Zur Aufführung des Dramas »
Der einsame
Weg« im
Volkstheater. – Als
Bassermann in
Berlin den
Sala
spielte. –
Schnitzlers »
Kakadu« kommt wieder ins
Burgtheater. – Die Geheimgeschichte der Annahme des revolutionären
Stückes.
Das Ereignis der vergangenen Theaterwoche war wohl
der Herr
von Sala Albert Bassermanns, der im
Deutschen Volkstheater über einer bis auf wenige
Einzelleistungen mittelmäßigen und wohl auch mangelhaft geprobten Aufführung des
Dramas »
Der einsame Weg« hoch emporragte. Man
suchte im Saal
Artur Schnitzler, aber er
fehlte. Welch feine Witterung unseres
Wiener
Dichters! Hatte er doch ganz andere Aufführungen seines Schauspiels erlebt,
glänzende, unvergeßliche.
Zu ihnen gehört
vor allem die
Berliner Uraufführung, vor mehr als zwei Jahrzehnten unter
Brahms Spielleitung.
Bassermann spielte auch damals den
Sala. Wer stand ihm zur Seite?
Rittner als Fichtner, die
Else Lehmann als
Irene Herms, die
Triesch als
Johanna, die
Pauly als
Frau
Wegrath. Gewiß eine unvergeßliche Aufführung –
denn die
Berliner lachten in die
ernstesten Stellen hinein. So zum Beispiel in die letzte Szene
Salas und seiner
Johanna. Man ahnt es: Dieses Mädchen, das
sich ihm hingegeben in der sicheren Erwartung der nächste, der sie umarmt, sei der
Tod – man weiß, die Unglückliche nimmt nun Abschied für immer. In irgendeiner leisen
Regung von Mitleid oder Reue macht ihr nun Herr
von Sala einen kühlen Heiratsantrag, Johanna brauche sich ja
nicht für immer an ihn gebunden zu fühlen, denn: »
Alle Deine Träume« fügt er hinzu, »
kann ich Dir nicht erfüllen –« Da fällt ein
höhnisches Lachen aus dem Publikum ein, ein
berlinerisches. . . Die Komödie ist damit für
Berlin erledigt. Sollte man glauben. Aber die
zweite Aufführung ist ausverkauft.
Schnitzler
und
Brahm sind angenehm überrascht. Der
Direktor sucht nach einer Erklärung, denn er will immer lernen. Plötzlich hat
er’s:
»Die Inhaltsangabe war es, die einige Kritiker brachten – sagt er zu seinen
Schauspielern – die Leute fühlen sich durch den Stoff angezogen.«
Das ist auch wieder
Berlin, das sachliche.
Das
Burgtheater hat sich bekanntlich einige Jahre
Zeit gelassen, das Drama vom »
Einsamen Weg« zu
bringen. Eines Tages fahren Dr.
Schnitzler und
Dr.
Brahm auf den
Semmering, dem Freunde
Josef
Kainz einen Krankenbesuch
zu machen. Er spricht nicht von sich, nicht von seiner Krankheit, sondern nur vom
Herrn
von Sala. Er muß ihn
spielen! Baron
Berger, der damalige Direktor,
nimmt’s gern zur Kenntnis! Niemand ahnte noch, daß der Künstler daran war, nicht als
Herr
von Sala, sondern als
Josef Kainz den einsamen Weg zu gehen, den
letzten, zum Grabe. . . Als es dann
1914
(Direktionszeit
Thimig) zur Erstaufführung der Dichtung im
Burgtheater kommt, da
erscheint
Harry Walden als
Sala. Das war wohl der charmanteste Egoist,
den die
Wiener Damenwelt je gesehen! Die ganze
Vorstellung war fein abgestimmt, die Zuschauer genossen das zarte, träumerische Stück
wie hinter einem Vorhang feinsten Flors. Das war gut so! Die Besetzung durchaus
vornehm:
Devrient spielte den
Fichtner,
Paulsen den Professor
Wegrath, der gegenwärtige
Direktor
Herterich den Arzt
Reumann, die
Wohlgemuth reizend als
Johanna und die
Bleibtreu gab die so eigentlich doch heitere,
wienerische Bohemienne
Irene Herms! Es war ein Debüt der Tragödien nach der Vergangenheit, die dem
lustigen Volksstück gehörte.
Vor kurzem war es noch
Herterichs Absicht, den
»
Einsamen Weg« wieder dem Spielplan des
Burgtheaters einzuverleiben. Jetzt, nach
Bassermanns Gastspiel, wird er sich’s wohl
überlegt haben. Dafür wird er, so heißt es,
Schnitzlers rote Groteske »
Der grüne
Kakadu« neu inszenieren. Es ist ein Meisterwerk des Dichters, unübertroffen
schon allein in der blitzenden Technik, Schein und Wirklichkeit, Spiel und Geschehen
derart miteinander zu verquicken, daß man schließlich nicht weiß, was Scherz ist und
was Ernst, was Witz und was Tod! Denn sie schreiten alle im gleichen Gewand
einher.
Daß dieses kühne
Stück mitten
im ruhigsten Schlafe der Monarchie –
1899 – in den kaiserlichen Palast auf dem
Franzensring hat einschlüpfen, daß es ganze acht Aufführungen hat erleben
können, ehe man’s
verbot – man hat’s
damals nicht begriffen. Spielt dieser klassische Sketch doch am Abend des
14. Juli 1789 zu
Paris, am Abend
der
Bastilleerstürmung. Ruft man doch am Schluß
die Revolution aus! Doch nein – es gibt der Schrecken noch mehr:
In der unterirdischen Schenke
Prospères treffen einander allnächtlich Verbrecher, Komödianten und viele
Damen und Herren des höchsten Adels von
Paris zu
gemeinsamer Unterhaltung sich gegenseitig mit »Schwein« und »Kanaille« anzureden,
das
besitzt für die degenerierte Aristokratie einen schauerlichen Reiz. Eines Nachts muß
der berühmte Komödiant
Henry,
verheiratet mit seiner schönen Kollegin
Leocadie, durch einen Stegreifvortrag zur Unterhaltung der
wirklich höchst gemischten Gesellschaft beitragen. Er stellt sich hin und deklamiert
eine schauerliche Geschichte. Inhalt: Wie er den Herzog
Emile von Cadignan erdolcht hat. Wie
gesagt, es ist Phantasie, Erfindung, was er erzählt. Als aber der Herzog wirklich
im
Keller erscheint und ihm tatsächlich als der Liebhaber
Leocadies bezeichnet wird, stürzt Henry
rasend auf den Herzog los und erdolcht ihn. Eine Marquise ist ganz entzückt, weil
man
doch nicht jeden Tag einen wirklichen Herzog könne ermorden sehen. In diesem
Augenblick kommt von der Straße herab die Nachricht von der Erstürmung der
Bastille. Unter den Rufen der Menge: »Es lebe die
Freiheit!« fällt der Vorhang.
Parterre und Logen waren bei der Erstaufführung einfach starr. Galt doch das
Burgtheater damals so eigentlich als Domäne des
Hofes und des Adels. Und nun sahen sich beide gehöhnt, nicht nur von der Bühne aus,
sondern auch von der Galerie – weil sie wahnsinnig applaudierte. Zu jener Zeit durfte
man so eigentlich nicht öffentlich berichten, wie es zur Annahme des Stückes kommen
konnte. Es wußten’s auch nur die wenigsten. Heute aber kann man’s erzählen:
Die kaiserliche Zensur der Hofbühnen urteilte selbstverständlich absolut – als
höchste, als inappellable Instanz. Doch ihr Absolutismus war gemindert durch die
künstlerische Laune einer liebenswürdigen Künstlerin, die damals dem
Burgtheater angehörte. Es war
Katharina Schratt. Vor ihrem Einfluß bei Hofe beugte sich der
jeweilige Sektionschef des Auswärtigen Amtes, der als Zensor waltete. Frau
Schratt nun hatte
Schnitzler eine prächtige Rolle zu verdanken, mit der sie ein
Jahr vorher einen großen Erfolg erzielt hatte. Es war die
Toni Weber in
Schnitzlers Drama »
Das
Vermächtnis«.
Auch die Aufführung dieses
Stückes hat seinerzeit große Verwunderung erregt. Ein paar Jahre vorher
(
1892) hatte
Fuldas Schauspiel
»
Die Sklavin« nach zwei Aufführungen auf höchsten Befehl
verschwinden müssen, weil es mit dem Eheproblem spielte. Die Sklavin war nämlich eine
Ehesklavin. Und nun,
1898, ließ man dieses »
Vermächtnis« aufführen, das mit aller Wärme um
Mitleid für jene Frauen bat, die Mütter geworden, ohne zum Besitz des goldenen Ringes
zu gelangen. Ein Stück, das alle Frauen ergriff:
Ein junger Mann aus guter Familie stürzt unglücklich vom Pferde und muß sterben. In
letzter Stunde vertraut er der Mutter ein Herzensgeheimnis an:
Toni Weber, ein braves Mädchen, sei seine
Geliebte. Sie habe ihm einen Knaben geboren, jetzt vier Jahre. Die Eltern mögen
Mutter und Kind ins Haus nehmen. . . Es geschieht. Man
behandelt
Toni anfangs warm,
dann immer kühler und, als das Kind stirbt, kalt. Die Arme geht schließlich aus
Verzweiflung in den Tod. Franziska aber, die liebe, gutherzige Schwester des
dahingegangenen Geliebten, tritt für sie ein und hält am Schlusse sogar eine
Ansprache, die sanft um Duldung bat für die Opfer der . . .
freien Liebe. Selbstverständlich: dieses Wort wurde nicht ausgesprochen, nur
angedeutet. Die
Hohenfels sprach dieses
Plädoyer so glänzend, daß die kirchenfrömmsten Damen weinten. Es gab stärksten
Applaus! Denn es galt Mitleid zu haben mit jener
Toni, die Frau
Schratt spielte.
Seither stand
Schnitzler hoch in der Gunst der
Künstlerin, die ihrerseits wieder hoch in der Gunst der höchsten Hofkreise stand. Also war der Herr
Sektionschef-Zensor von vornherein über dieses verbrecherische Stück »
Kakadu« nicht empört. Auch hatte Direktor
Schlenther die Zensurprüfung klug eingefädelt.
Er bat
Schnitzler, das
Stück
in Gegenwart des Hofrates
Wlassack und des
Zensors vorzulesen. Nun denn – so
schlecht wie damals soll der Dichter – das erzählte man sich – noch nie gelesen
haben! So völlig talentlos. Er brachte nämlich gerade die krassesten Effekte so
sanft, daß sie wie Gemütlichkeiten sich ausnahmen. Keine Kanone klang stärker als
der
Schuß einer Kinderpistole.
Was die Zensur schließlich verlangte? Die Menge solle nur viermal »Es lebe die
Freiheit!« rufen, statt achtmal. Die obgenannte
Marquise sollte von dem Herzogmord nicht entzückt sein. Man
gab’s zu. Die Hauptforderung des
Zensors aber, man möge jenen dummen Polizeikommissär streichen, der noch immer an einen
Komödiantenspaß glaubt, als der Herzog bereits erstochen ist – dieses Attentat konnte
abgewehrt werden, um den drolligen Patron wäre es wirklich schade gewesen.
Welche
Dame des Hofes die
schließliche Unterdrückung des Stückes durchsetzte – man hat’s nie bestimmt erfahren.
Wohl aber erfuhr man die eigentliche Ursache der hohen Empörung. Nicht die Revolution
war’s, nicht der Herzogsmord, nicht der Schatten
Maria Antoinettes, der hinter allen solchen Stücken auftaucht. Nein – ein
brillantbesetztes Damenstrumpfband war’s, das ein nobler Spelunkengast der Dame
schenken will, die ihm am freundlichsten zulächelt. An dieser Konkurrenz will sich
nun auch unsere lustige Frau
Marquise beteiligen.
Eine wirkliche Marquise darf aber nicht so lustig sein.
Das Stück mußte fallen.
Julius Stern.