Rundfrage über das Duell, [Mai 1912?, vermutlich unveröffentlicht]

Rundfrage über das Duell.
Die Beziehungen zwischen zwei Menschen, die zu einem Zweikampf führen können, sind sehr vielfältiger Natur und ebenso vielfältig die Bedeutung, die dem Duell als Abschluss der Beziehungen zwischen zwei Menschen zukommt.
Diese menschlichen Beziehungen haben mit allen anderen, wie z. B. Ehe, Liebe, Freundschaft, ausser ihrer Vielfältigkeit auch das gemeinsam, dass den aussenstehenden Menschen ein wirklicher Einblick in sie verwehrt ist und dass daher jede Einmischung von anderer Seite unerlaubt, ungebührlich, ja vielleicht unsittlich erscheint, so lange es sich eben ausschliesslich um diese Beziehungen an sich handelt und nicht um den Einfluss, den sie eventuell auf die Existenz Unbeteiligter zu nehmen imstande sind.
Es ist also nicht nur töricht, sondern sogar unverträglich mit dem Recht der Selbstbestimmung zwei Individuen, deren Beziehungen sich dahin entwickelt haben, dass sie das unabweisbare Bedürfnis empfinden sich mit den Waffen in der Hand gegenüber zu stehen oder einer den andern zu töten, an der Ausführung dieses Vorsatzes zu hindern.
Gegen Duellanten also, die sich freiwillig gestellt und solche, die den Gegner nicht in irgend einer Art zum Duelle gezwungen haben, dürfte von staatswegen niemals etwas unternommen werden, selbst wenn das Duell einen unglücklichen Ausgang hatte. Hier erst setzt die Frage ein, nicht um das Duell, |sondern um den Duellzwang handelt es sich. Und zwar nicht um den augenfälligen Zwang, gegen den einzuschreiten eine verhältnismässig einfache Sache wäre, sondern um die vielfachen Formen des uneingestandenen, unaufrichtigen, gefährlichen Zwanges, der in unseren gesellschaftlichen Zuständen begründet ist.
Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man beinahe glauben, dass es einen Zwang zum Duell wenigstens für Zivilisten überhaupt nicht gibt; wie denn die Duellfrage im Offiziersstande hier schon darum ausser Acht gelassen werden soll, weil jeder, der diese Carrière einschlägt, ebenso gut weiss, welchen Anschauungen und Gesetzen er sich damit unterworfen hat, wie der Arzt, der es seinerseits nicht ablehnen darf, sich bei einer plötzlich ausbrechenden Epidemie an der Behandlung der Erkrankten zu beteiligen und die damit verbundene Gefahr auf sich zu nehmen, wenn er auch auf den Ausbruch einer Epidemie bei Ablegung des Doktorats nicht gefasst war.
Anders aber steht es beim Zivil. Hier kommt es jeden Tag vor, dass Leute auch ohne Absicht in Kreise geraten, wo Anschauungen herrschen, in denen der Duellzwang notwendig inbegriffen ist. So lange Leute als feig gelten werden, die eine Duellforderung ablehnen und so lange Leute den Vorwurf dieser sogenannten Feigheit als diffamierend empfinden werden, so lange wird auch der Duellzwang bestehen. Keine behördliche Verfügung, kein Gesetz wird die Macht haben jemanden, der einen andern wirklich oder im Sinne der geltenden gesellsch Anschauungen beleidigt hat, davor zu schützen, dass er eine |Ohrfeige bekommt. Und so lange diese Ohrfeige ihre innerhalb der Gesellschaft nun einmal feststehende symbolische Bedeutung behält, wird keine behördliche Verfügung die Macht besitzen den Geohrfeigten glauben zu machen, dass sein Beleidiger durch eine Geldstrafe von fünf bis hundert Gulden oder selbst durch Arrest von vierundzwanzig Stunden genügend bestraft und damit seine, des Gezüchtigten Ehre wiederhergestellt weiss. So wird also diese Ohrfeige, wenn andere Mittel versagen, in all den Kreisen, wo sie eben als ein Symbol gilt, einen absoluten Zwang zum Duell bedeuten.
Es ist also unbedingt erforderlich, diese Beleidigung innerhalb von Kreisen, wo sie eben mehr bedeutet als sich selbst, mit einer Strafe zu belegen, die dem symbolischen Ernst der Beleidigung angemessen ist; unter Umständen mit schweren Kerkerstrafen.
Ebenso streng müsste der Vorwurf der Satisfaktionsfähigkeit gestraft werden, der gegen den Duellverweigerer öffentlich erhoben würde, denn es ist sehr wohl der Fall zu denken, dass jemand einmal mit guten Gründen ein Duell abgelehnt hätte und ein anderes Mal aus eben so guten Gründen die Nötigung empfände selbst jemanden zum Duell herauszufordern.
Die Forderung an sich aber dürfte niemals strafbar sein. Sie hätte nichts anderes zu bedeuten und dürfte nicht in anderem Sinne aufgefasst werden, als die Frage: willst |du dich mit mir schlagen? eine Frage, auf die die Antwort dem Andern völlig frei stünde, auch eine abschlägige keinerlei diffamierende Folgen für den Duellverweiger mit sich brächte, woraus die einfache Folgerung resultiert, dass man auch den Fordernden für ein Ja des Geforderten in keiner Weise verantwortlich machen dürfte.
Auch von prinzipiellen Duellgegnern hört man immer wieder die Ansicht ausgesprochen, dass es immerhin Fälle gibt, wo das Recht, jemanden zum Duell zu provozieren, unbedingt zuerkannt werden müsste. Und als Lieblingsbeispiele werden immer wieder solche Fälle gewählt, in denen es sich um Verführung der Gattin oder der Schwester handelt. Und doch liegt hier die Sache nicht anders, als in sämmtlichen anderen Fällen, bei denen sich irgend jemand als beleidigt fühlt. Ist der sogenannte Verführer geneigt auf das Duell einzugehen, so möge es stattfinden und wie immer der Ausgang sei, straflos bleiben. Ist aber der Beleidiger nicht geneigt die verlangte Satisfaktion zu geben, so wäre der Versuch ihn zu einem Duell zu zwingen mit der gleichen Schärfe zu ahnden, wie in jedem andern Fall. Natürlich müsste dem Gatten oder dem Bruder Gelegenheit geboten werden, sich auf andere Weise Genugtuung zu verschaffen, auf die er nach unseren heute noch bestehenden bürgerlichen Anschauungen ein Recht beanspruchen kann. Doch besteht ein solches Recht überhaupt viel seltener als man heute noch zugibt, es sei, man wollte ausdrücken, dass auch schon der verletzten Eitelkeit ein Recht auf Genugtuung zustände.