Die Leichenfeier für Otto Brahm, 2. 12. 1912

Die Leichenfeier für Otto Brahm.
(Telegramm der »Neuen Freien Presse«.)
Berlin, 2. Dezember.
In der Urnenhalle des neuerbauten Berliner Krematoriums fand gestern vormittags um 10 Uhr die Trauerfeier für Otto Brahm statt. Die Feuerbestattung erfolgt in Hamburg, denn das preußische Gesetz, in welchem die preußische Regierung die Leichenverbrennung zwar endlich erlaubt, zugleich aber den reaktionären Parteien das Zugeständnis gemacht hat, sie nach Möglichkeit zu erschweren, enthält die Bestimmung, daß die Leiche nur verbrannt werden darf, wenn der Verstorbene dies in einer beglaubigten Urkunde ausdrücklich verfügt hat. Nun hat zwar Otto Brahm die Verbrennung gewünscht, aber eine beglaubigte Urkunde liegt darüber nicht vor. So kann denn die Feuerbestattung in Preußen nicht stattfinden, und muß in Hamburg erfolgen, wo das preußische Gesetz keine Geltung hat. Die Trauerfeier aber wurde in Berlin veranstaltet.
Die Urnenhalle auf dem alten städtischen Friedhof, in der sie stattfand, ist ein vortreffliches Werk der modernen Berliner Baukunst, die seit etwa einem Jahrzehnt Hervorragendes zu leisten beginnt. Eine gewisse Feierlichkeit der architektonischen Form im Verein mit der dürsteren Färbung des Gesteins bringt im Inneren wie im Aeußern des Ge|bäudes den ernsten Zweck zum Ausdruck, dem es dient. In der Halle war der Sarg aufgestellt, von Blumen und Kränzen gänzlich bedeckt; ringsum brannten Lichter. In der ersten Reihe saß als nächster Hinterbliebener Otto Brahms Bruder, der Schauspieler Ludwig Brahm aus Hamburg, mit seiner Gemahlin. Er war tiefbewegt, denn die beiden Brüder waren einander mit großer Liebe zugetan. Justizrat Jonas, der nächste Freund des Verstorbenen, hatte seinen Platz neben den Familienangehörigen, und auch Gerhart Hauptmann saß in der ersten Reihe der Leidtragenden. Die Trauerversammlung war überaus zahlreich, trotz der für die Großstadt verhältnismäßig frühen Stunde und trotz der weiten Entfernung des Krematoriums vom Zentrum der Stadt. Was nur irgend zur Berliner Theaterwelt gehört, war erschienen, Direktoren, Schauspieler und Schauspielerinnen. Vollzählig hatte sich das Ensemble des Lessing-Theaters eingefunden. Die Damen alle in Trauerkleidung. Anwesend waren auch alle bekannten Persönlichkeiten des literarischen Berlin wie Sudermann, Blumenthal sowie viele andere, und außer Gerhart Hauptmann erwiesen auch noch andere Autoren, deren Werke Otto Brahm mit Vorliebe aufgeführt hat, ihm die letzte Ehre. Die modernen Dramatiker Oesterreichs vertrat Artur Schnitzler. Die Trauerversammlung füllte den unteren Raum der Halle und die beiden Galerien, die sich darüber hinziehen und in deren Hintergrund die Urnen stehen.
Die Trauerfeier verlief schlicht und würdig: sie begann mit Harmoniumspiel und Gesang. Dann folgten die Redner, die alle nur in möglichst gedrängten Worten von dem Verstorbenen Abschied nahmen. Harmoniumspiel und Gesang machten den Schluß. Was die einzelnen Ansprachen betrifft, so soll man gewiß über Reden bei einer Trauerfeier kein Urteil abgeben, aber auch eine Trauerversammlung empfängt Eindrücke und diese Eindrücke hörte man später dahin formulieren, daß Gerhart Hauptmanns Rede sich vielleicht wärmer lesen wird als sie sich anhörte, daß Artur Schnitzler sich der Aufgabe im Namen von Neu-Oesterreich, wie er selbst es nannte, zu sprechen in einfacher und vornehmer Form entledigte und daß diejenigen Worte, die am meisten zu Herzen gingen, eigentlich der künstlerische Gegner des Verstorbenen, der Generalintendant Graf Hülsen-Haeseler fand.
Trauerrede Gerhart Hauptmanns.
Gerhart Hauptmann ergriff zuerst das Wort und sagte folgendes: »Der hier liegt, ist nicht der erste Freund, den ich verloren habe, nicht der erste ausgezeichnete Mensch, den die Welt verliert, aber solche Verluste sind für die zurückbleibenden Ereignisse von mysteriöser Tiefe immer gleich überraschend, verwirrend und schmerzlich. Indem ich hier rede, in Gegenwart eines Toten, der noch vor ganz kurzer Zeit eine volle und ganz lebendige Gegenwart war, bin ich, wie jemand, dem ein Teil seines Wesens entrissen wurde und dessen Wunde noch offen ist. Davon gebe ich Zeugnis; ich sage ganz einfach, ein wie wichtiger Teil meiner Seele mit diesem Manne verbunden war und durch sein Scheiden versehrt wurde. Wir waren verbunden durch eine verwandte Innerlichkeit und durch äußere Umstände. Das Werk dieses Mannes war zum Teil mein Werk und mein Werk war zum Teil das Werk dieses Mannes. Durch nahezu 25 Jahre hielten wir innerlich und äußerlich in dem wunderlichen Kriege dieses Lebens zusammen und kämpften für eine Sache, der wir Schritt für Schritt Boden gewannen. Waren auch andere gleichwertige Kämpfer mit uns im Kampf verbunden, so gab es etwas, das uns noch tiefer verband; ich darf es nennen: das Ideal. Dieser Mensch, Mann und Freund, war deutscher Idealist in reinstem Sinne. Wenn wir ein Bild für das Wesen einsetzen, so kann man von einer Standarte des Ideals reden, die er hoch hielt. Ein solches Feldzeichen kann schwanken, ja sinken, ohne Unehre, sofern ihr Träger es festhält, das heißt, nicht wegwirft. Der hier liegt, hat die Standarte fest gehalten und niemals weggeworfen.
Die hier Versammelten kennen ihn. Ich habe nicht nötig, Beweise für mein Zeugnis beizubringen. Wir wissen, daß diesen tief wertvollen Mann die besondere deutsche Eigenschaft des Idealismus auszeichnete. Nicht eines vagen Idealismus, sondern eines fest begründeten, von Ueberlegung und Umsicht getragenen, eines mit Mut und mit Zähigkeit gepaarten Idealismus. Ich glaube nicht, daß in der Geschichte des deutschen Theaters eine solche Verbindung von praktischer Kraft und ideeller Kraft jemals vor ihm dagewesen ist. Er zwang das Theater zu einer ernsten, echten und lebendigen Kunst, er brachte es dem Leben und ihm das Leben nahe in einer Weise, wie es bis dahin niemals geschehen ist. Und in Brahm verkörperte sich eine andere deutsche Eigenschaft: die oft gerühmte, weniger oft wirklich anzutreffende deutsche Treue. Nicht nur, daß er sie der Sache hielt, er hielt sie auch der Person. Das wissen alle, die ihn gekannt haben und die seine feste Treue erfahren haben. Er nahm Schwächen in Kauf, um der Treue willen, und er stützte Schwankende, Strauchelnde und Mutlose. Sein Leben war kein leichter Dienst. Sein Beruf war schwer. Es mag Leute geben, die einen Kampf für die Würde des deutschen Theaters nicht für wichtig genug ansehen, um an seinem Ernst zu glauben. Es ist sein Verdienst, seine Wichtigkeit erkannt und seine Person dafür eingesetzt zu haben. Er belud sich deshalb mit Sorgen, Mühen und Aufgaben aller Art, unternahm Feldzüge, erlebte Siege und Niederlagen, Erfüllungen und Enttäuschungen weit ab von dem Dasein, wie es der ruhige Bürger in Bequemlichkeit führen kann. Das Verantwortlichkeitsgefühl eines bedeutenden Staatsmannes, dem das Geschick seines Vaterlandes in die Hand gegeben ist, kann nicht größer sein. Er bedarf keiner größeren Summe von Arbeit, Ausdauer, Umsicht und Tapferkeit. Der Mann, der hier liegt, hat einen wahren Kulturkampf ritterlich durchgefochten.
Er ehrte sich selbst durch diesen Kampf. Er mehrte den deutschen Kulturbesitz, und dieses Bewußtsein genügte ihm. Rücksicht auf andere äußere Ehre kannte er nicht. Aber der König von Norwegen hat gerade darum diesen Ritter von Geist, diesen Ritter von deutschem Geist zum Ritter des Sankt Olaf-Ordens geschlagen.
Wir aber, wie ehren wir diesen Mann? Indem wir sein lebendiges Werk erhalten und fortsetzen! Das Werk, dessen Bedeutsamkeit sich dem Betrachter immer tiefer und tiefer erschließt. Es hat auf einer gewissen Ebene die Einheit von Kunst und Volk zum Ereignis gemacht. Das Theater ist in ihm gleichsam zum Atmungsorgan der Volksseele geworden. Er gab dem Abseitigen, eigentlich Volks- und Weltfremden die schlichte Kraft einer naturnotwendigen Funktion. Wir danken dir, lieber Brahm, für alles, was du so hingebungsvoll für deutsche Art und Kunst geleistet hast, und ich danke dir für deine niemals schwankende Freundestreue. Ich sage dir ade, ade, du ausgezeichneter, treuer Mensch, Mann und Freund.«
Die Trauerrede Artur Schnitzlers.
Die Rede Artur Schnitzlers bei der Trauerfeier für Otto Brahm hatte ungefähr folgenden Wortlaut:
»Es ist heute gerade eine Woche, daß ich Otto Brahm das letztemal gesehen habe. Es war ein Sonntag wie heute, heller und schöner als heute. Er kam eben von einem Spaziergang zurück, seinem allerletzten. Denn für den nächsten Tag stand ihm der schwere Gang bevor, von dem er in sein Heim nicht mehr wiederkehren sollte, und auch noch in dieser Stunde, die schon von schweren Schatten umdunkelt war, zeigte er für allerlei Angelegenheiten, die mehr mich berührten, als ihn und ihm in diesem Augenblicke recht geringfügig erscheinen mochten, das gleiche teilnehmende Interesse wie auch sonst. Und als ich ihn verließ mit bösen Ahnungen, da ging mir die ganze Zeit unserer Bekanntschaft, unseres Verbundenseins durch den Sinn, und ich dachte insbesondere an den Anfang unserer Beziehungen, dachte an eine kleine Feier, die an seinem vierzigsten Geburtstage stattfand und bei der ich das erstemal öffentlich vor einem kleinen Kreise das Wort an ihn gerichtet habe. Es galt damals, ihm zu danken für das schöne Verständnis, das er einem meiner ersten Werke entgegengebracht hatte. Und heute an seinem Sarg stehe ich wieder da, um ihm zu danken. Heute nicht für mich allein, sondern auch im Namen meiner Landsleute, im Namen jenes neuen literarischen Oesterreich, dem er so viel Verständnis und Liebe entgegengebracht hat. In den Anfängen manchmal vielleicht mehr Liebe als die Heimat selbst.
Mir persönlich ist er ein Freund gewesen, wie einem im Leben nur wenige beschieden sind. Und läge hier auch nicht der Otto Brahm, der dem deutschen Theater und der deutschen Kulturgeschichte angehört, den Freund, den wunderbaren Menschen könnte mein Herz nie vergessen. Fahre wohl, Otto Brahm
Die Rede des Grafen Hülsen-Haeseler.
Generalintendant Graf Hülsen-Haeseler hielt im Namen des Bühnenvereines die folgendes Rede:
»In tiefer, ernster Trauer treten auch wir vom Deutschen Bühnenverein hier an diese Bahre. Gilt es doch, Abschied zu nehmen von einem langjährigen treuen Kollegen, der uns viel gewesen ist als Künstler wie als Mensch. Achtzehn Jahre hindurch hat er unter uns gewirkt in stiller Arbeit mit großem Willen und Können, mit seinem klugen Rat und seiner reichen Erfahrung, mit seiner überzeugenden, stets maßvollen Beredsamkeit, vor allem aber mit der Macht seiner offenen, schlichten Persönlichkeit. Eine Natur wie er, aufrecht, bescheiden, stolz, nie eigensinnig, aber festhaltend an dem, was sein klug und kühn erwägender Sinn für richtig erkannt, mußte er in unserem Verein das Feld für eine reiche, segenbringende Arbeit, mußte er herzlich dankbare Freunde finden. Waren es doch gerade diese seine Charaktereigenschaften, sein reiches Künstler- und sein freies Menschentum, die ihn uns allen besonders nahebrachten. Gar manches Saatkorn, das er warf, wird aufgehen, seine Früchte tragen und sprechend zeugen für sein Wirken und er wird nicht tot sein, denn er wird leben in unserem Gedächtnis. Und wenn wir diesen Kranz, den aufrichtige Dankbarkeit ihm als unseren letzten Gruß gewunden, hier heute an der Bahre niederlegen, so tun wir dies mit tiefer Wehmut im Herzen und mit der stummen Frage an das Schicksal, warum es der Besten einen zu früh aus unserer Mitte riß. Friede seiner Asche! Ehre seinem Andenken!«
Es sprachen noch für die Schauspieler des Lessings-Theaters Emanuel Reicher, ferner Dr. Paul Schlenther. Unter den Klängen des Chors »Ruhe sanft!« endete die Feier.