[Hermann Menkes]: Der Grillparzer-Preis, 16. 1. 1908

(Originalbericht des »Neuen Wiener Journal«.)
Gestern nachmittag hat in der Akademie der Wissenschaften die Sitzung des Preisrichterkollegiums über den Grillparzer-Preis stattgefunden. Es wurde das Ergebnis publiziert, wonach der Preis im Betrage von 5000 Kronen Herrn Dr. Artur Schnitzler für sein im Repertoire des Burgtheaters stehendes Schauspiel »Zwischenspiel« einstimmig zuerkannt wurde.
Die Tatsache, daß nun ein österreichischer Dichter jenen Preis erhielt, der bereits viermal nach Deutschland wanderte, wird mit Genugtuung aufgenommen werden, obgleich »Zwischenspiel« trotz seiner Feinheiten nicht zu den kritisch einwandlosesten dramatischen Werken Schnitzlers gehört. Mit der Zuerkennnng des Preises drückte das Kollegium den gesamten Werken dieses feinsinnigen Poeten die bedeutendste Anerkennung aus, über die es verfügt. 94 Stücke standen in Konkurrenz und in den letzten Tagen hieß es, daß die Jury in ihren Entschlüssen wankend sei. Man sprach| von der »Rabensteinerin« Wildenbruchs und von »Familie« von Schönherr als von Werken, von denen das eine oder andere den Preis erhalten solle. Schließlich entschloß man sich für Schnitzler, wohl in der Erwägung, daß diesem Dichter eine lange und vielfältige Reihe von wertvollen dramatischen Werken zu verdanken sei. Den Preis erhielt bereits dreimal Gerhart Hauptmann für den »Armen Heinrich«, »Hannele« und »Fuhrmann Henschel«, und einmal Otto Erich Hartleben für »Rosenmontag«. Unter den österreichischen Dichtern wurde bloß Ludwig Anzengruber mit dem Preis einmal ausgezeichnet.
»Zwischenspiel« entstand im Jahre 1904 und wurde zum erstenmal am 12. Oktober 1905 und zuletzt am 6. September 1907 am Burgtheater aufgeführt, im ganzen 17mal. Das Stück behandelt ein interessantes psychologisches Problem aus dem Eheleben eines Künstlerpaares und es ist mehr auf das geistvolle Räsonnement als auf starke dramatische Vorgänge gestellt.
Einer unserer Mitarbeiter suchte gestern unmittelbar nach der Entscheidung der Jury Herrn Artur Schnitzler auf und berichtet uns über seine Unterredung wie folgt:
Auf einem Spaziergange um den Türkenschanzpark, in dessen Nähe Schnitzler seit einigen Jahren sein Heim aufgeschlagen hat, treffe ich den Dichter an, noch überrascht durch die ihm kurz vorher zugegangene Nachricht von der Zuerkennung des Grillparzer-Preises. Daß ihm die Auszeichnung und insbesondere dem »Zwischenspiel« zuteil werden wird, daran hatte Schnitzler nicht gedacht, zumal die Nachricht zuletzt kursierte, daß das Kollegium Schönherr und Wildenbruch in Betracht gezogen habe. Wir gehen eine Strecke lang an verschneiten Gärten und Villen vorbei, sehen einen Moment der Schuljugend zu, die auf etwas abschüssiger Bahn unter Lachen und Lärmen dem Rodelsport huldigt.
»Eigentlich gehört ›Zwischenspiel‹ nicht zu den Sachen, die mir innerlich nahestehen,« sagte Schnitzler, »seine kleine Welt erscheint mir zu abgeschlossen, die Fenster der Stuben, in denen das Stück spielt, sind einem kleinen Garten zugewendet, und es ist mit dem ganzen Drama so, daß von ihm kein Weg ins große Leben führt, zu anderen Menschen. Es fehlen die großen Beziehungen zu einem Allgemeinen und deshalb wohl kann es mich nicht befriedigen. Mir selbst ist der ›Einsame Weg‹, ja auch ›Der Ruf des Lebens‹ durch seine ersten Akte, auf denen, wie ich glaube, Schicksalsschwere liegt, sympathischer. Es ist bei mir so, daß ich eine empfangene Stimmung oder Idee in einem einzigen Werke nicht in allen Verzweigungen und Nuancen ausgeben kann, daß mir noch ein Ueberschuß bleibt, der in mir aufs neue produktiv wird und mich zu anderen Gedankengängen und Stimmungen hinüberführt. ›Zwischenspiel‹ ist abgeschlossen und für mich abgetan. Anders, wie noch bei vielen Sachen, erging es mir beim ›Einsamen Weg‹. Gestalten, die ich in dieses Stück bannen wollte, lösten sich los, kamen in andere Konflikte und es entstanden andere Stücke, Szenen. Diese Sachen haben dann keine andere innere Verwandtschaft als vielleicht etwa des Tones und der Stimmung, die mir vielleicht eigen sind. Oder aber es geschieht, daß ich ein Stück oder eine Novelle fast bis zur Vollendung bringe, es aber in einer Stimmung der Abneigung lange liegen lasse, und eines Tages ruft es mich gleichsam wieder an, meldet sich, aber nun ist alles in mir anders und das Stück erhält eine innere Umformung, hat sich in mir stilisiert und es wird etwas ganz anderes, gehört dann einer anderen Stilart als der zuerst gedachten an.
»Es gibt in den Schaffensprozessen, die ich durchmache, Unterströmungen in mir, die mich nach verschiedenen Richtungen oft führen. Mein Sinn für das Leben und das Wirkliche wird zuweilen abgelenkt, hin zu einer Traumwelt, zum Märchenhaften. Sie werden das in meiner neuen Produktion vielfach finden, und ich habe mich, vielleicht nur vorübergehend, Stoffgebieten zugewendet, die meiner Phantasie den freiesten Spielraum lassen. Deshalb begrüße ich die Bestrebungen und Leistungen Rollers in der wärmsten Weise. Die Dekorationskunst dieses modernen Meisters ermöglicht die Aufführung von Werken, die ausschließlich von der Phantasie inspiriert sind, weckt mit ihrer knappen Sprache, ihren Andeutungen und durch den Mangel einer künstlichen und illusionstörenden Wirklichkeit beim Zuschauer die stärkste Illusion und, was viel mehr ist, Ideenassoziationen, die ein Mitschaffen des Zuschauers anregen.
Dahin geht, wie bereits gesagt, vorläufig meine dichterische Intention. Meine nächste Publikation ist ein Roman: ›Der Weg ins Freie‹, andere Dinge sind teils abgeschlossen, harren teils noch der Vollendung. Ueber meinen Roman kann ich Ihnen jetzt nur sagen, daß ich in ihm die Beziehungen gegenseitiger Wiener Schichten und sozialer Gruppen darzustellen versucht habe.«
Phantasieleben und Wirklichkeit, das ist ein Kapitel, über welches ich Ihnen noch mancherlei sagen könnte. Sie fließen im Leben eines Produzierenden oft in einander, und zuweilen ertappe ich mich dabei, daß mir ein Phantasiebild einen Moment lang wie etwas erscheint, das ich wirklich erlebt habe. Doch, ich habe schon zu viel von mir und meinem Schaffen gesprochen«, schloß der Dichter, indem er mir mit freundlichstem Lächeln die Hand reichte. . .