Rundfrage über das Eherecht.
Mit Kompromissen lässt sich eine Lösung der wichtigsten Fragen nicht anstreben. Zum
mindesten darf man nicht mit Kompromissen beginnen. Im Verlauf der Durchführung sind
sie ja nicht zu vermeiden.
Eine Reform des Eherechts ohne eine Reform der Ehe ist vollkommen nutzlos.
Alle Schäden und Schwierigkeiten des Eherechtes ergeben sich aus den falschen Voraussetzungen, aus denen der Begriff der Ehe aufgebaut ist.
Es erscheint wünschenswert den Boden umzupflügen, nicht auf unsicherer Erde ein neues
Gebäude aufzurichten, auch nicht darum, ein altes mit neuen Erkern und Türmen zu
versehen.
Die Ehe in ihrer jetzigen Form ist kein eigentlicher Vertrag und doch dürfte sie für
den Staat überhaupt nichts anderes zu bedeuten haben.
Alles was sie ausserdem noch ist, dürfte nichts anderes sein als Privatabmachung
zwischen den zwei Menschen, die die Ehe schliessen. Somit ist jede obligate
Mitwirkung einer kirchlichen Behörde an der Eheschliessung, wenn sie nicht von den
Gatten selbst gewünscht wird, auf das Entschiedenste abzulehnen. Das Zusammenleben
zweier Menschen, die durch einen rechtsgültigen Vertrag ihre gegenseitigen
ökonomischen Beziehungen regeln, hat dem Staat als Ehe zu gelten. Ferner hat jede
Verbindung zweier bis dahin lediger Menschen, der ein Kind entspross, als Ehe zu
gelten. In einem solchen Fall ist |die ökonomische Beziehung und Verpflichtung
der Eltern gegenüber dem Kinde sofort zu regeln und jeder Unterschied zwischen
unehelich und ehelichen Kindern hat vor dem Gesetz durchaus zu fallen.
In dem Vertrag der eheschliessenden Menschen ist festzustellen, was nach Lösung des Vertrages mit dem
Kinde zu geschehen hat.
Der Staat hat sich ausschliesslich um Regelung der Vermögens- und der hygienischen
Fragen zu kümmern, während alles Ethische, Religiöse und Gefühlsmässige Privatsache
zu bleiben hat.
Denn dass auch Ethos und Religion zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht wird,
führt wie tausendjährige Erfahrung zeigt, nicht zu einer Erhöhung der Sittlichkeit
oder zu einer Vertiefung der religiösen Anschauungen, sondern ausschliesslich zu
Machtdünkel mit all seinen Uebergriffen bei den Behörden und zu Heuchelei im privaten
Leben. Ueberdies hat die Einmischung des Staates in ethische und religiöse Fragen
etwas durchaus Verlogenes, da es dem Staat niemals auf Sitte und Weltanschauung im
eigentlichen Sinne ankommt, sondern für ihn immer nur Form und Macht in Frage stehen.