Literarische Legendenbildung. Eine Richtigstellung, 10. 1. 1926

Literarische Legendenbildung.
Eine Richtigstellung.
Von
Dr. Arthur Schnitzler.
Wir erhalten von Dr. Arthur Schnitzler zu dem kürzlich im »Neuen Wiener Journal« veröffentlichten Aufsatz »Deutsche Dichtung in Japan« von Dr. Erwin Stranik nachfolgende Zuschrift, die nicht bloß einen sachlichen Irrtum berichtigt, sondern auch literarhistorische bemerkenswerte Feststellungen enthält. (Anm. d. Red.)
So ungern ich Redaktionen, Publikum und mich selbst mit Richtigstellungen bemühe, es gibt doch immer wieder Fälle, in denen man sich zu dergleichen veranlaßt fühlt, insbesondere, wenn es gilt, einer literarischen Legendenbildung vorzubeugen.
Hiemit nehme ich Bezug auf einen am 3. d. M. im »Neuen Wiener Journal« erschienenen Artikel »Deutsche Dichtung in Japan«, in dem sich unter anderem folgende Stelle findet: »Während Wedekind durch sein Drama ›Frühlingserwachen‹ eigentlich nur zu den absolut Sensationsgierigen sprach, vermochte Schnitzler der erklärte Liebling Japans zu werden. Beinahe alle seine Werke wurden übersetzt, nur gerade die größten nicht. Allerdings besaß Schnitzler neben seiner Kunst auch Glück. Durch Zufall lernte er als Student bereits den Japaner Rintaro Mori kennen, der bis zu seinem Tode im Herbst 1922 sich selbstlos der Propagierung Schnitzlers widmete.« Nun kann ich mich durchaus nicht erinnern, in meiner Studentenzeit überhaupt einen Japaner kennen gelernt zu haben. Später, in meiner Spitalszeit sind mir natürlich manche besondere Mediziner begegnet. Ganz bestimmt aber weiß ich, daß ich als Student und als junger Arzt von gelegentlichen poetischen Versuchen nur intimsten Freunden Mitteilung gemacht habe und daß damals gewiß kein Japaner die Möglichkeit hatte, solche Versuche kennen zu lernen, ins Japanische zu übersetzen und sich ihrer Propagierung zu widmen – um so mehr, als ich erst viel später literarische Arbeiten zu veröffentlichen begann.
Erst vor fünfzehn bis zwanzig Jahren dürfte – wohl als erstes meiner Stücke – »Liebelei« in japanischer Uebersetzung erschienen sein. Ein japanischer Arzt namens I. Kubo war so freundlich, mir persönlich ein Exemplar zu überbringen und nannte mir den Namen des Uebersetzers, den er mir auf mein Ersuchen hin auch in das Buch hineinschrieb. Bei dieser Gelegenheit war es wohl, daß ich den Namen Mori zum erstenmal gehört habe. Auch in den darauffolgenden Jahren erhielt ich manchmal Besuch von Japanern, die mir von dem wachsenden Interesse ihrer Landsleute für meine Werke Kunde brachten; Briefe japanischer Schriftsteller bestätigten mir das gleiche, doch erst im Jahre 1922 erhielt ich durch gütige Vermittlung der japanischen Gesandtschaft einige Bände zugesandt, die Uebersetzungen meiner Werke enthielten: einen Band Novellen (»Abschied«, »Die Toten schweigen«, »Die Fremde«, »Der blinde Geronimo«, »Das Tagebuch der Redegonda«), übersetzt von Yamamato, und einen Band Dramen (»Anatols Hochzeitsmorgen«, »Der grüne Kakadu«, »Die letzten Masken« »Der einsame Weg« und »Komteß Mizzi«), übersetzt von Kusimayana, endlich einen Band, in dem nur meine Novelle »Sterben« enthalten war, übersetzt von Mori, offenbar demselben, der seinerzeit »Liebelei« ins Japanische übertragen hatte.
So wie es also den Tatsachen kaum entspricht, daß ich die Verbreitung meiner Werke in Japan den propagandistischen Bemühungen einer Bekanntschaft aus meinen Studentenjahren verdanke (wenn ich auch nicht daran zweifle, daß jener mir persönlich, soweit ich mich zu entsinnen vermag, leider niemals bekannt gewordene Rintaro Mori mein literarisches Ansehen in Japan lebhaft gefördert hat), für ebenso unwahrscheinlich halte ich es, daß meine Werke in Japan hauptsächlich deshalb Interesse finden sollten weil – wie Ihr geschätzter Mitarbeiter in dem obenzitierten Artikel schreibt: »die ganze absterbende Wiener sentimentale, ein bißchen weinerliche Kultur, die in seinen Dramen und Novellen festgehalten zu haben ja Schnitzlers größtes Verdienst beinhaltet, leise an die Traurigkeit des asiatischen Buddhismus anklingt.«
Im übrigen hege ich die bestimmte Hoffnung, daß Ihr geschätzter Mitarbeiter sich von der »Traurigkeit des asiatischen Buddhismus« eine klarere Vorstellung zu machen vermag, als ich von dem, was er unter der »weinerlichen Wiener Kultur« versteht.
Es wird mich freuen, wenn Sie dieser Zuschrift in Ihrem Blatte Aufnahme gewähren wollen.
Arthur Schnitzler.