[Camill Hoffmann]: Wien – Berlin. Theaterfragen, 22. 1. 1905

Theaterfragen.
Die von Hugo v. Hofmannsthal einem Berliner Interviewer geäußerten Meinungen über Berliner und Wiener Theaterverhältnisse haben in weiteren Kreisen Interesse erregt. Bei dem Vergleich, den Hofmannsthal zwischen den beiden deutschen Kaiserstädten zog, ist Wien ziemlich schlecht weggekommen. Der Wiener Dramatiker erklärte, Berlin sei die unbestritten erste deutsche Theaterstadt und werde es bleiben. Die Berliner Vorstellungen seien besser als die Wiener, das Berliner Publikum literarischer als das Wiener, das eigentlich mit seinem Interesse mehr an der Persönlichkeit beliebter Schauspieler hänge als am Werk des Dichters. Wir haben nun die Meinungen einiger Theaterleute und Autoren eingeholt, weil es gut ist, wenn über dieses Thema einmal die Beteiligten sich aussprechen. Im nachstehenden geben wir die erhaltenen Antworten:
[…]
Daß Berlin heute die Führung im deutschen Literatur- und Theaterwesen hat, ist – so führt Dr. Artur Schnitzler aus – außer Frage; aber ebenso unfraglich steht heute noch immer das Burgtheater als Schauspielbühne, nicht als literarische Institution, an erster Stelle. Im übrigen weiß man, daß eine ganze Menge von Talenten, darunter auch diejenigen, denen Berlin seinen neuesten Bühnenaufschwung dankt, aus Oesterreich stammt. Also wenn es bei uns schlimmer aussieht als in Berlin, sind nicht die Oesterreicher schuld, sondern Oesterreich. Mit dem, was hier an künstlerischer Tradition und Talent vorhanden ist, könnte Wien vielleicht heute noch die erste deutsche Theaterstadt sein. Warum sie es nicht ist – warum sie sich auch in der nächsten Zeit wahrscheinlich nicht mehr dazu erheben wird –, diesen Gründen nachzugehen, führte zu tief . . .  und zu hoch.