[Karl Werkmann]: Verleihung des Grillparzer-Preises an Artur Schnitzler, 15. 1. 1908

Heute um halb 2 Uhr nachmittags fand die Schlußsitzung des Preisrichterkollegiums für die Verleihung des Grillparzer-Preises statt. Nach kurzer Debatte wurde der Preis Artur Schnitzler für seine Komödie »Zwischenspiel« zuerkannt. Das Stück ist zum erstenmal am 12. Oktober 1905 und zuletzt am 6. September 1907 am Burgtheater aufgeführt worden. Im ganzen wurde das Stück am Burgtheater 17mal aufgeführt.
Diese Entscheidung kommt um so überraschender, als bis vor kurzem noch Wildenbruch mit der »Rabensteinerin« als der sichere Preisträger galt. Aber der Vorschlag konnte nicht die absolute Majorität der Preisrichter finden. Man gab dabei vielleicht auch der Erwägung Raum, daß der Preis nun schon viermal nach Deutschland gegangen ist. Dreimal bekam ihn Gerhart Hauptmann für seine Stücke »Der arme Heinrich«, »Hannele« und »Fuhrmann Henschel« und einmal Otto Erich Hartleben für seine Offizierstragödie »Rosenmontag«. Als nun offenbar wurde, daß Wildenbruch die Majorität nicht erlangen könne, proponierte Burgtheater-Direktor Dr. Schlenther die Verleihung des Preises an Schönherr für dessen Schauspiel »Familie«. Doch auch dieser Vorschlag stieß auf Gegnerschaften, und die Bemühungen des Dr. Schlenther blieben ohne Erfolg. Nun machte der Vorsitzende des Kollegiums Prof. Jakob Minor den Vorschlag, den Grillparzer-Preis Artur Schnitzler für dessen mit Erfolg gegebene Komödie »Zwischenspiel« zu verleihen. Und auf diesen Vorschlag einigte man sich schließlich.
In der heute nachmittags stattgehabten Sitzung wurde zunächst das Referat erstattet und darauf verwiesen, daß der Grillparzer-Preis nach der Bestimmung des Dichters für das relativ beste deutsche dramatische Werk ausgesetzt ist, das im Laufe der letzten drei Jahre auf einer namhaften deutschen Bühne zur Aufführung gelangt ist und nicht schon von einer anderen Seite durch einen Preis ausgezeichnet worden ist. Unmittelbar danach erfolgte die Abstimmung, und diese ergab ein einhelliges Votum für Artur Schnitzler.
Der Grillparzer-Preis beträgt bekanntlich 5000 Kronen. Das Preisgericht besteht aus den Herren Prof. Dr. Minor, Direktor Dr. Schlenther, Hofrat Dr. Burckhardt, Schriftsteller Ludwig Hevesi und Prof. Erich Schmidt in Berlin.
Der Grillparzer-Preis, der nun viermal nach Deutschland gewandert ist, bleibt diesmal in Oesterreich. Im ganzen standen 94 Bühnenwerke in Konkurrenz.
Schnitzler ist der zweite österreichische Dichter, der den Grillparzer-Preis bekommen hat. Bisher hat ihn nur Anzengruber im Jahre 1887, und zwar für sein Drama »Heimg’funden«, erhalten.
Aeußerungen Schnitzlers.
Einer unserer Redakteure überbrachte dem Dichter die Nachricht von der Preisverleihung und beglückwünschte ihn aus diesem Anlasse. »Sie setzen mich,« erklärte Schnitzler, »in das höchste Erstaunen. Ich hätte nicht geglaubt, daß der Preis mir verliehen werden würde. Es kamen doch so viele Stücke hierfür in Betracht. Zum Beispiel ›Oedipus und die Sphinx‹, von Hofmannsthal, dann ›Und Pippa tanzt‹, von Hauptmann. Die ›Rabensteinerin‹, von der es hieß, daß sie mit dem Preise bedacht werden würde, habe ich leider noch nicht gesehen. Von meinen Stücken, die für die Preisverleihung in Betracht kommen konnten, hätte ich ›Ruf des Lebens‹ als das aussichtsvollere betrachtet, wenngleich der Bühnenerfolg des Stückes kein so starker war. Noch höher schätze ich den ›Einsamen Weg‹ ein, der allerdings nicht in den letzten drei Jahren zur Aufführung gelangte, daher auch nicht für den Grillparzer-Preis in Betracht kommen konnte.«
Schnitzler, dessen Gemahlin kürzlich eine heftige Scharlacherkrankung überstanden hat, befaßt sich gegenwärtig mit der Korrektur seines neuen Romans »Der Weg ins Freie« und mit mehreren dramatischen Arbeiten, von denen die eine oder andere der Vollendung nahe ist. Diese Arbeiten behandeln teils phantastische, teils moderne Stoffe.
Beim Abschied erklärte Schnitzler nochmals, daß er nie daran gedacht hätte, daß ihm der Grillparzer-Preis verliehen werden würde, da er sich für einen Outsider gehalten habe, daß er aber selbstverständlich von der Verleihung auf das angenehmste überrascht sei.