Die Leichenfeier für
Otto Brahm.
(Telegramm der »
Neuen Freien
Presse«.)
In der Urnenhalle des neuerbauten
Berliner
Krematoriums fand gestern vormittags um 10 Uhr die Trauerfeier
für
Otto Brahm statt. Die Feuerbestattung erfolgt in
Hamburg, denn das
preußische Gesetz, in
welchem die
preußische Regierung die
Leichenverbrennung zwar endlich erlaubt, zugleich aber den reaktionären Parteien das
Zugeständnis gemacht hat, sie nach Möglichkeit zu erschweren, enthält die Bestimmung,
daß die Leiche nur verbrannt werden darf, wenn der Verstorbene dies in einer
beglaubigten Urkunde ausdrücklich verfügt hat. Nun hat zwar
Otto Brahm die Verbrennung gewünscht, aber eine beglaubigte
Urkunde liegt darüber nicht vor. So kann denn die Feuerbestattung in
Preußen nicht stattfinden, und muß in
Hamburg erfolgen, wo das
preußische Gesetz keine Geltung hat. Die Trauerfeier aber wurde in
Berlin veranstaltet.
Die
Urnenhalle auf dem alten städtischen
Friedhof, in der sie stattfand, ist ein vortreffliches Werk der modernen
Berliner Baukunst, die seit etwa einem Jahrzehnt
Hervorragendes zu leisten beginnt. Eine gewisse Feierlichkeit der architektonischen
Form im Verein mit der dürsteren Färbung des Gesteins bringt im Inneren wie im
Aeußern des Ge
|bäudes den ernsten Zweck zum Ausdruck, dem es dient. In der Halle
war der Sarg aufgestellt, von Blumen und Kränzen gänzlich bedeckt; ringsum brannten
Lichter. In der ersten Reihe saß als nächster Hinterbliebener
Otto Brahms Bruder, der Schauspieler
Ludwig Brahm aus
Hamburg, mit seiner
Gemahlin. Er war tiefbewegt, denn die beiden Brüder waren einander mit großer Liebe
zugetan. Justizrat
Jonas, der nächste Freund des Verstorbenen, hatte seinen Platz neben den
Familienangehörigen, und auch
Gerhart Hauptmann saß in der ersten Reihe der Leidtragenden. Die Trauerversammlung war überaus
zahlreich, trotz der für die Großstadt verhältnismäßig frühen Stunde und trotz der
weiten Entfernung des
Krematoriums vom Zentrum
der Stadt. Was nur irgend zur
Berliner
Theaterwelt gehört, war erschienen, Direktoren, Schauspieler und Schauspielerinnen.
Vollzählig hatte sich das Ensemble des
Lessing-Theaters eingefunden. Die Damen alle in Trauerkleidung. Anwesend
waren auch alle bekannten Persönlichkeiten des literarischen
Berlin wie
Sudermann,
Blumenthal sowie viele andere, und außer
Gerhart Hauptmann erwiesen auch noch andere Autoren, deren Werke
Otto Brahm mit Vorliebe aufgeführt hat, ihm die letzte Ehre.
Die modernen Dramatiker
Oesterreichs vertrat
Artur Schnitzler. Die Trauerversammlung füllte den unteren Raum der Halle und die beiden
Galerien, die sich darüber hinziehen und in deren Hintergrund die Urnen stehen.
Die Trauerfeier verlief schlicht und würdig: sie begann mit Harmoniumspiel und
Gesang. Dann folgten die Redner, die alle nur in möglichst gedrängten Worten von dem
Verstorbenen Abschied nahmen. Harmoniumspiel und Gesang machten den Schluß. Was die
einzelnen Ansprachen betrifft, so soll man gewiß über Reden bei einer Trauerfeier
kein Urteil abgeben, aber auch eine Trauerversammlung empfängt Eindrücke und diese
Eindrücke hörte man später dahin formulieren, daß
Gerhart Hauptmanns Rede sich vielleicht wärmer lesen wird als sie sich anhörte, daß
Artur Schnitzler sich der Aufgabe im Namen von Neu-
Oesterreich, wie er selbst es nannte, zu sprechen in einfacher und vornehmer
Form entledigte und daß diejenigen Worte, die am meisten zu Herzen gingen, eigentlich
der künstlerische Gegner des Verstorbenen, der Generalintendant Graf
Hülsen-Haeseler fand.
Gerhart Hauptmann ergriff zuerst das Wort und sagte folgendes: »Der hier liegt, ist nicht der
erste Freund, den ich verloren habe, nicht der erste ausgezeichnete Mensch, den die
Welt verliert, aber solche Verluste sind für die zurückbleibenden Ereignisse von
mysteriöser Tiefe immer gleich überraschend, verwirrend und schmerzlich. Indem ich
hier rede, in Gegenwart eines Toten, der noch vor ganz kurzer Zeit eine volle und
ganz lebendige Gegenwart war, bin ich, wie jemand, dem ein Teil seines Wesens
entrissen wurde und dessen Wunde noch offen ist. Davon gebe ich Zeugnis; ich sage
ganz einfach, ein wie wichtiger Teil meiner Seele mit diesem Manne verbunden war und
durch sein Scheiden versehrt wurde. Wir waren verbunden durch eine verwandte
Innerlichkeit und durch äußere Umstände.
Das Werk dieses Mannes
war zum Teil mein Werk und mein Werk war zum Teil das Werk dieses Mannes.
Durch nahezu 25 Jahre hielten wir innerlich und äußerlich in dem wunderlichen Kriege
dieses Lebens zusammen und kämpften für eine Sache, der wir Schritt für Schritt Boden
gewannen. Waren auch andere gleichwertige Kämpfer mit uns im Kampf verbunden, so gab
es etwas, das uns noch tiefer verband; ich darf es nennen:
das
Ideal. Dieser Mensch, Mann und Freund, war deutscher Idealist in reinstem
Sinne. Wenn wir ein Bild für das Wesen einsetzen, so kann man von einer
Standarte des Ideals reden, die er hoch hielt. Ein solches Feldzeichen kann
schwanken, ja sinken, ohne Unehre, sofern ihr Träger es festhält, das heißt, nicht
wegwirft. Der hier liegt, hat die Standarte fest gehalten und niemals
weggeworfen.
Die hier Versammelten kennen ihn. Ich habe nicht nötig, Beweise für mein Zeugnis
beizubringen. Wir wissen, daß diesen tief wertvollen Mann die besondere deutsche
Eigenschaft des Idealismus auszeichnete. Nicht eines vagen Idealismus, sondern eines
fest begründeten, von Ueberlegung und Umsicht getragenen, eines mit Mut und mit
Zähigkeit gepaarten Idealismus. Ich glaube nicht, daß in der Geschichte des deutschen
Theaters eine solche Verbindung von praktischer Kraft und ideeller Kraft jemals vor
ihm dagewesen ist. Er zwang das Theater zu einer ernsten, echten und lebendigen
Kunst, er brachte es dem Leben und ihm das Leben nahe in einer Weise, wie es bis
dahin niemals geschehen ist. Und in
Brahm
verkörperte sich eine andere deutsche Eigenschaft: die oft gerühmte, weniger oft
wirklich anzutreffende deutsche Treue. Nicht nur, daß er sie der Sache hielt, er
hielt sie auch der Person. Das wissen alle, die ihn gekannt haben und die seine feste
Treue erfahren haben. Er nahm Schwächen in Kauf, um der Treue willen, und er stützte
Schwankende, Strauchelnde und Mutlose. Sein Leben war kein leichter Dienst. Sein
Beruf war schwer. Es mag Leute geben, die einen Kampf für die Würde des deutschen
Theaters nicht für wichtig genug ansehen, um an seinem Ernst zu glauben. Es ist sein
Verdienst, seine Wichtigkeit erkannt und seine Person dafür eingesetzt zu haben. Er
belud sich deshalb mit Sorgen, Mühen und Aufgaben aller Art, unternahm Feldzüge,
erlebte Siege und Niederlagen, Erfüllungen und Enttäuschungen weit ab von dem Dasein,
wie es der ruhige Bürger in Bequemlichkeit führen kann. Das Verantwortlichkeitsgefühl
eines bedeutenden Staatsmannes, dem das Geschick seines Vaterlandes in die Hand
gegeben ist, kann nicht größer sein. Er bedarf keiner größeren Summe von Arbeit,
Ausdauer, Umsicht und Tapferkeit.
Der Mann, der hier liegt, hat
einen wahren Kulturkampf ritterlich durchgefochten.
Er ehrte sich selbst durch diesen Kampf. Er mehrte den deutschen Kulturbesitz, und
dieses Bewußtsein genügte ihm. Rücksicht auf andere äußere Ehre kannte er nicht. Aber
der
König von Norwegen hat gerade darum diesen
Ritter von
Geist, diesen Ritter von deutschem Geist zum Ritter des
Sankt Olaf-Ordens geschlagen.
Wir aber, wie ehren wir diesen Mann? Indem wir sein lebendiges Werk erhalten und
fortsetzen! Das Werk, dessen Bedeutsamkeit sich dem Betrachter immer tiefer und
tiefer erschließt. Es hat auf einer gewissen Ebene die Einheit von Kunst und Volk
zum
Ereignis gemacht. Das Theater ist in ihm gleichsam zum Atmungsorgan der Volksseele
geworden. Er gab dem Abseitigen, eigentlich Volks- und Weltfremden die schlichte
Kraft einer naturnotwendigen Funktion. Wir danken dir, lieber
Brahm, für alles, was du so hingebungsvoll für deutsche Art
und Kunst geleistet hast, und ich danke dir für deine niemals schwankende
Freundestreue. Ich sage dir ade, ade, du ausgezeichneter, treuer Mensch, Mann und
Freund.«
Die Rede
Artur Schnitzlers bei der Trauerfeier für
Otto Brahm hatte
ungefähr folgenden Wortlaut:
»Es ist heute gerade eine Woche, daß ich
Otto
Brahm das letztemal gesehen habe. Es war ein Sonntag wie heute, heller und
schöner als heute. Er kam eben von einem Spaziergang zurück, seinem allerletzten.
Denn für den nächsten Tag stand ihm der schwere Gang bevor, von dem er in sein Heim
nicht mehr wiederkehren sollte, und auch noch in dieser Stunde, die schon von
schweren Schatten umdunkelt war, zeigte er für allerlei Angelegenheiten, die mehr
mich berührten, als ihn und ihm in diesem Augenblicke recht geringfügig erscheinen mochten, das gleiche teilnehmende Interesse wie auch sonst. Und
als ich ihn verließ mit bösen Ahnungen, da ging mir die ganze Zeit unserer
Bekanntschaft, unseres Verbundenseins durch den Sinn, und ich dachte insbesondere
an
den Anfang unserer Beziehungen, dachte an eine kleine Feier, die an seinem vierzigsten Geburtstage stattfand und bei der ich das erstemal öffentlich vor einem kleinen Kreise
das Wort an ihn gerichtet habe. Es galt damals, ihm zu danken für das schöne
Verständnis, das er einem meiner ersten Werke entgegengebracht hatte. Und heute an seinem Sarg stehe ich wieder da, um
ihm zu danken. Heute nicht für mich allein, sondern auch
im
Namen meiner Landsleute, im Namen jenes neuen literarischen Oesterreich, dem er so viel Verständnis und Liebe entgegengebracht hat. In
den Anfängen manchmal vielleicht mehr Liebe als die Heimat selbst.
Mir persönlich ist er ein Freund gewesen, wie einem im Leben nur wenige beschieden
sind. Und läge hier auch nicht der
Otto Brahm, der
dem deutschen Theater und der deutschen Kulturgeschichte angehört, den Freund, den
wunderbaren Menschen könnte mein Herz nie vergessen. Fahre wohl,
Otto Brahm!«
Die Rede des Grafen
Hülsen-Haeseler.
Generalintendant Graf
Hülsen-Haeseler hielt im Namen des
Bühnenvereines die
folgendes Rede:
»In tiefer, ernster Trauer treten auch wir vom
Deutschen Bühnenverein hier an diese Bahre. Gilt es doch, Abschied zu nehmen
von einem langjährigen treuen Kollegen, der uns viel gewesen ist als Künstler wie
als
Mensch. Achtzehn Jahre hindurch hat er unter uns gewirkt in stiller Arbeit mit großem
Willen und Können, mit seinem klugen Rat und seiner reichen Erfahrung, mit seiner
überzeugenden, stets maßvollen Beredsamkeit, vor allem aber mit der Macht seiner
offenen, schlichten Persönlichkeit. Eine Natur wie er, aufrecht, bescheiden, stolz,
nie eigensinnig, aber festhaltend an dem, was sein klug und kühn erwägender Sinn für
richtig erkannt, mußte er in unserem Verein das Feld für eine reiche, segenbringende
Arbeit, mußte er herzlich dankbare Freunde finden. Waren es doch gerade diese seine
Charaktereigenschaften, sein reiches Künstler- und sein freies Menschentum, die ihn
uns allen besonders nahebrachten. Gar manches Saatkorn, das er warf, wird aufgehen,
seine Früchte tragen und sprechend zeugen für sein Wirken und er wird nicht tot sein,
denn er wird leben in unserem Gedächtnis. Und wenn wir diesen Kranz, den aufrichtige
Dankbarkeit ihm als unseren letzten Gruß gewunden, hier heute an der Bahre
niederlegen, so tun wir dies mit tiefer Wehmut im Herzen und mit der stummen Frage
an
das Schicksal, warum es der Besten einen zu früh aus unserer Mitte riß. Friede seiner
Asche! Ehre seinem Andenken!«
Es sprachen noch für die Schauspieler des
Lessings-Theaters Emanuel Reicher, ferner Dr.
Paul Schlenther. Unter den Klängen des Chors »Ruhe sanft!« endete die Feier.