die Sitzung des Preisrichterkollegiums über den
Grillparzer-Preis stattgefunden. Es wurde das Ergebnis
publiziert, wonach der Preis im Betrage von 5000 Kronen Herrn Dr.
Artur Schnitzler für sein im Repertoire des
Burgtheaters
stehendes Schauspiel »
Zwischenspiel« einstimmig
zuerkannt wurde.
Die Tatsache, daß nun ein
österreichischer
Dichter jenen Preis erhielt, der bereits viermal nach
Deutschland wanderte, wird mit Genugtuung aufgenommen werden, obgleich »
Zwischenspiel« trotz seiner Feinheiten nicht zu
den kritisch einwandlosesten dramatischen Werken
Schnitzlers gehört. Mit der Zuerkennnng des Preises drückte das Kollegium
den gesamten Werken dieses feinsinnigen Poeten die bedeutendste Anerkennung aus, über
die es verfügt. 94 Stücke standen in Konkurrenz und in den letzten Tagen hieß es,
daß
die Jury in ihren Entschlüssen wankend sei. Man sprach
| von der »
Rabensteinerin«
Wildenbruchs und von »
Familie« von
Schönherr als von Werken, von denen das eine oder andere den Preis erhalten solle.
Schließlich entschloß man sich für
Schnitzler,
wohl in der Erwägung, daß diesem Dichter eine lange und vielfältige Reihe von
wertvollen dramatischen Werken zu verdanken sei. Den Preis erhielt bereits
dreimal Gerhart Hauptmann für den »
Armen Heinrich«, »
Hannele« und »
Fuhrmann
Henschel«, und einmal
Otto Erich Hartleben für »
Rosenmontag«. Unter den
österreichischen Dichtern wurde bloß
Ludwig Anzengruber mit dem Preis einmal ausgezeichnet.
»
Zwischenspiel« entstand im Jahre
1904 und wurde zum erstenmal am
12. Oktober 1905 und
zuletzt am
6. September 1907 am
Burgtheater aufgeführt, im ganzen 17mal. Das Stück behandelt ein
interessantes psychologisches Problem aus dem Eheleben eines Künstlerpaares und es
ist mehr auf das geistvolle Räsonnement als auf starke dramatische Vorgänge gestellt.
Einer unserer Mitarbeiter suchte gestern unmittelbar nach der Entscheidung der Jury
Herrn
Artur Schnitzler auf und berichtet uns
über seine Unterredung wie folgt:
Auf einem Spaziergange um den
Türkenschanzpark,
in dessen Nähe
Schnitzler seit einigen Jahren
sein Heim aufgeschlagen hat, treffe ich den Dichter an, noch überrascht durch die
ihm
kurz vorher zugegangene Nachricht von der Zuerkennung des
Grillparzer-Preises. Daß ihm die Auszeichnung und
insbesondere dem »
Zwischenspiel« zuteil werden
wird, daran hatte
Schnitzler nicht gedacht,
zumal die Nachricht zuletzt kursierte, daß das Kollegium
Schönherr und
Wildenbruch in Betracht gezogen habe. Wir gehen eine Strecke lang an
verschneiten Gärten und Villen vorbei, sehen einen Moment der Schuljugend zu, die
auf
etwas abschüssiger Bahn unter Lachen und Lärmen dem Rodelsport huldigt.
»Eigentlich gehört ›
Zwischenspiel‹ nicht zu den
Sachen, die mir innerlich nahestehen,« sagte
Schnitzler, »seine kleine Welt erscheint mir zu abgeschlossen, die Fenster
der Stuben, in denen das Stück spielt, sind einem kleinen Garten zugewendet, und es
ist mit dem ganzen Drama so, daß von ihm kein Weg ins große Leben führt, zu anderen
Menschen. Es fehlen die großen Beziehungen zu einem Allgemeinen und deshalb wohl kann
es mich nicht befriedigen. Mir selbst ist der ›
Einsame Weg‹, ja auch ›
Der Ruf des
Lebens‹ durch seine ersten Akte, auf denen, wie ich glaube, Schicksalsschwere
liegt, sympathischer. Es ist bei mir so, daß ich eine empfangene Stimmung oder Idee
in einem einzigen Werke nicht in allen Verzweigungen und Nuancen ausgeben kann, daß mir noch ein Ueberschuß bleibt, der in mir aufs neue produktiv wird
und mich zu anderen Gedankengängen und Stimmungen hinüberführt. ›
Zwischenspiel‹ ist abgeschlossen und für mich abgetan.
Anders, wie noch bei vielen Sachen, erging es mir beim ›
Einsamen Weg‹. Gestalten, die ich in dieses Stück bannen
wollte, lösten sich los, kamen in andere Konflikte und es entstanden andere Stücke,
Szenen. Diese Sachen haben dann keine andere innere Verwandtschaft als vielleicht
etwa des Tones und der Stimmung, die mir vielleicht eigen sind. Oder aber es
geschieht, daß ich ein Stück oder eine Novelle fast bis zur Vollendung bringe, es
aber in einer Stimmung der Abneigung lange liegen lasse, und eines Tages ruft es mich
gleichsam wieder an, meldet sich, aber nun ist alles in mir anders und das Stück
erhält eine innere Umformung, hat sich in mir stilisiert und es wird etwas ganz
anderes, gehört dann einer anderen Stilart als der zuerst gedachten an.
»Es gibt in den Schaffensprozessen, die ich durchmache, Unterströmungen in mir, die
mich nach verschiedenen Richtungen oft führen. Mein Sinn für das Leben und das
Wirkliche wird zuweilen abgelenkt, hin zu einer Traumwelt, zum Märchenhaften. Sie
werden das in meiner neuen Produktion vielfach finden, und ich habe mich, vielleicht
nur vorübergehend, Stoffgebieten zugewendet, die meiner Phantasie den freiesten
Spielraum lassen. Deshalb begrüße ich die Bestrebungen und Leistungen
Rollers in der wärmsten Weise. Die
Dekorationskunst dieses modernen Meisters ermöglicht die Aufführung von Werken, die
ausschließlich von der Phantasie inspiriert sind, weckt mit ihrer knappen Sprache,
ihren Andeutungen und durch den Mangel einer künstlichen und illusionstörenden
Wirklichkeit beim Zuschauer die stärkste Illusion und, was viel mehr ist,
Ideenassoziationen, die ein Mitschaffen des Zuschauers anregen.
Dahin geht, wie bereits gesagt, vorläufig meine dichterische Intention. Meine nächste
Publikation ist ein Roman: ›
Der Weg ins Freie‹,
andere Dinge sind teils abgeschlossen, harren teils noch der Vollendung. Ueber meinen
Roman kann ich Ihnen jetzt nur sagen, daß ich in ihm die Beziehungen gegenseitiger
Wiener Schichten und sozialer Gruppen
darzustellen versucht habe.«
Phantasieleben und Wirklichkeit, das ist ein Kapitel, über welches ich Ihnen noch
mancherlei sagen könnte. Sie fließen im Leben eines Produzierenden oft in einander,
und zuweilen ertappe ich mich dabei, daß mir ein Phantasiebild einen Moment lang wie
etwas erscheint, das ich wirklich erlebt habe. Doch, ich habe schon zu viel von mir
und meinem Schaffen gesprochen«, schloß der Dichter, indem er mir mit freundlichstem
Lächeln die Hand reichte. . .